„Mit Stand Oktober 2016 lebten in Sachsen 75.567 Kinder unter 15 Jahren in Bedarfsgemeinschaften, die Grundsicherungsleistungen nach SGB II bezogen“, stellte die Linksfraktion im sächsischen Landtag in ihrem Antrag fest, der am Mittwoch, 17. Mai, verhandelt wurde. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs, die Spitze von „Hartz IV“ sozusagen. Aber was nutzt da ein Appell an die konservative Landesregierung in Sachsen?

Tatsächlich geht die Linke von 150.000 Kindern aus, die in Sachsen in Armut leben.

Immerhin beabsichtigt die Linke mit dem Antrag „Kinderarmut im Freistaat Sachsen gemeinsam beseitigen“ ein ganzes Bündel vor allem finanzieller Verbesserungen für die Kinder, die in armseligen Verhältnissen leben. Denn es gibt zwar ein ganzes Bündel von staatlichen Unterstützungsangeboten – aber die werden in der Regel alle bürokratisch gegeneinander aufgerechnet.

Man sieht die Bürokraten mit ihren Lupen jedes Mal bildlich im Hinterkopf, wie sie sich über die Anträge beugen und die Beträge zusammenstreichen und die Cent und Euro herausrechnen, also quasi über Frühstück, Mittag und Wochenende dieser Kinder entscheiden.

So eine Art Bürokratie ist natürlich perfide und sorgt genau dafür, dass zehntausende Kinder schon mit Eintritt ins Leben keine Chancen mehr haben.

„Nach der Veröffentlichung des fünften Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung hoffen wir, dass nun auch endlich bei der Regierungskoalition die Erkenntnis gereift ist, gegen Kinderarmut aktiv zu werden und etwas zu unternehmen. Denn genau in diesem werden die Folgen von Kinderarmut beschrieben. Weiter davor die Augen zu schließen und zu leugnen, ist unverantwortlich“, sagt Susanne Schaper, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion. „So geht aus dem Bericht hervor, dass ‚der sozioökonomische Status der Eltern immer noch entscheidende Auswirkungen auf Bildungswege und Schulerfolg‘ hat und dass Bildungsungleichheit auf Armut zurückgeführt werden kann. Weiterhin ist dem Armuts- und Reichtumsbericht zu entnehmen, dass Kinder aus einkommensschwachen Haushalten öfter an psychischen Auffälligkeiten wie ADHS erkranken. Kinder und Jugendliche aus diesen Haushalten leiden doppelt so häufig, nämlich bis zu 20 Prozent, an Übergewicht, wie aus Haushalten mit mittleren und hohen Einkommen.“

Mit der gepflegten Methode, diese Kinder dann immer wieder mit netten Kindergeld-Gesetzen unterstützen zu wollen, diese Gnadengelder aber jedes Mal wieder gegen andere staatliche Alimente aufzurechnen, sorgt man dafür, dass diese Kinder frühzeitig erfahren, was Ausgrenzung und Leben am Existenzminimum bedeuten.

Und fehlende Förderung.

„Das ist das Ergebnis der Hartz-IV-Gesetzgebung, denn Hartz IV hat zu einer Vergrößerung der Armut in Deutschland sowie zunehmender Ungerechtigkeit geführt“, sagt Schaper. „Wir fordern, einen Runden Tisch zum Anliegen der Bekämpfung von Kinderarmut im Freistaat Sachsen zu etablieren, bei dem Expertinnen und Experten der Kinder- und Jugendhilfe, Sozialforschung und Sozialwissenschaft, der Kinderrechts- und Kinderschutzorganisationen, der Familienverbände, der Selbstvertretungen von Kindern und Jugendlichen sowie Kommunen einzubeziehen sind. Dessen Ziel soll es sein, konzertierte Maßnahmen zur Beseitigung von Kinderarmut herauszuarbeiten und zu ergreifen.“

Und weil in der Geizhals-Republik Deutschland alles mit Geld aufgewogen wird, auch Kinderleben, fügt sie noch hinzu: „Weiterhin fordern wir die Staatsregierung auf, sich auf Bundesebene für eine Kindergrundsicherung von 560 Euro und die Erhöhung des Kindergeldes auf 328 Euro als ersten Schritt in Richtung Kindergrundsicherung, die nur hälftige Anrechnung des Kindergeldes auf den Unterhaltsvorschuss und die Nichtanrechnung des Kindergeldes auf SGB II-Leistungen sowie die Einführung eigenständiger bedarfsgerechter Regelsätze für Kinder und Jugendliche einzusetzen.“

Volkmar Zschocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion, nutzte die Gelegenheit, um der sächsischen Regierung ihre Ahnungslosigkeit auf dem Feld der Kinderarmut unter die Nase zu reiben. Denn die Zahlen, die das Land zur Verfügung stellt, reichen überhaupt nicht, um das wirkliche Ausmaß der Kinderarmut zu erfassen.

„Ein Monitoring zur Inanspruchnahme der Leistungen zum Bildungs- und Teilhabepaket ist notwendig. Denn so viel steht fest: Das Bildungs- und Teilhabepaket ist ein Bürokratiemonster, welches seinem Anspruch nicht gerecht wird. Wir wissen nicht, wie viele Familien mit geringem Einkommen Unterstützung beantragt und erhalten haben. Mir scheint, die Staatsregierung will es auch gar nicht wissen, denn sie verweist an dieser Stelle – wie so oft – auf die Zuständigkeit von Bund und Kommunen. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen“, sagte Zschocke in seiner Landtagsrede.

In der er darauf hinwies, wo der Freistaat in den Karrieren der Kinder eben zumeist echte Hilfe unterlässt: „Sachsen hat Handlungsspielräume! Durch einen Landesaktionsplan gegen Kinderarmut könnten diese Spielräume klar benannt werden. Der Antrag nennt die Stichworte: flexible Betreuung in Kitas und Schulen, mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote für Kinder und Familien in schwierigen Lebenssituationen, eine tragfähige Finanzierung von Kinder- und Jugendarbeit sowie sozialer Arbeit. Diesen landespolitischen Gestaltungsanspruch scheint die Staatsregierung aber von sich aus nicht zu haben. Deshalb braucht es diesen Handlungsauftrag durch den Landtag.“

Sachsen brauche dringend eine Sozialberichterstattung, die ihren Namen verdient: „Dabei geht es nicht nur um Zahlen, sondern um Lebenslagen. Wir müssen endlich – wie viele andere Bundesländer auch – wissenschaftlich untersuchen, welche Lebensumstände in Sachsen arm machen – und zwar bei jung wie alt. Genau da klemmt es! Beginnend ab 2016 sollte es laut Koalitionsvertrag eine wissenschaftsbasierte, qualifizierte und kontinuierliche Sozialberichterstattung geben. Vor 2018 werden wohl keine Ergebnisse vorliegen. Das ist nicht nur schade, sondern ein Problem.“

Und dann zog Zschocke auf seine Weise noch Halbzeitbilanz für die seit 2014 regierende Koalition aus CDU und SPD: „Ihr Tenor: Viel geschafft, alles auf einem guten Weg. Ich widerspreche diesem Zwischenfazit und kann dies mit Blick auf das Thema Armut auch belegen. Sie haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, bis zum Jahr 2016 eine sächsische Präventionsstrategie zu erarbeiten. Es sollten Maßnahmen zum Abfedern der Folgen bestehender Armut sowie zur Minimierung von Armutsrisiken, insbesondere bei Kindern und Älteren entwickelt werden. Bis heute wurde nichts geliefert. Sie müssen aufpassen, dass Sie sich da nicht in allgemeinen Absichtserklärungen verlieren! Sie sind für mehr soziale Gerechtigkeit in Sachsen angetreten! Mit unserer Unterstützung können Sie dabei rechnen.“

„Kinderarmut im Freistaat Sachsen gemeinsam beseitigen“ (Parlaments-Drucksache 6/9430)

Die Rede von Susanne Schaper.

In eigener Sache: Lokaler Journalismus in Leipzig sucht Unterstützer

In eigener Sache (Stand Mai 2017): 450 Freikäufer und weiter gehts

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar