Wenn man der Methode von Laura Schmid trauen kann, dann ist Leipzig - zumindest nach deutschen Maßstäben - (noch) eine weltoffene Stadt. Dann werden Ausländer - zumindest dann, wenn sie nicht Müller, Lehmann oder Meier heißen - hier weniger diskriminiert als in anderen deutschen Großstädten. Zumindest, wenn es um die Suche nach einer Wohnung geht.

Laura Schmid hat sich ein Forschungsprojekt zur Datengrundlage genommen, das die Deutsche Forschungsgemeinschaft 2011 und 2012 an der Uni Konstanz gefördert hat. Dabei sollten die Erfolgschancen von Bewerbern um eine Wohnung ermittelt werden. Auch in Leipzig wurde das mit 243 fiktiven Bewerbungen getestet. Einige Bewerber waren für die Wohnungsanbieter erkennbar als “Ausländer”  durch einen türkisch klingenden Namen, andere mutmaßliche deutsche Bewerber mit deutschem Namen. Bekamen nur die Bewerbungen mit türkischem Namen eine Antwort, war das gewissermaßen eine positive Diskriminierung, bekam nur der deutsche Adressat eine Antwort, war’s eine negative. Und wenn beide eine Antwort bekamen, war es logischerweise keine Benachteiligung.

Leipzig tauchte da recht weit vorn auf im Vergleich der ausgewählten Großstädte: Nur in 12,3 Prozent der Fälle bekam nur der deutsche Bewerber eine Antwort. Nettodiskriminierungsrate nennt es die junge Forscherin aus Konstanz. Ähnlich niedrig war die nur noch in Hamburg mit 12,8 Prozent. Die anderen Vergleichsstädte lagen deutlich drüber: Hannover mit 18,1 Prozent, München mit 19,0 Prozent, Duisburg mit 19,8 Prozent und Berlin-Ost mit 20,5 Prozent. In Berlin-West waren es 22,7 Prozent.

Das ist natürlich nur ein kleines Licht in die Tiefe. Gar nicht ausgewertet wurde zum Beispiel, was für eine Antwort die Mietinteressenten bekommen haben.

Diskriminierung hat ja viele Facetten. Aber Laura Schmid wollte auch herausbekommen, ob das Ganze vielleicht auch etwas mit dem Ausländeranteil in der jeweiligen Stadt zu tun hat – und Leipzig hat von den untersuchten Städten nun einmal den geringsten Ausländeranteil. Und sie bekam ein Ergebnis, das im Pegida-Legida-Ländchen so langsam keine Verwunderung mehr hervorruft. Denn die Diskriminierungsrate war just in den Leipziger Stadtteilen höher, in denen der Ausländeranteil geringer ist: 14,8 Prozent im Gegensatz zu 9,1 bis 9,8 Prozent. Was zumindest bestätigt, dass Diskriminierung gar nicht die Anwesenheit der Diskriminierten braucht: Man grenzt sich einfach schon mal so ab.

Aber das könnte auch nur ein Erklärungsansatz sein, so Schmid. Denn die steigenden Diskriminierungszahlen in den Großstädten korrespondieren auch mit der zunehmend engeren Lage auf dem Mietwohnungsmarkt. Was dann die These untermauert, dass zunehmende Problemlagen (also hier am Wohnungsmarkt) auch die Neigung zu Ausgrenzung und Diskriminierung verstärken.

Gut zu wissen, wenn im gleichen nun erschienenen Quartalsbericht Nadine Körner-Blätgen und Gabriele Sturm vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) die “Großstädte als Orte der Integration” entdecken. Das BBSR ist ja just jene Bundeseinrichtung, die bei der Prognose der Bevölkerungszahlen für Dresden und Leipzig so daneben lag. Das regt dort augenscheinlich ein paar Leute an, darüber nachzudenken, warum die deutschen Großstädte derzeit so ein Wachstum hinlegen, obwohl doch die Bundesrepublik selbst eine Bevölkerungsschrumpfung erlebt.

Seit 2010 gehört eben auch die steigende Zuwanderung nach Deutschland zu den Dingen, die auch die Großstädte wachsen lassen. Steht so zwar nicht im Beitrag der beiden Autorinnen, aber hat wieder (wie bei allen anderen Zuzüglern auch) mit Infrastrukturen zu tun. Großstädte haben diese Infrastrukturen – von der sozialen und medizinischen Versorgung bis zur Ausbildung und (falls die Asylsuchenden tatsächlich einen Aufenthaltstitel bekommen) der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.

Die Autorinnen haben die Zuwanderung mal für 48 Großstädte in Ost und West untersucht. Der Osten fällt natürlich dadurch auf, dass er nach wie vor niedrige Ausländerquoten um die 5 bis 6 Prozent hat – in den Großstädten, wohlgemerkt. In den ländlichen Regionen sind die Quoten noch deutlich geringer.

Im Westen sind Quoten von 10, 20, 25 Prozent eher die Regel. Die beiden Autorinnen haben auch einen Faktor untersucht, der bei Pegida und Legida augenscheinlich die Gemüter bewegte. Völlig unsinnigerweise, denn Zuwanderung gerade nach Sachsen hat mit Menschen aus Ländern des Islam ziemlich wenig zu tun. Unsere Zuwanderer kommen zumeist woanders her. Aber das merkt man selbst in Dresden nicht, weil diese Art Integration viel weniger auffällt und fast reibungslos passiert (obwohl auch sächsische Minister gern gegen Sinti und Roma vom Leder ziehen).

Sowohl in Dresden als auch in Leipzig (und praktisch allen 48 erfassten deutschen Großstädten) stammen die registrierten Ausländer zu über 50 Prozent aus den Gebieten der EU und aus anderen europäischen Ländern, die nicht der EU angehören. Nur knappe 2 Prozent der Zuwanderer in sächsische Großstädte kommen aus der Türkei (um mal das oben verwendete Beispiel eines türkisch klingenden Adressaten zu benutzen), und das sind auch in der Regel eher Mitglieder der dortigen kurdischen Minderheit. Die größte wahrnehmbare Gruppe von anderen Kontinenten wird von den beiden Autorinnen Asien zugeordnet – das sind aber in Sachsen vor allem Vietnamesen, die nun wirklich schon traditionell zum Bild der sächsischen Großstädte gehören, aber auch einige aus den Bürgerkriegen des Nahen Ostens in Sachsen Gestrandete. Deutlich kleiner sind dann noch die Ausländergruppen mit Wurzeln in Afrika und Südamerika.

Und auch das ist kein statischer Zustand, denn seit 2006 haben sich die Zuwanderströme deutlich verändert. Das hat natürlich mit den Beitrittsländern der EU zu tun, was vielen gut gebildeten Menschen dort die reale Chance eröffnete, in Deutschland ein Erwerbseinkommen zu finden. Und es sind vor allem junge Leute, nicht alle freilich hochqualifiziert. Die Autorinnen sprechen von einer “zunehmenden Aufspreizung der Qualifikationsniveaus”. Was ja nicht bedeutet, dass diese Menschen dumm sind. Es bedeutet nur, dass die Bundesrepublik endlich umdenken muss und nicht einfach darauf warten kann, dass die Welt sie mit fertiggebackenen Genies versorgt.

Die Bundesrepublik ist ein Einwanderungsland, auch wenn das einige hartleibige Politiker einfach nicht wahr haben wollen. Und Einwanderung geht man aktiv an, nicht so verdruckst und mauernd, wie das derzeit in Sachsen passiert.

Die Autorinnen deuten es etwas zurückhaltender an: “Eine wünschenswerte Integration in die Gesellschaft ist durch Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik zu fördern. Zuwanderungsbeschränkungen – gar innerhalb der EU – sind keine Lösung.” Im Gegenteil: Viele Zuwanderer brauchen aktive Unterstützung, um die notwendigen Kompetenzen zu erwerben, um wirklich Tritt zu fassen in Deutschland. Und wem gilt der Appell? – Erstaunlicherweise appellieren die Beiden an die Bundespolitik, die bei dem Thema genauso kneift wie das Land Sachsen: “Die Kommunen, die derartige Angebote schaffen müssen, bedürfen anerkanntermaßen der Unterstützung des Bundes.”

Die aktuelle Zahl der Ausländer in Leipzig: 37.391. Die Ausländerquote liegt nun bei 6,8 Prozent. Damit ist Leipzig im Osten – nach Berlin – die Nummer 2.

Beim Straßenbahnnetz übrigens auch.

Aber dazu kommen wir noch an dieser Stelle.

Den Statistischen Quartalsbericht bekommt man für 7 Euro in gedruckter Form beim Amt für Statistik und Wahlen.

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