Es sind nicht nur unsere Flüsse, die in einem miserablen ökologischen Zustand sind. Vom einstigen Reichtum an Fischen, Muscheln und Krebsen, den es noch im 19. Jahrhundert gab, ist fast nichts geblieben. Auch die kleineren Flüsse und Bäche sind oft nur noch Lebensräume am Existenzminimum. Der Grund dafür: neben massiven Einträgen an Düngemitteln auch jede Menge Pflanzenschutzmittel, mit denen die industrialisierte Landwirtschaft Insekten, Pilze und Unkräuter bekämpft. Alles, was in der monokulturellen Landwirtschaft als „schädlich“ verstanden wird.

Die chemischen Cocktails gelangen auch in benachbarte Bäche und schädigen dort ganze Lebensgemeinschaften, die für den Erhalt der Artenvielfalt entscheidend sind, Teil des Nahrungsnetzes sind und die Selbstreinigung des Wassers unterstützen.

Vor allem für kleine Fließgewässer fehlten jedoch bislang belastbare Daten, die Auskunft darüber geben, wie es um sie wirklich bestellt ist. Im Citizen Science-Projekt FLOW haben 900 Bürgerforschende über drei Jahre lang in ganz Deutschland kleine Fließgewässer auf ihren ökologischen Zustand untersucht. Das Projekt wurde vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gemeinsam mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig durchgeführt.

Die Daten zeigen: In der Mehrheit der untersuchten Bäche, die durch eine landwirtschaftlich geprägte Landschaft fließen, ist die Wirbellosenfauna durch Pflanzenschutzmittel gestört. Zudem weisen die Fließgewässer eine stark veränderte morphologische Struktur auf. Das Projekt bestätigt darüber hinaus, dass Bürgerforschung auch im Bereich der Gewässerökologie dringend benötigte Daten in hoher Qualität liefern kann.

Auf Flüsse als wertvolle Lebensräume will auch der internationale Tag der Flüsse aufmerksam machen, der am 14. März begangen wurde, und ruft zu deren Schutz auf.

Wie Pflanzenschutzmittel wirken

Pflanzenschutzmittel sind Wirkstoffe, die zum Schutz von Kulturpflanzen vor Schädlingen, Beikräutern oder Krankheiten eingesetzt werden. Diese Stoffe können aber auch andere Pflanzen und Nützlinge wie Wildbienen, Schmetterlinge oder andere Tierarten schädigen. Durch ihren Einsatz in der konventionellen Landwirtschaft gelangen sie in Bäche, Flüsse, Seen und Grundwasser und verschlechtern die Wasserqualität.

Trotz zahlreicher Maßnahmen, die seit dem Jahr 2000 ergriffen wurden, um die Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie zu erfüllen, sind laut Umweltbundesamt nach wie vor etwa 90 Prozent der amtlich untersuchten deutschen Fließgewässer in keinem „guten ökologischen Zustand“. Dabei finden die vielen kleinen Fließgewässer mit einem Einzugsgebiet von unter zehn Quadratkilometern bei der systematischen Überwachung der Behörden bislang kaum Beachtung. Und das, obwohl sie etwa 70 Prozent des deutschen Gewässernetzes ausmachen und somit für den Erhalt der biologischen Vielfalt von großer Bedeutung sind.

Untersuchung der Wasserproben. Foto: Lilian Neuer
Untersuchung der Wasserproben. Foto: Lilian Neuer

Um einen Überblick über die Belastung von Kleinfließgewässern mit Pflanzenschutzmitteln zu bekommen, hatten Wissenschaftler/-innen des UFZ im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) im Pilotprojekt „Kleingewässermonitoring“ zwischen 2019 und 2022 über 100 kleine Bäche in landwirtschaftlichen Gebieten untersucht. Dabei wurde deutlich, dass in 80 Prozent dieser Bäche die staatlichen Pestizid-Grenzwerte, die nach Einschätzung von Wissenschaftler/-innen noch viel zu hoch angesetzt sind, überschritten werden.

Das Bürger-Projekt FLOW

Um die Datenlage weiter zu verbessern, startete im Jahr 2021 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt FLOW – ein Citizen Science-Projekt, in dem Bürgerforschende Daten für die Wissenschaft sammeln. Seit drei Jahren in Folge sind geschulte Freiwilligengruppen unterwegs, um die Bäche in ihrer Region zu erforschen.

„Wir konnten mit mehr als 900 Freiwilligen in etwa 90 regionalen Gruppen im Zeitraum 2021 bis 2023 insgesamt 137 Bäche untersuchen“, berichtet Julia von Gönner, FLOW-Koordinatorin und Doktorandin an UFZ und iDiv.

83 Prozent der Probenahmestellen lagen in landwirtschaftlich geprägten Einzugsgebieten. Die Freiwilligen bewerteten die Gewässerstruktur, maßen die chemische Wasserqualität und untersuchten die wirbellosen Tiere des Gewässergrunds, das sogenannte Makrozoobenthos. Durch die Bestimmung der Makrozoobenthos-Gemeinschaft zogen sie mithilfe des am UFZ von Prof. Matthias Liess entwickelten Bioindikators „SPEARpesticides“ Rückschlüsse auf die Pestizidbelastung des Gewässers. Die Ergebnisse dieser drei Monitoringjahre haben die Wissenschaftler:innen von UFZ und iDiv nun gemeinsam mit dem BUND im Fachjournal Science of the Total Environment veröffentlicht.

„Die Auswertung unserer Citizen Science-Daten bekräftigt die Ergebnisse des UFZ-Kleingewässermonitorings: Die Wirbellosenfauna ist in rund 60 Prozent der beprobten Bäche in landwirtschaftlichen Einzugsgebieten durch Belastungen mit Pflanzenschutzmitteln gestört“, sagt Julia von Gönner. Diese Probenahmestellen wurden mit den SPEARpesticides-Indikator-Klassen „mäßig“, „unbefriedigend“ oder „schlecht“ bewertet. Hierbei zeigte sich, dass der Zustand der aquatischen Lebensgemeinschaften tendenziell schlechter ausfiel, je stärker das Einzugsgebiet der Probenahmestellen durch Ackerbau geprägt war.

Auch die Gewässserstruktur ist problematisch

Zusätzlich zur Belastung mit Pflanzenschutzmitteln wurde deutlich, dass in über 60 Prozent der untersuchten Bäche auch die Gewässerstruktur deutlich bis stark verändert ist – etwa durch verbaute Uferstrukturen, fehlende Ufervegetation oder eine verarmte Gewässersohle. Auch das beeinträchtigt die Lebensraumqualität und die Ökosystemfunktionen dieser Bäche stark.

Es bestehe also dringender Handlungsbedarf, die chemische Belastung und die Verbauung der kleinen Fließgewässer zu reduzieren, will man deren ökologischen Zustand, wie in der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie gefordert, verbessern, heißt es in der Auswertung der Ergebnisse.

Die Ergebnisse des Citizen Science-Projekts FLOW verdeutlichen aber auch den Wert von Bürgerforschung.

„Durch unsere Citizen Science schaffen wir gemeinsam dringend benötigtes Wissen zum Zustand unserer Fließgewässer“, sagt Prof. Aletta Bonn, Leiterin des Departments Biodiversität und Mensch an UFZ und iDiv. „Unsere Auswertungen zeigen, dass die FLOW-Bürgerforschenden valide Daten zum Gewässerzustand erheben, die in hohem Maße mit professionell erhobenen Daten der Wissenschaftler:innen übereinstimmen.“

Das Citizen Science-Projekt FLOW wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Förderbereichs Bürgerforschung gefördert. Eine begleitende Dissertation wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.

Publikation: von Gönner, J., Gröning, J., Grescho, V., Neuer, L., Gottfried, B., Hänsch, V.G., Molsberger-Lange, E., Wilharm, E., Liess, M. & Bonn, A. (2024) Citizen science shows that small agricultural streams in Germany are in a poor ecological status. Science of The Total Environment, 171183.

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