Die Saale hat er abgeradelt, die Unstrut und die Mulde – jedes Mal von der Quelle bis zur Mündung. Und hinterher hat Lutz Heydick jedes Mal ein reich mit Fotos ausgestattetes Buch draus gemacht, das Radwanderfreunden die Schönheiten und Attraktionen an den Flussradwegen Mitteldeutschlands nahebrachte. Die Weiße Elster fehlte bislang. Was ein wenig verblüfft, immerhin ist das Leipzigs Hausfluss. Aber schon in der Vergangenheit taten sich die Autoren schwer mit dem 257 Kilometer langen Fließgewässer.

Aber Lutz Heydick hat ein langes Verlegerleben hinter sich. Da hat er sich angewöhnt, nach den Quellen zu suchen und die ganze Literatur zum Thema zu durchforsten. Und es ist tatsächlich so: Auch die Autoren des 19. Jahrhunderts taten sich schon schwer, zur Weißen Elster entsprechend komplette Standardwerke zu erstellen. Vielleicht, weil sie gleich mehrere Länder durchfließt, angefangen mit ihrer Quelle im Elstergebirge östlich von Aš in Tschechien, im sogenannten Ascher Ländchen.

Doch die Quelle kommt diesmal ganz zum Schluss, denn Lutz Heydick hat diesmal eine andere Herangehensweise gewählt und zwei Touren draus gemacht, bei denen jedes Mal die Sachsenbrücke in Leipzig der Ausgangspunkt ist.

Von Leipzig bis zur Mündung in die Saale

Im ersten Teil besichtigt er den Elsterradweg von Leipzig flussab bis zur Mündung der Weißen Elster in die Saale. Ein auf seine Weise spannendes Stück Fluss, denn hier kann man genau jene Konflikte besichtigen, die durch die Trockenlegung der Aue und die Schaffung der Neuen Luppe als schneller Abwasserkanal vor 90 Jahren entstanden sind.

Die Weiße Elster selbst wurde dabei an einigen Stelle selbst in neue künstliche Wasserbauten verfrachtet – angefangen vom Elsterflutbett bis hin zum Elsterbecken. Während sie in ihrem nördlichen Teil auf größerer Strecke noch ihr ursprüngliches Gesicht zeigt und ahnen lässt, wie Flüsse in einer Aue eigentlich ausehen müssten, wenn man sie wirklich wieder naturnah sein lässt.

Dass sich auch hier historische Attraktionen, Mühlen und Schlösser in Flussnähe befinden, liegt in der Natur der Sache. Denn Flussaue hieß historisch eben nicht naturbelassen. Die Menschen siedelten seit Jahrhunderten hier, wo man Fischerei betrieb, fruchtbare Wiesen fand und vor allem Platz für die Mühlen, welche die Wasserkraft nutzten, bevor Dampfkraft und Strom das überflüssig machten.

Und Heydick weiß als fröhlicher Freizeitradler, wie schön es unterwegs ist, immer wieder den Wegweisern zu folgen und Abstecher zu den Sehenswürdigkeiten rechts und links des Weges zu machen. Denn an Flüssen radelt man ja nicht, um Kilometer herunterzuschrubben – auch wenn das Leipziger Rennradler Wochenende für Wochenende unübersehbar tun. Man radelt, um rauszukommen aus der Hektik der Stadt, um Luft zu schnappen und was zu sehen von der Welt.

Mit Zügen zum Fluss

Und deswegen hat er auch den zweiten Streckenabschnitt an der Weißen Elster nicht in einem Stück erradelt, sondern die günstige Gelegenheit genutzt, dass es an der Weißen Elster mehrere markante Zugverbindungen und Bahnhöfe gibt, mit denen man dann einfach dort die Tour wieder aufnimmt, wo man beim ersten Besuch aufgehört hat. Welche das sind, erwähnt er natürlich auch im Buch. Genauso, wie er auf die Probleme des Flusses kurz eingeht, der im Leipziger Südraum durch eine umgewühlte Tagebaulandschaft fließt und in Abschnitten in einem künstlichen Bett wie der sprichwörtlichen „Betonelster“.

Für die sächsische Landestalsperrenverwaltung wird es noch eine riesige Herausforderung, der Weißen Elster hier wieder einen naturnahen Wasserlauf zu schaffen. Zum Leipziger Neuseenland findet Lutz Heydick zwar noch sehr euphorische Worte. Aber die spiegeln hauptsächlich die Heile-Welt-Sicht der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland, wo man schlicht nicht wahrhaben will, dass man auf altem Kippengrund nicht einfach Bootskanäle bauen kann, welche die Tagebauseen verbinden.

Sämtliche Kanalprojekte im Neuseenland stocken derzeit – mal weil es Komplikationen gibt wie am Störmthaler Kanal, mal weil die Kosten explodiert sind wie am Harthkanal. Und da sind die drohenden Probleme mit Wassermangel noch gar nicht einberechnet, der viele Träume in den sächsischen Tasgebaulandschaften schlichtweg verunmöglichen wird.

Und das betrifft auch die Weiße Elster, die in den vergangenen Jahren mehrfach nur Niedrigwasser führte. Während sie gleichzeitig – vor allem durch Überdüngung und alte Industrieeinschwemmungen – hoch belastet ist und eine schlechte Wasserqualität aufweist. Auch wenn es am Oberlauf (vor allem in den Nebenbächen) erste Versuche gibt, die Flussmuschel wieder anzusiedeln, die genauso verschwunden ist wie die Flusskrebse und die einstige Fischvielfalt, die in Leipzig Jahrhunderte lang einer ganzen Fischerinnung eine Erwerbsgrundlage bot.

Brücken, Täler, Burgen

Andererseits ist die Weiße Elster oberhalb des mitteldeutschen Braunkohlereviers weitgehend naturnah belassen und man erlebt tatsächlich einen schönen Fluss mit einer nur leichten Steigung auf dem Radweg.

Denn die wirklich anstrengenden Abschnitte kommen erst im Oberlauf, etwa wie im Kapitel „Nach Plauen, in die Hauptstadt des Vogtlandes“ geschildert: „Der Radweg führt aus Gippe kräftig bergauf und auf eine wellige Hochfläche, wie sie das nördliche Vogtland prägt, soweit diese nicht ‚durch die mäßig oder stark eingetieften Kerbsohlen und Sohlentäler, insbesondere der Weißen Elster, der unteren Göltzsch und der unteren Weida, unterbrochen (wird)‘.“

Bis dahin hat man aber nicht nur reizende Flusstäler und eindrucksvolle und manchmal weltberühmte Brücken wie die Göltzschtalbrücke gesehen. Man hat auch Städtchen am Wegrand besucht, deren Existenz man im Alltag eher ins Reich der Märchen verweisen würde – Zeitz, Greiz, Weida, Gera, Crossen, Bad Köstritz – an Bier dürfte es unterwegs also nicht mangeln.

An Schlössern und alten Burgruinen auch nicht. Egal, ob die Burgruine Dryfels, das Schloss in Gera mit der Erinnerung an die alten Reußen-Geschlechter oder Burgruine, Rathaus und Vogtlandmuseum in Plauen – man ist überall auf sehr historischem Pflaster unterwegs und lernt eine Menge. Nicht nur über sächsische Geschichte oder den Floßgraben, der einst Leipzig und die Hallischen Salinen mit Brennholz versorgte. Sondern auch über die kleinen thüringischen Fürstentümer (immerhin wird auch ein kleines Stück Thüringen durchflossen) und die Vögte im Vogtland.

Auf einmal wird auch deutlicher, wie sehr ein Fluss diese alten Kulturlandschaften tatsächlich miteinander verbindet. Immerhin entstanden ja auch die frühen Burgen fast immer da, wo es Handelsstraßen und Flussfurten zu überwachen galt. Da und dort erinnern technische Denkmale auch noch an die wirtschaftliche Nutzung des Flusses. Auf zufließende Flüsschen hat Lutz Heydick besonders Acht. Denn die Leipziger Breite erreicht die Elster ja nur, weil zum Beispiel Weida, Göltzsch, Rauda und Schwarzbach zufließen – nebst Dutzenden anderer Fließgewässer.

7.000 Jahre Siedlungsgeschichte

Man begegnet Berühmtheiten wie dem Maler Otto Dix, der in Gera geboren wurde. Oder Anna Magdalena Bach, die in Zeitz das Licht der Welt erblickte. Und wer in Plauen ist, merkt ja spätestens am Denkmal für die Friedliche Revolution, wie nah das alles hier ist in diesem von Flüssen durchzogenen Mitteldeutschland. Das auch deshalb wie ein Seismograf ist, weil überall noch die Erinnerung an das 19. Jahrhundert wach ist, als die Industrialisierung den Reichtum auch in einst arme Landstriche brachte.

Und dass Menschen in dieser eigentlich reich gesegneten Landschaft schon seit 7.000 Jahren siedelten, merkt Heydick schon frühzeitig beim Abstecher zum Zwenkauer See an, für den ja auch das einst eindrucksvolle Eythra devastiert wurde. Zwischen 1993 bis 2003 gruben sächsische Archäologen hier die größte bekannte Siedlung der Jungsteinzeit aus, mitsamt fünf Meter tiefen Kastenbrunnen, die jede Menge über das Leben der Menschen erzählen aus dieser Zeit.

Da dürfte so Mancher, der das Buch einfach nur aus Neugier durchblättert, ziemlich schnell auf den Gedanken kommen, baldigst sein Rad aufzusatteln und auch diesen Flussradweg einmal zu erkunden, dabei auch mal die Grenzen von Leipzig und Neuseenland hinter sich zu lassen, um die Landschaften hinter Pegau zu erkunden. Wo man selbstredend dem alten Floßgraben begegnet, der im Grunde nur deshalb aus dem Gedächtnis der Menschen verschwand, weil der Tagebau einen Großteil des Grabenverlaufs verschlungen hat.

Den Fluss wieder lebendig machen

So gesehen ist das auch eine reich bebilderte Einladung, ein Stück Heimat kennenzulernen, das sich auftut, wenn man die Weiße Elster einfach mal neugierig hinaufradelt. Schön in Etappen. Sodass man sie sich Stück für Stück erschließt, bis man am Kapellenberg die Elsterquelle erreicht, wo im Sommer 2022 auch Lutz Heydick stand, wahrscheinlich glücklich, nun endlich alles beisammen zu haben für das nächste umfassende Flussbuch zur Weißen Elster.

Und hier benutzt er natürlich immer wieder den tschechischen Namen für den Fluss: Bílý Halštrov. Aber auch darin steckt das indoeuropäische Wort für Fließen. Denn die Flüsse in Mitteleuropa tragen meist uralte Namen, älter als die germanische und die slawische Besiedelung, älter als die Völkerwanderung. Ein Zeichen dafür, wie wichtig diese Träger des Lebens in allen Zivilisationen waren, die sich hier ablösten.

Dass dann so rücksichtslos mit dem Fluss und seinen Auen umgegangen wird, ist nicht akzeptabel. Dass die Angler und die Naturfreunde die Weiße Elster zur „Flusslandschaft des Jahres 2020/2021“ gewählt haben, hat leider nichts mit ihrer Schönheit zu tun, sondern mit ihrer Gefährdung und der dringenden Aufgabe, diesen Fluss tatsächlich wieder zu einem naturnahen Fluss mit intakter Flora und Fauna zu machen.

Eine Riesenaufgabe, die jetzt vor den Anrainerländern steht. Auch dafür ist der Radwanderweg wichtig, damit sich jeder selbst ein Bild machen kann und weiß, worum es dabei geht.

Lutz Heydick „Entlang der Weißen Elster“, Sax-Verlag, Beucha und Markkleeberg 2023, 16,50 Euro..

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