Drei Jahre und dann nochmals zwei interessante Monate mit Vertagungen, Statements und Änderungswünschen hat die Debatte um den Stadtentwicklungsplan (STEP) Verkehr nun hinter sich. Gebremst hatte zuletzt die Fraktion der CDU, um quasi kurz vor Toreschluss einen ganz neuen Vorschlag einzubringen und auf fehlende Genauigkeiten beim sogenannten Modal Split hinzuweisen. Denn dieser umfasst bislang den individuellen Verkehr von Privatpersonen, nicht den sogenannten „Wirtschaftsverkehr“. Nun stand heute im Stadtrat also zur Debatte, ob man den STEP Verkehr mit welchen Zielvorgaben - gerade beim Model Split - man nun genau beschließen könne.

Die Debatte im Originalton

Die CDU macht sich Sorgen um die Mobilität der Unternehmen in Leipzig. Gemeinsam mit der Vollversammlung der IHK und der Handwerkskammer brachte man kurz vor der heutigen Beschlussfassung einen Vorschlag ein, welchen die Fraktion einen sogenannten „Gesamtmodal-Split“, also eine Zielplanung für alle Verkehrsmittel nennt. Gemeinsam mit den Kammern deshalb, weil man auch Unterstützung dabei suchte, den Mehraufwand bei der Erfassung des Wirtschaftsverkehrs bezahlen zu können. 100.000 Euro würde es wohl kosten, diese Erfassung umzusetzen, die Kammern wollen laut CDU dabei die Stadt unterstützen.

Im Weiteren stand die Befürchtung, dass die Ziele im STEP den Anteil der Verkehrsarten ÖPNV, Fahrrad, Teilauto-Konzepte und Fußgänger von derzeit 60 auf 70 Prozent (wie seit November 2014 vorgeschlagen) bis 2025 zu erhöhen, zulasten der Pkw-Nutzer gehen könnte. Die Angst – statt attraktive Angebote zum Beispiel im ÖPNV zu schaffen – fürchten die Gegner des ambitionierten Planes einfach Einschränkungen ohne Ausweichmöglichkeiten. Ausweichmöglichkeiten, welche beispielsweise in der Verbesserung der ÖPNV-Angebote liegen könnten, die ja auch Geld kosten. Die Erfahrung der vergangenen Jahre – eben dieses ist meist nicht vorhanden.

Dennoch war im Vorfeld der Diskussionen am heutigen Mittwoch allen Fraktionen eines klar: Leipzig wächst, Jahr um Jahr, um bis zu 10.000 neue Einwohner. Und diese bringen ihr Mobilitätsverhalten mit. Ebenso klar: Stellflächen und öffentlichen Verkehrsraum kann keine Stadt mal eben anbauen.

Im dritten Anlauf lag er nun da, der Entwicklungsplan. Frau Dorothee Dubrau führte zur Vorlage aus: „Die Turbulenzen sind eigentlich an einer einzigen Zahlenkombination aufgekommen, also beim Modal Split.“ Die weltweit genutzte Messgröße sei hier überraschend in die Kritik geraten, die durch die CDU beantragte Streichung sei es ebenso. Zudem seien sehr wohl auch die Wirtschaftsverkehre im Gesamtplan erfasst, in einem eigenen Kapitel. Verwundert stellte Dubrau zudem fest, dass zur Erarbeitung dieses Kapitels die Kammern selbst mitgearbeitet hätten und dazu auch Einstiegsvorträge in der Arbeitsphase gehalten wurden.

Die Gesamtarbeit am Plan beschrieb die Baudezernentin mit den durchgeführten runden Tischen „mit 16 weiteren Interessensgruppen, mit ADAC, der IHK, der Handwerkskammer, Deutsche Bahn, ADFC, Bürger und Stadträte.“ 9 Fachgutachten, 50 Veranstaltungen und Workshops unterschiedlicher Art seien eingeholt und durchgeführt worden. Zum Beginn 2014 wurde der offizielle Text ausgelegt, erneut kommentiert durch Verbände und Bürger. „Ein Prozess, welcher immerhin 300.000 Euro gekostet hat, ein in Deutschland vielbeachtetes Verfahren in Leipzig.“

Sabine Heymann (CDU)
Sabine Heymann (CDU). Foto: Alexander Böhm

Zum „Modal Split“ fragte Dorothee Dubrau in Richtung CDU, ob man sich wohl bei unterschiedlichen Vorstellungen zwischen zwei Ehepartnern über die Raumtemperatur – also ob es zu kalt oder zu warm sei – dazu entscheiden würde, das Thermometer wegzuwerfen. So wäre es aus ihrer Sicht, wenn man diese Zielgröße streichen würde. Und verwies darauf, dass der Modal Split grundsätzlich auch ein Vergleichsinstrument mit anderen Städten sei und zudem bereits seit den 70ern in Leipzig genutzt würde.

„Welche Zwangsmaßnahmen sollten wir eigentlich durchführen?“, zumal an den Beschlüssen des Stadtrates vorbei, versuchte Dubrau die Ängste wegen eines Druckanstieges auf die Wirtschaft und die Autofahrer in Leipzig zu entkräften. Denn die rechtlichen Möglichkeiten hierzu gibt es schlicht nicht. Sie würden auch nicht wie von einigen Rednern befürchtet geschaffen.

Mathias Weber (SPD) zeigte sich wenig überrascht über die Schärfe der Debatte. Auch in Hamburg habe die CDU auf Autoverkehr im Wahlkampf gesetzt, während die Menschen längst multimodal unterwegs seien, gerade die jüngeren Menschen. Er verwies nochmals auf den eigentlichen Druck, welcher auf Leipzig liegt – der Zuwachs an Einwohnern. Ein gesamtes Gutachten nur zum Wirtschaftsverkehr habe Eingang in den „STEP“ gefunden, so Weber. „Jedes vierte Kfz ist im Dienste der Wirtschaft unterwegs – das steht da drin“, wandte er sich an die CDU-Fraktion.

Die systematische Beteiligung solle verbessert werden, die Kammern seien zukünftig auch und gerade bei Verkehrsfragen einzubeziehen, so Weber abschließend zu einem weiteren Antrag seiner Fraktion. Nur müssten sich dabei “die Kammern zukünftig vor allem eher in den Beteiligungsprozess einbringen.”.

Sabine Heymann (CDU) begründete nochmals die Kritik ihrer Fraktion damit, dass die LVB-Ticketpreise weiter steigen würden, da auch die kommunalen Gelder für die LVB zu wenige seien, der Ausbau des ÖPNV also kaum den Erwartungen an die Ausweichangebote erfüllen wird. Zudem sei der letzte Modal Split in Leipzig von 2008 und der Einpendler, der Tourist und der Wirtschaftsverkehr seien darin nicht berücksichtigt.

Für die Grünen trat anschließend Daniel von der Heide ans Pult und äußerte sich zu den „schrillen Tönen“ aus der gleichen Ecke, die bereits bei der Umweltzone zu hören waren. Bis heute habe aber auch diese Maßnahme die Wirtschaft nicht zerstört, das Gewerbeaufkommen sei in Leipzig steigend. „Letztlich aber wird der Wirtschaftsverkehr sogar gestärkt“, wenn mehr Bahn und Rad gefahren würde. Mehr Geld im ÖPNV erwartet von der Heide sich nun durch eine neue Landesregierung in Sachsen.

Für René Hobusch (FDP) blieben alle Fragen offen, während sich nun der Vorhang auf der Bühne geschlossen habe. Auch ihm fehlten die Ein- und Auspendler in Leipzig, diese werden nicht erfasst. „Was wir heute hier beschließen, ist ein Rahmenplan, unter welchen Maßgaben die Verwaltung in den kommenden 10 Jahren handeln wird.“ Er nannte den Plan wirtschaftsfeindlich, die Planungsziele seien ideologisch gefärbt und unrealistisch. So erwarte Hobusch restriktive Maßnahmen wie Bevorzugungen bei den Ampelschaltungen zu ungunsten von Autofahrern. Für Hobusch auch ein Thema: Senioren würden durchaus auch kürzere Strecken mit dem Auto zurücklegen wollen – verbieten könne man es ihnen jedoch nicht.

Tobias Keller (AfD). Foto: Sebastian Beyer
Tobias Keller (AfD). Foto: Sebastian Beyer

Tobias Keller (AfD) nannte den STEP provinziell, ebenfalls wirtschaftsfeindlich und kündigte an, dass seine Fraktion dagegen stimmen würde.

Für die Linke gab Franziska Riekewald nochmals zu bedenken, dass in Städten nun mal der Platz begrenzt sei. Der Stadtrat müsse eben in den kommenden Jahren daran mitarbeiten, dass die entsprechenden Schritte bezüglich attraktiver Angebote, wie unter anderem ein eventuell mögliches Bürgerticket, gegangen werden.

Frank Tornau (CDU) verwies zum Beginn seiner ersten Rede vor dem Stadtrat auf die generellen Ziele der Stadt Leipzig für die Bürger Leipzigs. Ein offizielles Ziel in Leipzig sei Lebensqualität: „Lebensqualität ist eben nicht, mir vorschreiben zu lassen, wie ich mich fortzubewegen habe“, mutmaßte Tornau erneut Zwangsmaßnahmen gegen Autofahrer aufgrund eines Ziels von nur noch 30 Prozent privatem Autoverkehr im Modal Split des Jahres 2025. Er forderte nochmals im Namen seiner Fraktion und gemäß des CDU-Antrages die Streichung des Modal Split aus dem STEP und eine Studie, welche von den Wirtschaftsverbänden unterstützt würde, um einen aktuellen Modal Split – notfalls jährlich – zu ermitteln.

Frank Tornau (CDU)
Frank Tornau (CDU). Foto: Alexander Böhm

Ute-Elisabeth Gabelmann (SPD-Fraktion, Piraten) hinterfragte vor allem den Gebrauch des Bürgers durch die Gegner des derzeitigen STEP und erklärte, dass es sie sehr wundere, dass hier nun diejenigen den Bürger bemühen würden, welche noch bei Haushaltsdebatten möglichst die Bürgerbeteiligung einschränken wollten, weil diese ja zu teuer sei. Sie mutmaßte hier mindestens eine gewisse Unehrlichkeit in der Debatte bei der CDU.

Von der Heide trat für die Grünen erneut ans Pult, um CDU und FDP Populismus vorzuwerfen und fragte, wo an welcher Stelle im STEP stehen würde, dass man dem Bürger etwas vorschreiben würde. Was Teile der CDU zwar einsahen, um sich dennoch anschließend vielstimmig zu erregen und ihre „berechtigten Sorgen“ zu äußern, es würden dann Zwangsmaßnahmen durchgeführt, um die gesteckten Ziele zu erreichen.

Eine Abstimmung beendet vorerst das Hin und Her der letzten Monate

Politische Zielsetzungen sind eben was sie sind – eine Zielsetzung. Die man auch verfehlen kann. Was wohl bei dem avisierten Wachstum der Bevölkerung in Leipzig eher nicht zu hoffen sein dürfte. Was Burkhard Jung am Ende der knapp einstündigen Debatte nochmals betonte. „Dieser STEP Verkehr ist kein Instrument, die Wirtschaft zu gängeln. Es geht darum, dass man sich in 10 Jahren noch in Leipzig vernünftig bewegen kann. Außerdem werden alle konkreten Maßnahmen hier im Stadtrat entschieden, sie also werden Verkehrspolitik machen. Angesichts der seitens der CDU teils reichlich empört geführten Debatte hatte er noch einen Wunsch für die kommenden Jahre bei diesem Thema. „Ich hoffe, dass wir hier zukünftig zur Sachlichkeit zurückfinden.“

Daniel von der Heide (Bündnis 90/Die Grünen)
Daniel von der Heide (Bündnis 90/Die Grünen). Foto: Alexander Böhm

Bei der namentlichen Abstimmung jedenfalls stimmten SPD, die Grünen und die Linken mehrheitlich gegen die CDU und die AfD für den neuen Stadtentwicklungsplan Verkehr bis 2025. 42 Dafür, 26 Dagegen und 2 Enthaltungen.

Fazit der CDU-STEP-Sonderrunde der vergangenen zwei Monate und der Aussprachen am heutigen 25. Februar 2015: Die Leitplanken für die Verkehrspolitik in der Stadt Leipzig sind bis 2025 beschlossen und können nun ausgestaltet werden. Die Leipziger Wirtschaft, oder besser die beiden Kammern, sind offenbar bereit, eine begleitende Studie zum Thema Verkehr und Wirtschaft mitzufinanzieren. Für die CDU wurde in den STEP etwas hineingeschrieben, was allen Beteiligten dem Prinzip von politischen Absichtserklärungen eigentlich seit Monaten klar war. „Die Umsetzung der Planungsgrundsätze erfolgt vorrangig mittels Angeboten und Anreizen.“

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