LZ/Auszug aus Ausgabe 58Wenn die Anger-Crottendorfer dieser Tage auf einem ihrer wichtigsten Plรคtze im Viertel entlang der Theodor Neubauer Straรe 60 Richtung Stรผnzer Park schlendern, geht es gegenรผber der ehemaligen Feuerwache im Osten eine ziemliche Weile an einer roten Backsteinmauer entlang. Eine zerbrochene Fensterfront und eine offene Tรผr. Im Innern gรคhnende Leere in weitlรคufigen ehemaligen Maschinenhallen, an der Rรผckfront herausgebrochenes Mauerwerk. Eine Spurensuche vor Ort.
Weiter oben wird beim Blick durch geborstene Oberlichter und aufs Dach deutlich: auf rutschendem Ziegelwerk hat sich ein kleines Wรคldchen aufgemacht zu wachsen, es grรผnt und fรคllt still vor sich hin und nach unten, was nicht oben bleiben will. Auf dem Boden mit 750 Kilopont Traglast noch im 5. Stock etwas Konfetti, die letzte Party ist offenbar nicht lang her. Er wirkt verlassen, bemalt und tot.
Doch die alte Fabrik aus dem Jahr 1913 ist robust. Als letzter Erweiterungsbau zur Maschinenfabrikation (Grafikgewerbe) vom damals bereits verstorbenen Grรผnders Karl Krause hinzugekommen, hat er bereits einen Brand und vor allem seine Schlieรung im Jahr 1994 bis heute รผberstanden. Unter Denkmalschutz gestellt, ist sie der imposante Hauptbau eines mittlerweile verschwundenen Gesamtkomplexes.
An der Hinterseite wurde ein Wรคldchen gerodet, das Gebiet zwischen dem ehemaligen VEB Polygraph und der Zweinaundorfer Straรe entlang dem alten Bahndamm hat einen neuen Besitzer. Oder besser zwei: einen, der Wald gern stehenlรคsst derzeit und einen, der ihn rodet.
Um die feste Substanz wissen auch die Investoren von der Dolphin Trust GmbH aus Hannover, in dessen Besitz sich der Hauptbau in Anger-Crottendorf seit einigen Jahren befindet. 2015 und 2016 meldeten sie sich kurz aber deftig zu Wort, von Eigentumswohnungen im gesamten Komplex zu 3.500 Euro den Quadratmeter und Stadtvillen im รคhnlichen Preissegment im Gebiet dahinter war die Rede. Baustart sei 2017.
Danach zog Ruhe ein, ein paar Birken wurden abgeholzt, vormalige Abhรคngungen verschwanden wieder wie auch das Firmenschild und am Ende stand im Sommer 2018 die Tรผr zur Fabrikhalle offen. Ein Zustand, der Anfang August 2018 eher an einen Rรผckzug des Investors als an eine Entwicklung des Gelรคndes glauben lieร. Doch die Verzรถgerungen haben gleich mehrere Grรผnde.
โBisher haben wir weder einen Bauantrag noch eine Bauvoranfrage gestellt, weil die Stadtverwaltung eine รnderung des B-Plans angekรผndigt hatโ, so Doplhin-Trust-Sprecherin Marlis Schrรถder auf LZ-Nachfrage. Bei der Stadt hรคlt man sich dazu bedeckt, doch auch im Anger munkelt man, dass es um mehr gehen kรถnnte. So kรถnnte man sich eine Viertel-E-Buslinie unter anderem zwischen Theodor-Neubauer- und Zweinaundorfer Straรe vorstellen โ entlang der Grundstรผckskante von Dolphin Trust. Und es gibt mit den Vermietern des โQuartiers Karl Krauseโ einen weiteren Eigentรผmer einer Teilflรคche auf dem Gelรคnde.
Hier ist alles fertiggestellt, aus dem ehemaligen Domizil der Unternehmerfamilie Krause ist โDie Villaโ am Weidenbachplan 1, โDie Remiseโ nebenan und โDas Torhausโ an der Zweinaundorfer Str. 55 -59 geworden. Und den Wald dazu hat das Vermieterpaar erst einmal stehen lassen. Was Dolphin zum Ausharren zwingt, โsobald uns genauere Informationen dazu vorliegen, werden wir unsere Planung an die neuen Vorgaben anpassen und kรถnnen dann auch konkrete Anfragen an die Stadt stellen. Auch der Abstimmungsprozess mit Eigentรผmern angrenzender Grundstรผcke ist noch nicht abgeschlossenโ, so Schrรถder.
Den derzeitigen Zustand vor Ort bedauert man in Hannover und verspricht Abhilfe. Die Sicherungsmaรnahmen seien โnicht durch die Dolphin Trust abgebautโ, heiรt es zu den nun fehlenden blauen Fangnetzen fรผr herunterfallende Ziegel. โWir bedauern sehr, dass Unbefugte das Gelรคnde betreten und die Sicherungsmaรnahmen zunรคchst beschรคdigt und dann entfernt haben. Wir รผberlegen derzeit wie wir das Gelรคnde nachhaltig vor unbefugtem Zutritt schรผtzen kรถnnen.โ
Bei der Stadtverwaltung glaubt man zum Anfragezeitpunkt August hingegen, es sei alles Bestens vor Ort: Natรผrlich seien โaufgrund von Witterungseinflรผssen und des Gebรคudezustandes wiederkehrende Gebรคudesicherungsarbeiten auszufรผhren.โ Doch so โwurden beispielsweise im August, September 2017 lose Dachteile und Wildwuchs entfernt, die Gauben mit Netz gesichert und ein Schneefangstutzen angebrachtโ. Das kleine Wรคldchen auf dem Dach scheint also sehr rasch gewachsen.
Zum maroden Dach heiรt es weiter: โIm Januar 2018 wurden nach dem schweren Orkan abermals lose Teile entfernt. Die Eingangsbereiche werden regelmรครig gesichert, unterliegen jedoch wiederholtem Vandalismus (letztmalig Juli 2018).โ Ein Bauvorantrag lรคge seitens der Dolphin Trust GmbH noch nicht vor, von Plรคnen eines neuen Bebauungsplanes sagt die Stadt Leipzig derzeit nichts.
An dem hรคngt jedoch alles aus Sicht der Dolphin: โDer Start des Projektes hรคngt vom B-Plan ab. Grundsรคtzlich betrachten wir das Projekt mit viel Zuversicht. Die Stadtverwaltung signalisiert uns groรes Engagement und Unterstรผtzung. Wir sind deshalb รผberzeugt schlussendlich eine Lรถsung zu finden, die alle Beteiligten, also uns als Projektentwickler, die Anwohner und die Stadtverwaltung, zufriedenstellt.โ
Apropos Anwohner. Wenn es bei den Planungen von einst bleiben sollte, sind fรผr eine Eigentumsloftwohnung bei beispielsweise 100 Quadratmetern immerhin 350.000 Euro fรคllig, 100 Wohnungen kรถnne man geschรคtzt wohl unterbringen. Bei der Dolphin รผberlegt man derzeit noch, ob man das Gelรคnde im Ganzen weiterverรคuรern oder selbst vermarkten will. Im persรถnlichen Telefonat zeigt man sich jedoch durchaus interessiert an den รถrtlichen Verรคnderungen, wie der Entwicklung in der โOstwacheโ gleich gegenรผber und dem Entstehen des neuen Radringes am sรผdรถstlichen Ende des Gelรคndes.
Ein wenig scheint es, als ob man in Hannover erst begonnen hat, sich wirklich mit dem Eigentum in Leipzig zu befassen.
Weitere Einblicke (alle Fotos: L-IZ.de)
Weitere Ausblicke (Alle Fotos: L-IZ.de)
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Die neue Leipziger Zeitung Nr. 58: Ein Mann mit dem Deutschlandhรผtchen, beharrliche Radfahrer, ein nachdenklicher Richter und ein hungriges Leipzig im Sommer 1918
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