Lange Zeit war Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, die einzige, die nachfragte und mahnte und wieder nachfragte. Noch 2016 antwortete ihr Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf ihre Anfrage zu Aktivitäten von „Reichsbürgern“ in Sachsen, sein Haus wisse von nichts. Die obskuren Personen seien nicht Objekt der Beobachtung durch sächsische Behörden.

Also gab es auch keine Zahlen, auch wenn Kerstin Köditz mit ihren Warnungen Recht behielt. Bundesweit sorgten mehrere sogenannte „Reichsbürger“ mit zum Teil gewaltsamen Auftritten dafür, dass nicht nur Polizisten zu Schaden kamen, sondern auch die Öffentlichkeit erfuhr, dass diese Personen nicht nur die Existenz der Bundesrepublik in Zweifel ziehen, sondern für ihre zum Teil akrobatische Idee auch bereit waren, Gesetze zu brechen und Behörden zu schikanieren.

Dass sich diese absonderliche Bewegung teilweise mit dem rechtsradikalen Milieu überschnitt, war ebenso wenig Zufall. Denn wer der Bundesrepublik ihr Existenzrecht abspricht, der sucht seine geistige Heimat augenscheinlich in einem der untergegangenen deutschen Reiche der Geschichte – wahlweise auch im letzten. Deswegen sind die Fahnenschwenker auf den diversen Demonstrationen in Sachsen auch nicht unbedingt Vertreter einer ernst gemeinten Meinungsfreiheit. Oft genug suchen sie die Konfrontation mit der Polizei.

Und was Markus Ulbig noch 2014 und 2015 nicht als beobachtenswert empfand, steht seit 2016 auf der Liste der Beobachtungsobjekte. Mit erleuchtendem Ergebnis. Denn unübersehbar betrachten etliche Vertreter dieser Flickenteppich-Bewegung ihren Protest gegen die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik als Freibrief, sich an geltende Gesetze nicht mehr zu halten: Man handelt mit Rauschmitteln, fährt ohne Fahrerlaubnis, fällt mit Körperverletzungen und Amtsanmaßung auf, mit Hausfriedensbruch und Betrug, Beleidigung und Diebstahl.

Die Auflistung, die Markus Ulbig mit Stand 25. November 2016 gibt, umfasst allein 254 Straftaten, darunter sieben Fälle, die eindeutig der Politisch-Motivierten Kriminalität (PMK) rechts zugeordnet werden können.

Was er nicht liefern kann, ist die Anzahl der auffällig gewordenen „Reichsbürger“. Denn sie sind keine homogene Organisation.

„Eine einheitliche ‚Reichsbürger-Bewegung“ existiert nach Einschätzung der Staatsregierung nicht. Die Anzahl der Personen, die den sogenannten ‚Reichsbürgern“ zugerechnet werden können, beläuft sich nach derzeitigem Kenntnisstand auf eine mittlere dreistellige Zahl“, teilt Ulbig mit. Was aber schon eine Größe ist, die Aufmerksamkeit verlangen sollte. Denn wie Ulbig selbst betont: „Gemeinsame Basis der sogenannten ‚Reichsbürger‘ ist die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung. Aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbstdefiniertes Naturrecht, lehnen sie die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ab. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend und sind deshalb bereit, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen.“

Das kann man einfach als durchgeknallt bezeichnen. Aber im Grunde ist es ein unübersehbar Teil einer Radikalisierung unserer Gesellschaft am rechten Rand, in der einige hundert sächsische Bürger eben nicht nur der Bundesrepublik, sondern auch der Demokratie ihr Existenzrecht absprechen. Ein ziemlich klarer Grund, diese Leute vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen.

„Wenige Einzelpersonen werden der ‚Exilregierung Deutsches Reich‘ zugeordnet“, führt Ulbig aus. „Darüber hinaus ist der Staatsregierung die Gruppierung ‚Bundesstaat Sachsen‘ bekannt, die in Dresden ansässig ist und der rund zehn Personen zugerechnet werden.”

Und während einige dieser Leute sich mit den Insignien eines nicht existierenden Reiches eindecken und sich in ziemlich sinnfreien Querelen mit den Behörden anlegen, gehören manche dieser „Reichsbürger“ eindeutig dem rechtsradikalen Spektrum an. Die Frage ist nur: Wie viele? Ist das Auftreten als „Reichsbürger“ nur Tarnung für eine rassistische und chauvinistische Gesinnung? Oder sind einige „Reichsbürger“ gar emsig in rechtsradikalen Netzwerken und kriminellen Vereinigungen aktiv?

Auf diese Frage konnte Markus Ulbig diesmal freilich noch nicht antworten: „Über Verbindungen zwischen Gruppierungen, die in Sachsen den ‚Reichsbürgern‘ zuzurechnen sind und rechtsextremistischen Gruppierungen liegen der Staatsregierung kein Erkenntnisse vor.“

Zumindest aber müsste auch Sachsens Polizei mittlerweile gelernt haben, dass die selbsternannten „Reichsbürger“ keine Truppe sind, die man als harmlose Bürger bezeichnen kann. Immerhin fünf der aufgezählten Straftaten hatten mit Verstößen gegen das Waffengesetz bzw. das Sprengstoffgesetz zu tun.

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