Kinder sind eigentlich Abenteurer. Das merken nur viele Eltern nicht, wenn sie ihre Sprösslinge vor der Spielkonsole oder am Smartphone daddeln sehen. Im virtuellen Abenteuer, das zwar die Sehnsucht befriedigt – aber nicht den nach Bewegung hungrigen Körper. Deswegen schnappen sich pfiffige Eltern ihre Rasselbande einfach und fahren mit ihr ins Grüne. Denn das richtige Abenteuer lauert draußen. Auch direkt vor den Grenzen der Stadt Leipzig.

Pavla Nejezchleba lebt seit ein paar Jahren in Leipzig, hat quirlige Kinder und sich wohl recht schnell entschlossen, mit den Kleinen einmal zu entdecken, was es alles so gibt da draußen, außerhalb der in der Hitze brodelnden Stadt. Es gibt zwar schon einige Bücher für Ausflugstipps mit Kindern rund um Leipzig. Aber noch keines, das direkt für Familien mit kleinen Kindern geschrieben ist, die wirklich – wie früher – richtig wandern wollen. Durch Wildnis, auf Berge und Burgen, zu wilden Tieren, Flüssen und Seen.

Das geht auch alles rings um Leipzig und Halle. 20 Wandertouren hat Pavla Nejezchleba mit ihrer Familie und Freunden ausgetestet. Gut möglich, dass die Kinder unterwegs müde wurden, hungrig, platt und geschafft. Aber das ist normal. Wenn Wanderungen nicht auch mal herausfordern, sind es keine Wanderungen. Deswegen ist die richtige Wanderkleidung und die richtige Unterwegs-Verpflegung wichtig. Nicht nur für die Momente, wenn die Batterie leer ist. Sondern auch für den Fall, dass das Gasthaus am Weg, das eigentlich offen haben sollte, verschlossen ist.

Schon der Weg ist das Abenteuer

Wer wandert, rüstet sich für Eventualitäten. Deswegen hat Wandern so viel mit unserem Leben zu tun. Wanderer jammern nicht, weil sie gelernt haben, ihre Kräfte einzuteilen, genug Zeit einzuplanen (gerade mit Kindern), Wegstrecken zu kalkulieren und sich auch genug Punkte zur Erholung und zum Verschnaufen auf der Strecke zu sichern.

Pavla Nejezchleba hat die Wandertipps für Familien mit Kindern gleich dem Buch vorangestellt – auch solche zum Motivieren. Was aber nicht ersetzt, dass man auf solchen Touren auch wirklich Höhepunkte für die Kleinen mit einplant – Spielplätze, Strände zum Baden, Burgen, Aussichtstürme, wilde Pfade. Und – gerade bei hohen Temperaturen – die Rettung für so ziemlich jeden Ausflug – die Eisdiele, wo die Knirpse dann ihre Riesentüte Eis bekommen können. Denn auch das ist das Leben: Der Weg ist vor allem deshalb aufregend, weil es unterwegs schon abenteuerlich ist und auch am Ende das Abenteuer wartet. Oder ein großes Eis.

Und die 20 Touren, die sie rund um Leipzig und Halle gefunden hat, sind fast alle auch und gerade für Familien mit Kindern eingerichtet, haben Rastplätze, Aussichtspunkte, da und dort einen Spielplatz und ein Stück Wildnis. Und auch Eltern, die schon lange in Leipzig wohnen, werden überrascht sein, was man hier alles erwandern kann!

Von den nahen Zielen wie Kulkwitzer, Cospudener und Markkleeberger See bis hin zu den Wanderwegen in der Region, auf denen man echte Attraktionen entdecken kann – vom Sonnenobservatorium in Goseck und der Himmelsarche bei Nebra über die beiden Burgen Rudelsburg und Saaleck in Bad Kösen bis zum Rochlitzer Berg mit seinem Schloss, der Bauhaus-Welt in Dessau und dem Streinbruchsee in Beucha, zu dem man mit einer schönen Parthewanderung kommt.

Verschiedene Schwierigkeitsgrade

Wenn nicht Leipzig selbst der Ausgangspunkt ist, dann kommt man zum Start jeder Wanderung überall mit dem ÖPNV, mal der S-Bahn, mal dem Regionalzug. Welches Ticket für eine Familie dabei das günstigste ist, erzählt die Autorin natürlich auch. Und sie beschreibt jede Tour akribisch. Viele Touren sind auch mit einem (robusten) Kinderwagen zu schaffen. Wenn auch nicht alle. Aber das macht nichts, weil das dann meist Touren sind, die größere Kinder richtig abenteuerlich finden, weil es da auf geheimnisvollen Pfaden bergauf geht oder – wie auf der Freyburg-Tour – mitten über eine große Wiese mit Koniks.

Tiere machen sowieso jede Tour für Kinder spannend. Mal stehen sie brav im Gehege oder überraschen mit einem Wiehern hinter der nächsten Biegung, mal muss man das Fernglas mitnehmen, um zum Beispiel seltene Vögel aus der Ferne zu beobachten. Aber gerade mit ihren Schilderungen macht Pavla Nejezchleba deutlich, dass Wanderungen die Lust am Entdecken anstacheln. Und das Tempo sollten sowieso nicht die Erwachsenen vorgeben.

Es sind zwar Kilometerangaben und Wanderzeiten angegeben. Aber wer Kindern die Freude nicht vermiesen will, der plant einfach mehr Zeit ein. Auf jeder Tour gibt es sowieso den einen ganz besonderen Höhepunkt, der sie einzigartig macht. Und der letztlich in das Wissen über die eigene Region gehört, in der man lebt. Wer das alles nicht mit eigenen Füßen erwandert und mit eigenen Augen gesehen hat, der kennt es nicht. Der weiß nicht, wie Auenwälder riechen oder sich Porphyrfelsen anfühlen, wie „Hühnengräber“ aussehen oder der Wind über dem Geiseltalsee weht.

Wann begannen die Leipziger zu wandern?

Zu jeder Wanderung erzählt Pavla Nejezchleba deshalb auch eine Geschichte. Wenn es etwa in Grimma zum Kloster Nimbschen geht, dann darf die Flucht der Nonne Katharina von Bora nicht fehlen. Und bei der Wanderung durchs Oberholz muss erzählt werden, wie die Leipziger vor rund 150 Jahren überhaupt erst begannen, am Sonntag einen Ausflug „in die Natur“ zu machen. Das Oberholz ist eins der letzten erhaltenen Refugien aus dieser Zeit. Und bei der Wanderung zur Rudelsburg muss erzählt werden, was eigentlich Muschelkalk ist, auf dem die Burg steht.

Wobei einen Muschelkalk gleich mal an den Spitznamen erinnert, den Ringelnatz seiner Geliebten gab. Aber die Wanderung zu Ringelnatz fehlt natürlich genauso wie so manch anderes attraktives Wanderziel. Natürlich können 20 ausgearbeitete Wandervorschläge – jeweils mit detailgenauer Wanderkarte – nur eine Auswahl sein. Eine Einladung an alle verzweifelten Eltern, die nicht wissen, wie sie den Bewegungsdrang ihrer Kinder zügeln sollen.

Aber das sollen sie ja auch nicht. Kinder brauchen die Bewegung. Und Erwachsene übrigens auch. Mit dem Buch kann man sich die Touren aussuchen, die einen am meisten reizen und die auch zum Alter der Kinder passen. Dann geht es an die richtige Wanderbekleidung – die man nicht unbedingt im Spezialbedarf für Alpenwanderer kaufen muss, denn die höchste Erhebung, die man hier findet, ist der Rochlitzer Berg. Und dann muss nur noch alles, was zur Sicherheit dabei sein muss, in den Rucksack. Und los geht’s.

Einfach mal aufbrechen

Ab zum Zug. Oder – wenn man gar nichts geplant hat– ab auf eine der Touren, die direkt in Leipzig beginnen und mit denen die Großen und die Kleinen zum Beispiel die Auenlandschaft im Nordwesten (Höhepunkt: Schlosspark Lützschena) oder die Seenlandschaft im Süden kennenlernen können.

Und auch die beiden Touren in Halle sind nicht umsonst drin, denn auch da gibt es was zu entdecken – neben den Hühnengräbern auch die eindrucksvolle Burg Giebichensatein und das Landesmuseum für Vorgeschichte, wo die bei Nebra auf dem Mittelberg (Tour Nr. 18) gefundene Himmelsscheibe tatsächlich zu sehen ist.

Und das alles ist mit dem ÖPNV erreichbar. Auch so gesehen ist dieser Wanderführer ein Türchen in die Zukunft – in eine Zeit, in der junge Familien sich nicht mehr an ihr Auto ketten, sondern die Freiheit genießen, mit dem Zug überall dort hinzufahren, wo das Abenteuer lockt. Ein in gewisser Weise überschaubares und auch planbares Abenteuer. Aber genau deshalb gerade richtig für Familien mit kleinen, weltneugierigen Kindern.

Pavla Nejezchleba „Wandern mit Kindern rund um Leipzig und Halle“, via Reise Verlag, Berlin 2023, 16,95 Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar