Wenn Deutschland seine Klimaziele erreichen will, dann muss auch der Bausektor seinen CO₂-Fußabdruck deutlich verringern. Ein ganz zentrales Thema sind dabei die verwendeten Baustoffe. Der Ersatz von Beton durch Holz ist ein Weg, die Emissionen deutlich zu mindern. Die HTWK Leipzig bekommt jetzt eine Millionenförderung, um auch bei Beton selbst die CO₂-Emissionen deutlich zu senken.

2016 legte das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung mal eine Bilanz vor, was die Bauwirtschaft in Deutschland tatsächlich zu den jährlichen CO₂-Emissionen beiträgt. „Gemäß dem Klimaschutzplan 2050 der deutschen Bundesregierung wurden 2014 in Deutschland 902 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente emittiert (BMU 2016)“, konnte man da lesen.

11 Prozent Emissions-Anteil der Bauwirtschaft

„Die Nutzung und der Betrieb der Wohn- und Nichtwohngebäude in Deutschland verursacht gemäß den Berechnungen in dieser Studie insgesamt 297 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente. Davon wurden 117 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente durch Verbrennung der Brennstoffe verursacht. (…) Die direkten Emissionen der Bauwirtschaft (aus Bauprozessen) und die direkten und vorgelagerten Emissionen ihrer Zulieferer (Baustoffindustrie und weitere) im Inland betrugen 65 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente, wobei die Industrie insgesamt (41 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente) und die Energiewirtschaft (16.4 Mio Tonnen CO₂-Äquivalente) die wesentlichen Emittenten sind.“ (…)

„Die Zulieferer im Ausland verursachen weitere 35 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente. Insgesamt wurden durch die Herstellung, Errichtung und die Modernisierung der Wohn- und Nichtwohngebäuden (ohne Nutzung und Betrieb) in Deutschland basierend auf Daten von 2014 rund 101 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente emittiert.“

Die Bauwirtschaft trug also 11 Prozent zu den deutschen CO₂-Emissionen bei. Das ist für einen einzelnen Industriezweig eine Menge. Carbonbeton könnte dabei helfen, die Ressourcen zu schonen und die Emissionen zu senken.

Mehr als ein ressourcenschonender Baustoff

Carbonbeton kann einen essenziellen Beitrag zum klimagerechten Bauen leisten, denn im Gegensatz zum bislang üblicherweise verwendeten Stahlbeton spart der neue Baustoff Ressourcen wie Sand und Zement und hat eine deutlich bessere CO₂-Bilanz, meldet die HTWK zur neuen Millionenförderung für diesen Forschungsbereich.

Darüber hinaus biete Carbonbeton viele Ansatzpunkte für modernes Bauen. Beispielsweise könnten Heizungs- und Elektroinstallationen in Wände aus Carbonbeton integriert werden. Wie solche Anwendungen in die Wirtschaft überführt werden können, erproben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) in zwei neuen Forschungsprojekten gemeinsam mit Praxispartnerinnen und -partnern.

Multifunktionale Muster-Bauteile als Industriestandard

Muster-Bauteile aus Carbonbeton, die mit verschiedenen Wärmesystemen verbundenen sind, will ein Bündnis aus 15 Partnerinnen und Partnern aus Sachsen und Sachsen-Anhalt im Rahmen des Projekts „Industriestandard Carbonbeton (ISC)“ erarbeiten. Unter ihnen ist auch das an die HTWK Leipzig angegliederte Forschungs- und Transferzentrum (FTZ), das seit seiner Gründung vor 25 Jahren ein wichtiges Bindeglied zwischen der Hochschule und der regionalen Wirtschaft darstellt.

In den neuen Forschungsprojekten der HTWK Leipzig entstehen exemplarisch Fertigteile aus Carbonbeton, wie hier für ein Büro-Wandelement mit integrierter Elektroinstallation. Foto: Tobias Rudloff/HTWK Leipzig
In den neuen Forschungsprojekten der HTWK Leipzig entstehen exemplarisch Fertigteile aus Carbonbeton, wie hier für ein Büro-Wandelement mit integrierter Elektroinstallation.
Foto: Tobias Rudloff/HTWK Leipzig

Die beteiligten FTZ-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler entwickeln Elemente für integrierte Wand- und Flächenheizungen.

„Damit Wärmesysteme in die Bauteile integriert werden können, müssen verschiedene Voraussetzungen gegeben sein. Die elektrische Nutzung von Carbon ist neu und weder normiert noch standardisiert. Dazu gibt es keine Erfahrungen und dies gilt es nun in unterschiedlichsten Anwendungen zu erforschen“, sagt Tilo Heimbold, Elektrotechnik-Professor an der HTWK Leipzig und wissenschaftlicher Direktor des FTZ.

Außerdem analysieren die FTZ-Forschenden die Energiebilanz und Sicherheit aller im Projekt produzierten Muster-Elemente, entwickeln für die Bauteile standardisierte und automatisierte Fertigungsprozesse, testen im FTZ-eigenen EMV-Zentrum deren elektromagnetische Verträglichkeit und führen die gewonnenen Erkenntnisse in einem technischen Regelwerk zusammen.

Ziel des dreijährigen Forschungsprojekts ist die Entwicklung eines Industriestandards für Halbfertigbauteile aus Carbonbeton. Damit soll der Übergang zur Carbonbetonbauweise beschleunigt werden. Zur Umsetzung erhält das Bündnis seit Januar 2022 vom Bundesforschungsministerium rund acht Millionen Euro Fördermittel aus dem Innovations- und Strukturwandelprogramm „Rubin“. Rund 840.000 Euro entfallen auf das FTZ.

Nicht viel Platz für Installationsleitungen

In einem weiteren neuen Forschungsprojekt integrieren Forscherinnen und Forscher der HTWK Leipzig Elektro- und Datentechnik auf Basis des industriellen Kommunikationsstandards AS-Interface in Carbonbetonbauteile.

Denn Häuser aus Carbonbeton haben sehr schmale Wände, viel Platz für die zahlreichen Installationsleitungen, die sonst darin verbaut werden, bleibt nicht. Leitungen, Kabelkanäle und Schaltkästen sollten deshalb schon in der Bau- und Installationsphase reduziert werden.

„Durch AS-Interface kommunizieren zahlreiche Sensoren und Aktoren über ein und dasselbe Kabel miteinander. Selbst ihren benötigten Strom beziehen sie über dieses Kabel. Das spart Materialien und macht das System ausgesprochen robust und fehlersicher“, erklärt Projektleiter Heimbold, der seit rund 30 Jahren AS-Interface mitentwickelt.

Die Technologie ist heute weltweit millionenfach im Einsatz und ermöglicht automatisierte Prozesse in Flughäfen, Fabriken und Gebäuden. Heimbold: „AS-Interface wird hauptsächlich in der Industrie verwendet. In unserem Forschungsprojekt wollen wir die Vorzüge der Technologie nun auch für Wohn- und Bürogebäude nutzbar machen.“ Exemplarisch sollen deshalb Fertigteile für ein Büro-Wandelement entstehen.

Hergestellt werden diese im neuen Carbonbetontechnikum der HTWK Leipzig. Betonbau-Professor Klaus Holschemacher erklärt: „Wir forschen seit Jahren zum neuen Baustoff Carbonbeton. In unserer neuen Versuchshalle zeigen wir die vollautomatisierte Herstellung von Carbonbetonbauteilen im Modellmaßstab.“

Für das Projekt „WallConnect“ stellt das Bundeswirtschaftsministerium aus dem Technologietransfer-Programm „Leichtbau“ bis Frühjahr 2024 ein Gesamtbudget von rund 1,5 Millionen Euro zur Verfügung. Ein Drittel davon entfällt auf die HTWK Leipzig.

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