Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausg. 63Der Widerstand gegen das sächsische Polizeigesetz wächst. Nachdem sich bereits im vergangenen November rund 1.500 Personen an einer Demonstration in Dresden beteiligt hatten, gingen am 26. Januar 2019 mehr als dreimal so viele Menschen auf die Straße. Nach Angaben von Polizei und Veranstaltern waren es diesmal rund 5.000 Demonstrierende.

Das Spektrum der Teilnehmenden war groß: Es reichte von Mitgliedern von Linkspartei und Grünen sowie deren Jugendorganisationen über antifaschistische Gruppen und die „Aufstehen“-Bewegung bis hin zu Fans von Dynamo Dresden, die am Ende des Aufzugs einen eigenen, aus mehreren hundert Menschen bestehenden Block bildeten. In einem linksradikalen Block waren zudem zahlreiche kurdische Fahnen zu sehen.

Das Bündnis „Polizeigesetz stoppen!“, das zu der Demonstration aufgerufen hatte, besteht aus etwa 40 Organisationen, darunter das Erich-Zeigner-Haus und die Piraten Sachsen, aber auch die Jugendorganisation der SPD. Das ist insofern bemerkenswert, als die Partei – gemeinsam mit der CDU – für die geplanten Änderungen im Polizeigesetz verantwortlich ist.

Geheimnisträger, Beschwerdestellen und „Gefährder“

Bei der Auftaktkundgebung auf dem Wiener Platz meldete sich zudem Ine Dippmann zu Wort. Die Vorsitzende des sächsischen Landesverbandes des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) erklärte ihre Solidarität mit den Demonstrierenden. Zwar sei es unüblich, eine solche Veranstaltung zu unterstützen, doch in diesem Fall seien die Medien selbst betroffen. Die Landesregierung möchte aus ihrer Sicht den Schutz von Berufsgeheimnisträgern einschränken, darunter Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten.

Das Bündnis sieht weitere zentrale Schwachstellen: die Ausweitung der Videoüberwachung, Aufenthaltsanordnungen sowie Kontaktverbote für „Gefährder“ und hierbei insbesondere eine unklare Definition des Gefahrenbegriffs. Die bereits im Begriff innewohnende juristische Unschärfe könnte es den Behörden in der Praxis ermöglichen, den bereits betroffenen Kreis Verdächtiger noch vor der Begehung einer Straftat und derer konkreten Verfolgung durch die Deklaration „Gefährdung“ systematisch auszudehnen.

Dem gegenüber steht die auch im neuen Polizeigesetz nicht existierende Möglichkeit, sich bei einer unabhängigen Stelle über Übergriffe und Rechtsverstöße von Polizeibeamten zu beschweren. Die von der Polizei selbst vorgehaltene Möglichkeit führte in der Vergangenheit in Leipzig bereits bei Beschwerden über Beamte zu (letztlich unbegründeten) Gegenanzeigen gegen beschwerdeführende Bürger. Das Problem bleibt demnach wie auch die fehlende Kennzeichnungspflicht der Beamten im Einsatz bestehen.

So werden sich auch weiterhin Polizeibeamten verpflichtet sehen, aus Karrieregründen eine Gegenanzeige zu stellen, während der Bürger sich auch bei einer berechtigten Beschwerde über polizeiliches Handeln mit einer Anzeige gegen sich selbst konfrontiert sehen dürfte.

Ein Prozedere, welches auch bei berechtigten Einwänden auch weiterhin zu einer niedrigen Zahl von Beschwerden gegen Polizeibeamten beitragen dürfte und nicht die herausragende Arbeit der sächsischen Polizei, wie Innenminister Roland Wöller (CDU) 2018 bei einer Veranstaltung in Leipzig mutmaßte.

Gemischte Gegnerschaft beim Polizeigesetz

Wenige Tage vor der Demonstration hatten CDU und SPD nach monatelangen Verhandlungen einen Kompromiss vermeldet: So verzichtet die SPD auf eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte. Im Gegenzug gibt die CDU bei Körperkameras und Onlinedurchsuchung nach; diese sollen nicht eingeführt werden.

Die Demonstration verlief ohne Zwischenfälle – abgesehen von gelegentlich abgebrannter Pyrotechnik. Allerdings kam es im Nachgang zu Diskussionen. Vor allem im Block der Dynamo-Fans befanden sich offenbar auch Personen aus dem rechten Spektrum; zudem bekundete eine Sprecherin zum Auftakt ihre Solidarität mit der „Gelbwesten“-Bewegung in Frankreich. Damit waren andere Mitglieder des heterogenen Bündnisses nicht einverstanden.

In Redebeiträgen wurden auch die jahrelangen, ergebnislosen Überwachungsmaßnahmen gegen Anhänger der BSG Chemie Leipzig thematisiert und allgemeine Überlegungen zur Funktion der Polizei und des Staates geäußert. So sagte ein Redner, dass eine herrschaftsfreie Gesellschaftsform ohne Polizei wünschenswert sei.

Im Vorfeld der Demonstration hatte unter anderem die Linkspartei zur Teilnahme aufgerufen. Die Landesvorsitzende Antje Feiks hatte dabei den juristisch fragwürdigen Gefährderansatz nochmals in den Fokus genommen: „Die von der Bürgerrechte-Abbau-Koalition geplanten neuen Polizeigesetze sind in der vorliegenden Form völlig inakzeptabel. Nach dem Gießkannenprinzip werden Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht gestellt. Die zentrale Einführung des Gefährder-Ansatzes ist eine schwere Hypothek für den Rechtsstaat. In spätestens fünf oder zehn Jahren wird sich manch einer die Augen reiben, was man alles möglich gemacht hat.“

Politische Folgen

Die Angst unter einigen Demonstranten hierbei: eben jene Mittel und Möglichkeiten könnten auch einer CDU/AfD-Koalition nach der kommenden Landtagswahl am 1. September 2019 in die Hände fallen. Zwar hat Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) diese Variante persönlich und für seine Partei stets ausgeschlossen, doch steht infrage, was innerhalb der Sachsen-CDU bezüglich dieser Koalitionsfrage geschieht, erreicht die unter dem „Team Kretschmer“ wahlkämpfende CDU tatsächlich deutlich unter 30 Prozent der Stimmen (39,4 Prozent im Jahr 2014). Vor allem in Ost- und Südsachsen sind die Schnittmengen zwischen CDU-Hardlinern und AfD vorhanden und gerade hier wird die CDU höchstwahrscheinlich die meisten ihrer bislang 59 von 60 möglichen Direktmandate vor allem an die AfD verlieren.

Was wiederum Kretzschmer und die liberaleren Kräfte in der CDU stärken könnte, würden so einige Direktkandidaten aus eben jenen Wahlbezirken zukünftig in der eigenen Fraktion fehlen.

Kommt es am 1. September 2019 anders und die Möglichkeit einer CDU/SPD/Grünen-Koalition rückt in verhandelbare Nähe, dürfte der CDU für das neue Polizeigesetz vor allem aus der grünen Richtung ein kalter Wind ins Gesicht wehen. Denn auch Christin Melcher, Landesvorstandssprecherin der Grünen, hatte sich ebenfalls zu der Demonstration und den geplanten Änderungen in der Sicherheitsarchitektur Sachsens geäußert: „Bürgerinnen und Bürger werden mit dem verschärften Polizeigesetz unter Generalverdacht gestellt. Gesichtserkennende Videoüberwachung, präventive Telekommunikationsüberwachung, der erlaubte Einsatz von Handgranaten und Maschinengewehren für Spezialkräfte – das sind allesamt Instrumente, die aus dem Gruselkabinett stammen. Ein Freistaat schützt seine Bürgerinnen und Bürger nicht, indem er die Freiheitsrechte abschafft.“

Wie und zu welchen Gelegenheiten Handgranaten überhaupt zum Einsatz kommen könnten, ist bis heute unklar. Während Maschinenpistolen längst zum Einsatzbesteck bei SEK und weiteren Einheiten der Polizei gehören, hat vor allem diese Bewaffnung bis heute mehr Fragen als Antworten gebracht. Zudem wird sich wohl jeder Beamte die bohrende Frage vor einem Granateneinsatz stellen müssen, inwieweit dabei der Grundsatz der polizeilichen Selbstverteidigung angesichts der breiten Explosionswirkung überhaupt noch gegeben ist.

Der sächsische Landtag soll nun in der turnusmäßigen Plenarsitzung am 13./14. März 2019 über das eher ungare Gesetz abstimmen. Die Gegenstimmen von Linken und Grünen sind sicher. Doch vor allem für die SPD dürfte der gefundene Kompromiss zu einer schweren Hypothek im anstehenden Wahlkampf werden.

Die Kampagne für das Sächsische Polizeigesetz führt in die Irre und verharmlost die Tragweite

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