Schaffen wir das? Jugendamtsleiter Tsapos muss praktisch umsetzen, was politisch vorgegeben wird. Im L-IZ Interview geht es vor allem um die unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge - fast ausschließlich männlich, viele aus Syrien und Afghanistan. Die Herausforderung führt zum Bedarf von Wohnungen und Personal. Deshalb werden Gastfamilien gesucht. Daneben geht es auch um Wege zur Integration der Jugendlichen in Schule und Gesellschaft.

Jetzt suchen Sie Gastfamilien. Das Konzept stellten Sie auf einer Pressekonferenz vor. Wie viele haben sich daraufhin gemeldet?

Die Teilnahme der Leipziger war überwältigend. Bei der Veranstaltung für Interessierte waren 200. Wir haben die Veranstaltung im Amt sogar noch einmal räumlich teilen müssen. Die Rückmeldung: eine Familie befindet sich bereits im Eignungsfeststellungsverfahren, 13 Erstgespräche wurden geführt, 14 weitere sind in Terminabstimmungen, insgesamt gab es 51 Rückmeldungen.

Sind Sie mit dieser Resonanz zufrieden?

Eine solche Quote so kurz nach der Veranstaltung ist wirklich gut. Wir machen auch weiter. Die nächste Veranstaltung ist am 01.12. wieder um 17:30 Uhr. Diesmal im Oberlichtsaal der Stadtbibliothek.

Können Sie noch mal kurz zusammenfassen, was die Gastfamilien erwartet?

Die Zielgruppe sind 15 bis 17-jährige männliche Jugendliche, von denen die eine Hälfte aus Syrien kommt und die andere aus Afghanistan. Man kann es schwer verallgemeinern, aber in der Regel sind es Jugendliche, die gerade dabei sind, hier Deutsch zu lernen und die, wie alle anderen Kinder bei uns, der Schulpflicht unterliegen. Sie haben also demnächst eine Tagesstruktur, die nachhaltig von Unterricht geprägt ist oder von einer beruflichen Ausbildung. Häufig sind sie zielstrebig, ehrgeizig und selbständig vor dem Hintergrund dessen, was sie erlebt haben in ihrem Herkunftsland oder auf der Reise. Viele haben Dinge erlebt, die sie verarbeiten müssen. Daher erhalten die Gastfamilien auch eine professionelle Unterstützung.

Wie sieht diese Unterstützung konkret aus?

Das wird man im Einzelfall sehen, ob sozialpädagogische Begleitung reicht oder ob eine muttersprachliche psychotherapeutische Behandlung zur Aufarbeitung des Traumas oder andere Hilfeangebote nötig sind.

Das ist eine große Herausforderung für die Gastfamilien. Wie werden die unterstützt?

Sie werden vor der Aufnahme durch unser Amt vorbereitet und dauerhaft während des Aufenthaltes des Jugendlichen in der Familie begleitet. Wir als Jugendamt stehen immer als Ansprechpartner zur Verfügung, wenn es offene Fragen oder Unterstützungsbedarf gibt. Ich will aber betonen: es kann sein, dass ein Jugendlicher mit traumatischen Erlebnissen zu kämpfen hat, es muss aber nicht sein.

Wie wird denn sichergestellt, dass die Familien wirklich geeignet sind, die Jugendlichen zu betreuen?

Grundlegend ist, dass alle, die im Haushalt leben, einstimmig unterstützen, dass noch ein Familienmitglied aufgenommen wird. Es reicht also nicht, dass es eine Mehrheit möchte. Die Familie muss dem Jugendlichen gegenüber, der aus einer anderen Kultur kommt, Offenheit, Interesse, Neugier und Toleranz entgegenbringen und man muss Zeit haben. Das sind die soft skills. Und bei den harten Fakten gelten die, die auch sonst bei Pflegefamilien gelten. Sie müssen ein eintragfreies, erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Sie müssen in stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Es gibt immer einen Hausbesuch und der muss ergeben, dass die Räumlichkeiten dafür geeignet sind, dass dort noch eine weitere Person wohnt.

Für medizinische sowie schulische Fragen ist immer der Vormund zuständig?

Ja, solche Fragen sind mit dem Vormund zu besprechen, die Zuweisung einer Schule erfolgt aber durch die Sächsische Bildungsagentur.

In welche Schulen kommen die Jugendliche üblicherweise in Leipzig?

Es wird eine Herausforderung an unser Bildungssystem, weil wir eine weite Spreizung der Voraussetzungen haben. Wir haben ja schon das System der DAZ-Klassen – ein gutes und vernünftiges System, das nicht nur für Flüchtlinge ist, sondern für alle, die Deutsch als Zweitsprache erlernen.

Die DAZ-Klassen gibt es an Grundschulen und Oberschulen.

Ja, daneben hat jedes Kind noch einen Integrationsplatz in einer üblichen Klasse, wo er in Phase 2 einen Teil des Unterrichts mit dem Fachsprachenerwerb verbringt und in Phase 3 vollständig in die Klasse integriert wird. Nun haben wir durchaus syrische Kinder, die in einer vergleichbaren gymnasialen Ausbildung gewesen sind, die sie auch nicht für lange Zeit unterbrochen haben. Da ist jetzt intensiver Spracherwerb notwendig, aber danach könnten sie durchaus die gymnasiale Ausbildung fortsetzen. Deshalb sind wir mit der Bildungsagentur übereingekommen, dass wir erstmalig und als erste sachsenweit in Leipzig DAZ-Klassen an Gymnasien einrichten. Die konkreten Gymnasien sind noch nicht festgelegt.

Daneben gibt es Jugendliche aus Afghanistan, von denen viele über Jahre keine Schule besucht haben und Analphabeten sind. Auch dafür müssen wir eine Antwort finden. Da werden gerade Ideen für neue Bildungsangebote mit der Sächsischen Bildungsagentur und den Berufsschulen entwickelt: also ein Basiswissen mit beruflicher Ausbildung.

Für Gastfamilien ist es sicher keine einfache Aufgabe, mit den selbstbewussten Jugendlichen richtig umzugehen.

Ich kann Ihnen da nur von einer Erfahrung unseres ersten Einrichtungsleiters berichten. Viele der Jugendlichen haben mit zwei Enttäuschungen zu kämpfen, wenn sie hier ankommen: die erste ist: sie wurden mit der Aussicht auf die Reise geschickt, dass sie bald ihre Familien nachholen können, die zweite ist: sie dachten, bis die Familie da ist, kommen sie in eine andere Familie. Unser Eindruck ist daher: viele Jugendliche wünschen sich, in einem familiären Kontext zu leben. Sie möchten den Schutz, den Rahmen und die Fürsorge einer Familie haben.

Neben Gastfamilien werden auch Dolmetscher und Sozialarbeiter gesucht. Quereinsteiger sind auch willkommen. Dazu äußert sich Jugendamtsleiter Nicolas Tsapos im dritten und letzten Teil des Interviews. Morgen an dieser Stelle.

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