Immer drängender wird die Rettung der Leipziger Auenlandschaft. Aber nicht nur Weißer Elster, Alter Luppe und Pleiße geht es schlecht. Praktisch alle Fließgewässer im Leipziger Stadtgebiet sind in einem schlechten Zustand. Das bestätigt auch das Amt für Stadtgrün und Gewässer auf eine recht umfangreiche Anfrage der Grünen-Fraktion. Und das, obwohl sämtliche Gewässer in der EU schon bis 2015 in einem „guten ökologischen“ und „guten chemischen Zustand“ sein sollen.

Aber auch Leipzig hat die Verordnung jahrelang nicht ernst genommen, sodass 2015 kein Fließgewässer in der Stadt in einem guten Zustand war und die Stadt auf die Ausnahmefallregelung setzen musste, die eine Umsetzung bis 2027 ermöglicht.

Aber 2027 – das ist ebenfalls nicht mehr lange hin.

Weshalb der Ton in der Grünen-Anfrage schon sehr besorgt klang.

„Wir hatten bereits mehrfach auf das Umsetzungsgebot der Wasserrahmenrichtlinie, das bis 2027 erfüllt sein muss, hingewiesen. Die europäische Wasserrahmenrichtlinie ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Gewässerschutz. Im Rahmen der Anfrage ‘Prioritätensetzung in der Wasserwirtschaft’ (Anfrage VII-F-07937) hatten wir dazu bereits angefragt“, stellten die Grünen fest. Das war 2021.

„Dort wurde auch ausgeführt, dass die Prioritätensetzung bis zum 1. Quartal 2023 dem zuständigen Fachausschuss Umwelt, Klima, Ordnung vorgestellt werden soll. Diese Prioritätensetzung war das Ergebnis 6. Beschlusspunktes der Vorlage VII-DS-00815 vom 15. März 2022 (‘Zu diesem Zweck legt die Verwaltung dem Stadtrat bis zum IV. Quartal 2022 eine Priorisierung der Vorhaben zur Öffnung der Leipziger Mühlgräben sowie zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie vor. Soweit möglich und realistisch werden Prognosen zu Kosten und personellen Ressourcen getätigt’).“

Doch diese Prioritätenliste wurde nicht vorgelegt.

Also musste die Grünen-Fraktion wieder nachfragen.

„Die Bewirtschaftungsplanung soll entsprechend der EU-Wasserrahmenrichtlinie in Flussgebieten stattfinden, die eine Koordinierung unter allen Anrainer/-innen erfordert. Die wichtigsten Elemente der zielgerichteten und koordinierten Planung für den Schutz der Gewässer sind die Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme für Flussgebiete bzw. Teilbereiche der Flussgebiete. Neben den Zielen und Instrumenten des Umweltschutzes sind auch wirtschaftliche Aspekte der Wassernutzung bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie zu betrachten“, so die Grünen-Fraktion. „Als Referenz gilt die natürliche Vielfalt an Pflanzen und Tieren in den Gewässern, ihre unverfälschte Gestalt und Wasserführung und die natürliche Qualität des Oberflächen- und Grundwassers. Für erheblich veränderte oder künstliche Gewässer gilt anstelle des guten ökologischen Zustands das Umweltziel des guten ökologischen Potenzials. Grundsätzlich gelten hinsichtlich des Zustands eines Gewässers sowohl ein Verbesserungsgebot als auch ein Verschlechterungsverbot.“

Prioritätenliste mit Verspätung

2023 wurde die Priorisierung nicht geschafft. Man arbeite noch daran, teilt das Amt für Stadtgrün und Gewässer mit: „Diesen Sachstand bereitet die Verwaltung gerade vor. Eine Vorstellung dazu ist im Fachausschuss Umwelt, Klima und Ordnung im 1. Quartal 2024 vorgesehen.”

Warum es wieder einmal länger dauert, verrät die Antwort nicht. Obwohl die Bilanz genauso eindeutig ist wie in der Antwort von 2021: „Der ökologische Zustand der natürlichen Oberflächenwasserkörper respektive das ökologische Potential der erheblich veränderten und künstlichen Oberflächenwasserkörper geht im Einzelnen aus der Abbildung 1 hervor. Die Einstufung der Leipziger Fließgewässer ist mäßig bis schlecht.“

Und weiter heißt es: „Der chemische Zustand ist für alle Oberflächengewässer nicht gut, was vor allem auf sogenannte ubiquitäre, d.h. überall verbreitete prioritäre Schadstoffe zurückzuführen ist.  Die Grundwasserkörper im Territorium der Stadt Leipzig sind in einem chemisch und mengenmäßig schlechten Zustand, was unter anderem aus der Bergbauvergangenheit resultiert.“

Verrohrter Pleißemühlgraben an der Lampestraße. Foto: Ralf Julke
Verrohrter Pleißemühlgraben an der Lampestraße. Foto: Ralf Julke

Neuere Daten liegen nicht vor, weil der Gewässerzustand nur alle sechs Jahre neu bewertet wird. Aber da geht es eben nicht nur um die Qualität des Wassers selbst. Sondern um Flora und Fauna im und am Gewässer. Ist das Fließgewässer tatsächlich ein naturnaher Fluss, der in der Lage ist, sich selbst zu reinigen und eine hohe Biodiversität auszubilden?

Der Verweis auf den Bergbau ist dabei eben nur ein Teil der Wahrheit. Die Leipziger selbst haben vor 100 Jahren ihre Flüsse in artenarme und langweilige Kanäle verwandelt und dabei auch gleich noch den Auwald von seiner Wasserzufuhr abgeschnitten. Die in der Karte ausgewiesene schlechte Gewässerqualität erzählt zuallererst davon, dass Leipzig lauter künstlich kanalisierte Fließgewässer hat.

Die Wasserqualität der Leipziger Gewässer. Karte: Stadt Leipzig, Datenportal iDA, abgerufen am 4.12.2023
Die Wasserqualität der Leipziger Gewässer. Karte: Stadt Leipzig, Datenportal iDA, abgerufen am 4.12.2023

2015 war dann so etwas wie ein Weckruf. Und mit Nachdruck aus der Ratsversammlung ging das zuständige Umweltdezernat dazu über, endlich greifbare Pläne zur Renaturierung der Fließgewässer aufzulegen.

Dauerthema Mühlgräben

Während das Land – also die Landestalsperrenverwaltung – für die Gewässer 1. Ordnung zuständig ist – also Weiße Elster, Parthe, Pleiße, Neue und Alte Luppe –, ist die Stadt für die kleineren Fließgewässer zuständig – Lober, Nördliche und Östliche Rietzschke oder auch die Mühlgräben. Die die Stadt nun seit Jahren mit enormem Aufwand wieder öffnet – nicht immer schön und auch nicht immer als Wassererlebnis in der Stadt. Zuletzt gab es ja den heftigen Streit um den Pleißemühlgraben an der Hauptfeuerwache, den die Stadt nicht im alten Bett hinter der Hauptfeuerwache öffnen will, sondern davor an den Goerdelerring verlegen möchte.

Als dieses Projekt 2022 zum Beschluss in den Stadtrat kam, mogelte die Verwaltung auch gleich noch die Öffnung des Pleißemühlgrabens bis zum Zoo mit hinein, was in der Ratsversammlung gar nicht gut ankam. Die beschloss dann auf Antrag des Fachausschusses Stadtentwicklung und Bau, dass der Stadtrat zwingend an den Entscheidungen für die zu öffnenden Abschnitte beteiligt werden soll. Und eben auch, dass die Ratsversammlung eine Priorisierung der zu öffnenden Mühlgräben bekommt.

Denn nicht nur im Norden fehlen noch Abschnitte im Pleißemühlgraben – auch im Süden fließt er entlang der Wundtstraße und der Lampestraße seit Jahrzehnten verrohrt. Und ein Zeitpunkt, wann man die Pleiße hier ans Licht holt, ist einfach nicht absehbar. Und das sind nur die Mühlgräben.

Das zähe Ringen um Flächen

Warum es bei den natürlichen Fließgewässern ebenso zäh läuft, begründet das Amt für Stadtgrün und Gewässer mit der „Flächenverfügbarkeit an den Gewässern“, die „eine maßgebende Hürde in der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie“ sei.

„Um Gewässer zu renaturieren, werden Gewässerentwicklungskorridore benötigt, d.h. Flächen entlang der Gewässer, in denen dem Gewässer Raum für eine naturnahe Gestaltung des Gewässerlaufs (kurviger Gewässerverlauf, Laufverzweigungen) gegeben wird“, so das Amt für Stadtgrün und Gewässer. „Je nach Gewässertyp können dies bei den Gewässern II. Ordnung durchaus 60 m breite Streifen sein, die hier für eine optimale Gestaltung benötigt werden. Über Flurbereinigungsverfahren, Flächentausch, Vorkaufsrecht, Planfeststellungsverfahren und andere Instrumente wird kontinuierlich daran gearbeitet, Flächen entlang der Gewässer für die Gewässerentwicklung zur Verfügung zu stellen.“

Problematisch wird es, wenn Grundstücksbesitzer nicht mitspielen und stattdessen Baupläne vorantreiben, wie das auch im Bereich der Nördlichen Rietzschke der Fall ist, wo mittlerweile ausufernde Baupläne für Wohnsiedlungen mit den Plänen zur Renaturierung der Rietzschke-Aue kollidieren.

Was dann natürlich auch alle Pläne, selbst die Gewässer in Obhut der Stadt bis 2027 in einen naturnahen Zustand zu bringen, massiv behindert.

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Es gibt 2 Kommentare

Schön, dass man etwas von Aktivitäten faselt, von 60m breiten Streifen u. ä.
Wie das mit Leipziger Ämtern funktioniert, sieht man ja aktuell in der Holbeinstraße…

Ich verstehe nicht, wie man in Zeiten von vordringlichem Klimaschutz und zunehmenden Extrem-Ereignissen keine gesetzliche Regelungen forciert, um zumindest(!) Uferzonen von Gewässern zu schützen.
Zurzeit ist das offensichtlich gesetzlich nur schwer möglich oder man stellt sich dumm und stur.

Die Übersicht “Wasserqualität der Leipziger Gewässer. Karte: Stadt Leipzig, Datenportal iDA” konnte ich auf Anhieb so nicht finden zum Abruf.
Ein Link wäre hilfreich.
Oder funktioniert das nur mit Anmeldung?

Die östliche Rietzschke konnte ich jetzt zum Hochwasser gut beobachten. Interessant, wie viel Wasser diese jetzt führte, ein kleiner rauschender Fluss war das.
Kaum vorzustellen, wie sich dieser dann in Volkmarsdorf / Reudnitz unter den Häusern durchschlängelt…

Entlang des Brettschneiderparks sollte man die nördliche Rietzschke noch relativ unproblematisch frei legen können. Wie die Situation südlich der Coppistraße ist, weiß ich allerdings nicht.

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