Leipzig steckt mitten im Finanzdilemma. Da geht es der Stadt wie tausenden anderen Kommunen im Land: Sie ersticken unter den Sozialkosten, die ihnen vom Bund zumeist als Pflichtaufgaben auferlegt wurden. Nur die Gegenfinanzierung fehlt. Ob die neue Bundesregierung den Mut findet, sich mit der Gemeindefinanzreform ernsthaft zu beschäftigen, steht in den Sternen. Aber den Haushalt 2014 muss Leipzig jetzt hinbekommen. Ohne Defizit.

Noch wird um 30 Millionen Euro gerungen. Noch steht auch das angekündigte Bürgerforum aus, auf dem auch die Leipziger selbst gefragt werden sollen, was sie an Sparpotenzial in der Leipziger Verwaltung sehen. Die CDU-Fraktion hat am Donnerstag ganz und gar das Handtuch geschmissen und will diesmal überhaupt keine Haushaltsanträge stellen.

Die Grünen-Fraktion hat am Freitag hingegen ihre Vorschläge gemacht. Ganz zentral verbunden mit ihrer Forderung nach einer strategischen Haushaltsplanung. Sie empfinden das, was in den letzten zehn Jahren mit den immer neuen Sparhaushalten in die Leipziger Politik eingezogen ist, als eine indirekte Entmachtung des Stadtrates. Dessen Gestaltungshoheit für Politik und Haushalt ist den Einsparungen zum Opfer gefallen. Die Hoheit über die Entscheidungen, was gemacht wird oder nicht, liegt bei der Verwaltung. Was auch längst dazu geführt hat, dass sich der Chef der Verwaltung, Oberbürgermeister Burkhard Jung, ein “heißes Eisen” um das andere auf den eigenen Arbeitstisch gezogen hat, weil er den dafür verantwortlichen Ämtern und Dezernaten keine verantwortliche Arbeit mehr zutraut.

Das hätte zwar längst schon in eine durchgreifende Verwaltungsreform münden müssen. Doch selbst der Fall des mehrfach waidwund geschossenen Leiters des Amtes Jugend, Familie und Bildung, Siegfried Haller, zeigte, wie schwer es dem OBM längst fällt, wichtige personelle Entscheidungen zeitnah zu treffen. Was auch mit Überforderung zu tun hat. Die Verwaltung ist zum Gestalter von Politik in Leipzig mutiert – was ihr gewaltige Entscheidungsspielräume verschafft hat. Der Stadtrat ist zum Bittsteller geworden. Die strategischen Entscheidungen trifft der OBM. Und der zeigt sich immer öfter überfordert. Der Prozess hat sich verselbständigt. Bis zur Hilflosigkeit.

Denn in einem hat die CDU-Fraktion Recht: Dafür, dass sich der Stadtrat erstmals mit einem Haushaltsentwurf beschäftigen muss, der ein Defizit von 40 Millionen Euro, vielleicht auch nur 30 Millionen auffasst, ist auch der OBM schuld. Das “auch” muss betont werden. Da haben eine ganze Reihe Leute nicht mitgedacht. Und auch kostbare Zeit vertan. Denn wenn es nach Burkhard Jung gegangen wäre, hätte es den berühmten “Bockwurstbeschluss” von 2011 so wohl nie gegeben. Mit knappester Mehrheit beschloss der Stadtrat damals – ohne den OBM – eine Expertenkommission einzusetzen, die dem OBM einen ganzen Empfehlungskatalog für eine Verwaltungsstrukturreform zuarbeitet.

Das Thema ist also weder neu noch frisch. Der finanzielle Engpass, der 2014 auch durch eine Kostensteigerung beim Verwaltungspersonal von 25 Millionen Euro ausgelöst wird, war absehbar. Genauso absehbar war, dass die verfügbaren Finanzen nicht steigen, sondern sinken werden. Um nicht ins Defizit zu rutschen, hätte die komplette Leipziger Verwaltung längst evaluiert werden müssen. Das ist bis heute nicht geschehen. Und ob überhaupt jemand das Vorschlagspaket der Expertenkommission, das diese im Juni 2013 vorgelegt hat, auf schnell umsetzbare Schritte abgeklopft hat, darf auch bezweifelt werden.

Für die Fraktion der Grünen aber stehen nicht nur Strukturreformen ganz oben auf der Agenda. Sie schlagen auch Schritte vor, mit denen auf recht simple Weise Geld eingespart werden könnte. Ganz obenan eine freiwillige Arbeitszeitverkürzung der Stadtverwaltung. Sie erinnern dabei an die nur wenige Jahre zurückliegende Vereinbarung mit der Gewerkschaft, als Leipzig wirklich Not hatte, seine explodierenden Schulden in den Griff zu bekommen, die Arbeitszeit in der Verwaltung übergreifend und freiwillig um 10 Prozent zu kürzen.

Das brachte damals einen zweistelligen Einsparbetrag für den Haushalt. Und kaum ein Amt musste zusätzliche Personalstellen beantragen.So weit gehen die Grünen in ihrem neuen Vorschlag nicht. Die Arbeitszeitverkürzung soll wirklich eine freiwillige Entscheidung der 6.600 Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sein. “Das würde den ganz normalen heutigen Lebensbedingungen entsprechen”, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzender Norman Volger. “Die einen haben Kinder zu Hause, die anderen einen Pflegefall. Viele Menschen wollen mehr Zeit für ihre Familie haben.”

Dass derzeit in vielen Bereichen der Stadt der Krankenstand nach oben schnellt, hat für ihn direkt mit der unflexiblen Arbeitszeit zu tun. “Die Leute können ihre Arbeitszeit nicht ihren familiären und persönlichen Bedürfnissen anpassen”, so Volger. “Statt kürzer zu arbeiten, werden sie krank und fallen noch viel länger aus.”

Verhindert wird das verkürzte Arbeiten auch durch die Knappheit an Personal. Was aber auch wieder den Druck erhöht auf alle Mitarbeiter. Wer fragt schon nach verkürzter Arbeitszeit, wenn ihm jeder Kollege suggeriert, dass er dann wohl seine Arbeit auch noch mitmachen müsse. Die Lösung, so Volger, könnte ein eigens abgestellter Mitarbeiter zum Beispiel im Personalamt sein, an den sich jeder wenden kann, der gern verkürzt arbeiten möchte.

3 Prozent der Personalkosten könnten so eingespart werden, rechnen die Grünen vor. Immerhin etwa 7 Millionen Euro. “Wobei wir uns darauf nicht festlegen wollen”, sagt Volger. Denn ein solches Modell existiere ja noch nicht. Erst wenn es installiert sei, werde man sehen, wie es angenommen wird.

Weitere Kürzungsvorschläge der Grünen:

– Die Druckkosten in der Verwaltung sollen um 20 Prozent gesenkt werden.

– Der Zuschuss an die stadteigene Beratungsfirma bbvl soll um 150.000 Euro gesenkt werden. Die bbvl soll zwar fast all und jeden in der Leipziger Stadtpolitik in Bezug auf ein “effektives Beteiligungsmanagement” beraten. Doch da sie alle berät, kommt sie in Interessenkonflikte. Die Grünen formulieren die versteckte Kritik noch recht verhalten: Spätestens bei der Beratung der vom Stadtrat in die Beteiligungsausschüsse und Aufsichtsräte entsandten Mitglieder kommt die bbvl in “eine Interessenkollision, die nicht offenkundig gemacht wird. Resultierend aus dieser Befangenheit hat die von der bbvl für die Betriebsausschuss- und Aufsichtsratsmitglieder geleistete Beratungstätigkeit auch keine entlastende Wirkung.”

Wo soll zusätzliches Geld herkommen?

– Die Verwaltungsgebühr für Eidesstattliche Versicherungen soll auf 60 Euro erhöht werden. Derzeit liegt sie bei 30,70 Euro. Mögliche Zusatzeinnahme: um die 60.000 Euro.

– Und der Flughafen Leipzig/Halle soll auf die 2009 bis 2012 ausgereichten Darlehen der Stadt in Höhe von 5,648 Millionen Euro Zinsen zahlen. Nach Entscheidung der Europäischen Kommission sind auch Kapitalzuführungen und Investitionszuschüsse für Infrastrukturprojekte wie Flughäfen wie Darlehen zu behandeln. Darlehen aber müssen verzinst werden. Diese Zinsen vermissen die Grünen im Haushalt.

Und wofür wollen die Grünen Geld ausgeben? Dazu gleich mehr an dieser Stelle.

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