Dieses Jahr ist ein großes Jahr für Gundula Schulze Eldowy. In Berlin eröffnete am 9. Dezember die Ausstellung "Gundula Schulze Eldowy - Die frühen Jahre" im C/O Berlin - International Forum Visual Dialogues. Bis zum 26. Februar ist sie dort zu sehen. Und kurzerhand legte der Lehmstedt Verlag ein drittes Buch der 1954 geborenen Fotografin vor.

“Nach ‘Berlin in einer Hundenacht’ und ‘Am fortgewehten Ort’ präsentieren wir nun erstmals in Buchform die komplette Serie ihrer Farbfotografien aus den Jahren 1982 bis 1990”, teilte Verleger Mark Lehmstedt dazu mit. Das Buch ist da. Und zeigt nun, was eine kritische Fotografin ins Bild bannt, wenn sie sich auf die Tabus der modernen Welt nicht einlässt. Denn die ach so freizügige moderne Gesellschaft ist voller Tabus. Es ist eine Werbewelt, in der das Hässliche, Blutige, Verstörende keinen Platz hat. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.

Und das ist nicht erst so, seit Waschmittel alles weißer als weiß waschen. Das war auch in der einstigen DDR so, diesem komischen Land, das nun in der Erinnerung wie ein schäbiger Reisekoffer aussieht, auf dem die Ikonen kleben – die Aufmärsche, Händeschütteleien, fröhlichen Bauarbeiter und strammen Mauerwächter. Dass sich dahinter eine Zivilisation ganz im modernen Sinn entwickelte, wird auch gern verdrängt. Das paternalistisch verwaltete Land ging geistig durchaus ähnliche Wege wie die so gern gerühmte westliche Zivilisation. Man wollte modern sein und tat alles, auch die moralischen Standards der westlichen Konsumgesellschaft zu übernehmen.

War zwar so nicht geplant. Und die rissigen Mauern der Städte und die dampfenden Schlote suggerierten etwas anderes. Es war ein schizophrenes Land. Und was in den eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Fotografien, die unter anderem in der Lehmstedt-Reihe “Bilder und Zeiten” veröffentlicht wurden, teilweise noch still, zurückhaltend und wie aus einem anderen Jahrhundert fern hinter den Bergen wirkt, bekommt in Farbe beklemmende Nähe und Aktualität.

Es war ja nicht wirklich leicht, in der DDR etwas in Farbe zu fotografieren. Das Material war nicht unbedingt das beste, was so im Lande verfügbar war. Doch die Fotografien, die Gundula Schulze Eldowy seit 1982 anfertigte, zeigen, dass es trotzdem möglich war, damit eindrucksvolle Blicke in die Wirklichkeit des Landes zu wagen. Und sie wagte etwas. Sie wagte sich an die Orte, die auch in der DDR nicht als Orte des Vorzeigbaren galten – in Krankenhäuser, Altenheime, Schlachtereien. Ihre Fotos zeigen die Rückseite der Kulisse, die tatsächlich die Vorderseite des Landes war.

Sie hat Türen geöffnet, die auch die mutigeren Fotografen in der DDR eher nie öffneten, und hat sich auch mit den Momenten konfrontiert, die das Leben tatsächlich ausmachen. Sie spricht von Zyklen der Erneuerung. Und ihr Vorwort, das eigentlich wieder ein Essay über das Leben auf Erden geworden ist, würde fast ätherisch wirken, würden dem nicht die Bilder folgen, die sie in der DDR garantiert nie hätte zeigen dürfen. Angefangen mit den Bildern direkt aus dem Kreisssaal, dem Ort, an dem der Mensch das Licht der Welt erblickt – unter schmerzhaften, blutigen Umständen. Solche Bilder aus dem Reich der Geburt hat man so noch in keinem Bildband gesehen.

Sie braucht das Trauma nicht zu beschreiben, das jede Geburt ist – und Zangengeburten erst recht. Unter heutigen Bedingungen mag das alles weniger martialisch aussehen. Doch man ahnt bei diesen Bildern nicht mehr nur, was Frauen auf sich nehmen, wenn sie Kinder gebären – man sieht es. Das Kind wird dieser Momente später nie bewusst. So wie der Mensch das Meiste, was ihn in frühen Jahren schmerzt und verwundet, irgendwann vergisst oder verdrängt. Mit Folgen. Das weiß man eigentlich. Im Westen noch ein bisschen länger als im Osten.

Dass auch Krankheiten wie der Krebs in manchen Verdrängungen und Verwundungen ihre Ursachen haben können, auch das weiß man. Manchen zeichnet das schon früh. Und es prägt menschliches Handeln. Deswegen korrespondieren die Fotos, die an völlig verschiedenen Orten aufgenommen wurden, auch  miteinander. Auch und gerade in ihrer Zerrissenheit – die Bilder der komplizierten Geburt mit denen der zerstörten Leipziger Ostvorstadt und denen aus einem Dresdener Schlachthof. Aber auch mit denen aus den dunklen Arbeitswelten in den alten, heruntergekommenen Fabriken des Landes und den gezeichneten Körpern der Menschen, die Gundula Schulze Eldowy Modell nackt standen.

Einige der Geschichten hinter diesen Bildern kennt der Leser aus dem Buch “Am fortgewehten Ort”. Im Vorwort wird auch noch einmal jener brisante Moment im Jahr 1989 erwähnt, als die Stasi kurz davor war, die Künstlerin in  ihre Fänge zu bekommen. Denn ihre Fotos, die so nackt aus dem wirklichen Leben im Land berichteten, hatte sie auch in die westliche Hemisphäre versandt.

Das kommt einem im Jahr 2011 so vertraut vor, denn dasselbe geschieht ja immernoch Künstlern aus Ländern wie der Ukraine, China, Russland, dem Iran. Nie war so deutlich, dass das, was da im Osten Jahrzehnte regierte, nur lackiert war als ein heiliger Gral. Dahinter funktionierten die alten immer gleichen Ängste der Macht, die sich alle gleichen, egal, welche Uniformen die Machthaber tragen. Vor einem haben sie immer Angst: dass die Wahrheit über sie und ihr Reich bekannt wird. Das ist wahrscheinlich sogar einer der besten Maßstäbe, wie offen und menschlich eine Gesellschaft tatsächlich ist – wieviel sie an Einblicken in die Wirklichkeit tatsächlich zulässt. Und wie wenige Verbotsschilder im Lande stehen.

Das andere Maß sind dann die weggesperrten, zensierten oder vor den Kadi gezerrten Künstler und auch Journalisten. Denn in gewisser Weise ist das, was eine mutige Person wie Gundula Schulze Eldowy  abgelichtet hat, auch journalistisch. Auch wenn sie die Namen nicht dazu schreibt. Manches Foto wäre, so wie es ist, auch heute noch ein Eklat. Und nicht ohne Sinn erscheinen in diesem Band noch einmal Fotos der Alten, Nackten und Geschundenen im Altenheim, bevor unverhofft der Strom der Demonstranten über den Leipziger Ring flutet.

Da wird noch etwas deutlich, was nichts mit Kirche, Partei und Sozialismus zu tun hat und was in den Hahnenkämpfen der Gegenwart erst recht immer wieder untergebuttert wird: Diese friedlichen Demonstranten waren auch deshalb so humorvoll und friedlich, weil sie weder einen Staat bekämpften noch eine Wahl gewinnen wollten. Selbst viele Transparente erzählen davon, dass Viele einfach auf die Straße gingen, weil sie ein Leben in Würde und Selbstbestimmung haben wollten. Denn die Stasi (deren Dresdner Bezirkszentrale auf den Seiten 136 und 137 von den Bürgern gestürmt und von den Uniformierten verteidigt wird) zersetzte ja nicht den “Feind”, den sie überall roch. Sie zersetzte die Würde, die Selbstachtung und das Vertrauen der Menschen.

Und so sieht man bei Schulze Eldowy eben nicht die plakative Äußerlichkeit des Landes, sondern die Menschen in ihren Verwundungen, Einsamkeiten und auch in ihrer Verzweiflung. Denn wenn das Leben nicht mehr aushaltbar ist, weil das Misstrauen und die Missgunst regieren, dann flüchtet mancher – mancher in die Sucht, mancher auch in Aggressivität.

Und da fängt man schon an, nachzudenken darüber, wie ähnlich sich moderne Gesellschaften darin sind. Auch die Autorin tut es. “Ein verletzter Mensch ist jenseits seines Kraftpotentials”, schreibt sie. “Er ist nicht das, was er ist. Er ist jemand Anderes, jemand Fremdes. Die Verletzung ist allerorten.”

Wer um seine Verletzungen nicht weiß oder nicht wissen will, der wird selbst wieder zum Zerstörer. Das war auch die Tragik der Elite in der DDR. Und es ist die Tragik aller Generationen, die aus diesen Kreisläufen nicht herauskommen. Das ist nicht erledigt mit der Friedlichen Revolution. Noch lange nicht. Die Bilder verblüffen auch 20 Jahre später noch. Denn da, wo der Mensch tatsächlich sich selbst begegnet, ist er auch heute und künftig allein – bei der Geburt, im OP-Saal, in der Sterbestunde. “2011 wirken diese Bilder wie Vorwehen einer viel umfassenderen Auflösung”, schreibt Schulze Eldowy. “Diesmal löst sich eine ganze Welt auf. Nicht nur ein Land.”

Es gibt zu denken, welchen Mächten wir diese Welt anvertraut haben und immer wieder anvertrauen in der Hoffnung, die würden  das Ganze wieder menschlicher machen. Doch das braucht, wie es aussieht, eine wesentlich ehrlichere Sicht auf uns selbst und unsere Welt. Auch wenn das immer wieder auch schmerzhafte Bilder sind. Wie diese.

Gundula Schulze Eldowy “Der große und der kleine Schritt / The big and the little step. Fotografien / Photographs 1982-1990”, Ausgabe in deutscher und englischer Sprache, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2011, 29,90 Euro

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