Hoch her geht es an diesem Wochenende in der Musikalischen Komödie in Lindenau. "Allen Schließungsdebatten zum Trotz" feiert das Haus am Wochenende sein 100jähriges Jubiläum. Ende 1912 öffnete der große "Conzert- und Ballsaal" seine Pforten. "Ich habe alles dokumentiert", sagt Muko-Freund Leonhard Czernetzki über sein neuestes Buch zur die Geschichte des Hauses.

Von 1960 bis 2001 wirkte der Violinist Czernetzki in einem der beiden letzten verbliebenen deutschen Operettentheater als 1. Konzertmeister. Seitdem engagiert er sich als Vorsitzender des Vereins der Freunde und Förderer der Musikalischen Komödie Leipzig. Die erste Geige spielt Czernetzki zudem im Kammerorchester der Leipziger Theater.

Mit dem Bild- und Textband “100 Jahre Theaterbau Haus Dreilinden. Spielstätte der Musikalischen Komödie” bringt Leonhard Czernetzki fĂĽr die Muko-Förderer bereits das dritte Buch rund um die Kulturstätte im Westen der Stadt heraus. Und zwar punktgenau zum 100jährigen Jubiläum des Hauses in seiner heutigen Form.

Als Mehrfarbdruck bekommt der Leser erstmals ganz besondere Zeitdokumente zu sehen: einen Lageplan zum Gesamtprojekt der Blockrandbebauung zwischen Dreilinden- und LĂĽtzner StraĂźe, Fassadenskizze und Bauzeichnungen zum groĂźen Saal beispielsweise. Und alles original aus dem Hause des Architekten Friedrich Otto Gerstenberger, der das Projekt 1912 realisierte.

Ganz modern als Eisenbetonkonstruktion wurde der Saalbau realisiert. Auch hierbei kann der Autor auf zeitgenössische Fotografien zurückgreifen.Gasthaus seit 500 Jahren

Einen Gasthof am späteren Haus “Drei Linden” soll es schon ein halbes Jahrtausend geben. Als man noch mit Pferd, Wagen und Kutsche reiste, mussten Raststätten eben näher beieinander liegen als heute. Und potentielle Gäste gab es an dem bedeutenden Handelsweg, den jeder Leipziger ABC-SchĂĽtze als Via Regia in der Schule lernt, reichlich.

Diese HandelsstraĂźe war immer auch HeerstraĂźe. Folglich soll hier natĂĽrlich auch einmal Franzosenkaiser Napoleon ĂĽbernachtet haben. “Drei Linden” wurde ihm am 19. Oktober 1813 zum RĂĽckzugsort nach der Niederlage in der Völkerschlacht am Platze. Doch nach Russland-Desaster und verlorener Völkerschlacht zog der Empereur flugs weiter nach Westen. Wie wir Nachgeborenen wissen, letztlich seinem finalen Waterloo entgegen.

Als Leipzig im späten 19. Jahrhundert zur Großstadt wurde und die ersten Pferdebahnen in die Vorstädte fuhren, avancierte der Ausspann in Lindenau zum Ausflugslokal mit allerlei Amüsement. Die Wohnungen waren damals klein und Heimelektronik noch nicht erfunden. Das war die große Zeit der Tanzlokale und Varietétheater.

Bereits aus dieser Zeit um die vorletzte Jahrhundertwende zeigt Czernetzkis Buch ausdrucksstarke Zeitdokumente. Doch das bildet immer noch die Vorgeschichte.Leipzig wuchs auch zu jener Zeit rasant. So sollte auch das “Haus Dreilinden” ausgebaut werden. Doch zwischendurch ging dem Investor finanziell die Puste aus. Wie gut, dass die groĂźen Event-Lokale jener Zeit die Gewähr eines umfangreichen Bierausschankes boten. So lieĂź die ortsansässige Brauerei C.W. Naumann den Bau samt groĂźem “Concert- und Ballsaal” vollenden. Zum Jahresende 1912 war es vollbracht.

Auch das ist Leipziger Stadtgeschichte, wenn auch in diesem Buch nicht zu finden: Am Abend des 23. Mai 1913 erlebte das Haus Drei Linden einen besonderen Festabend. “Feier des 50jährigen Bestehens der deutschen Sozialdemokratie” lautete der offizielle Titel. Punkt 8 Uhr abends soll es losgegangen sein. FĂĽr die musikalische Umrahmung sorgte der Leipziger Arbeiter-Sänger-Chor. Weil die Sozialdemokratie damals, gerade in Leipzig, noch eine richtige Massenpartei mit groĂźem Publikumszuspruch war, fand das Ereignis in insgesamt vier groĂźen Sälen der Stadt zeitgleich statt.

Doch zurück zu Czernetzkis Buch: Wie aus dem Bierlokal ab 1918 ein Varietétheater wurde, ist ebenso in Wort und Bild liebevoll dokumentiert. Es folgt die Zeit als Spielstätte für Oper und Konzert. Die begann im vorletzten Kriegsjahr 1944, nachdem das Opernhaus in der Innenstadt eines der vielen Opfer des alliierten Luftangriffs vom 4. Dezember 1943 geworden war. Dieses Interim dauerte bis 1960 an, als der Opern-Neubau auf dem damaligen Karl-Marx-Platz eröffnet wurde.

Nach der Befreiung Leipzigs von der NS-Herrschaft nutzte die US Army das Haus zuerst fĂĽr die kulturelle “Truppenbetreuung” ihrer Soldaten. Zu den Dokumenten der späteren Nachkriegszeit gehören ein Foto der heutigen Muko mit der Aufschrift “?????” in der Schrift der sowjetischen Besatzungsmacht sowie eine Querschnittszeichnung des BĂĽhnen-Umbaus der “Not-Oper Drei Linden” aus 1952.

Die Schilderung der kĂĽnstlerischen Spitzenleistungen im späteren Operetten- und Musicaltheater “Musikalische Komödie” geht einher mit der Darstellung der zunehmenden baulichen Probleme in der Spätphase der DDR.

Feiern “allen SchlieĂźungsdebatten zum Trotz”Dieser Kampf um den Erhalt der Spielstätte und die Sanierung des Hauses hält bis heute an. “Gleichwohl ist der eingeschlagene Weg, um Leipzigs architektonisches Kleinod langfristig zu erhalten und es gemäß den Erfordernissen eines weit ĂĽber die Stadtgrenzen hinaus gelobten Operetten- und Musical-Ensembles auszustatten, nur in Etappen realisierbar”, schreibt OberbĂĽrgermeister Burkhard Jung (SPD) in seinem GruĂźwort am Beginn des Buches. Jung gibt sich ĂĽberzeugt, dass bĂĽrgerschaftliches Engagement die Rekonstruktion beflĂĽgeln werde.

Dabei ist Jung insofern Hausherr, als er die Muko als Teil des Eigenbetriebes Oper vor zwei Jahren seiner direkten Zuständigkeit unterstellt hat. Es braucht also für die Zukunft der Muko die Grundsatzentscheidungen des Trägers der Kultureinrichtung: der Stadt Leipzig und ihrer Gremien. Wie die nächsten Etappenziele aussehen könnten, hat Leonhard Czernetzki am Ende seines Buches aufgeschrieben.

Doch am Wochenende wird erst einmal gefeiert – “allen SchlieĂźungsdebatten zum Trotz”, wie es die Leipziger Oper mitteilt. Das passt zum Genre Operette, das unter anderem mit der Lebensweisheit “GlĂĽcklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist” aufwartet.

Das Festprogramm soll an die Höhepunkte des Hauses erinnern. “Neben Klassikern der leichten Muse von Offenbach ĂĽber StrauĂź bis Lehár, erklingen ebenso Werke, die heute zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind”, so die Oper weiter. Mit letzteren sind beispielsweise Guido Masanetz? “In Frisco ist der Teufel los” oder Robert Stolz’ “Die Trauminsel” gemeint.

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Der Operettensänger, Musicaldarsteller und ConfĂ©rencier Patrick Rohbeck wird durch das Programm fĂĽhren. Darin sehen die Programmmacher den “Schulterschluss zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dieses Hauses” verkörpert. Das nehmen wir jetzt mal als Fingerzeig an die Lokalpolitik und ein Indiz fĂĽr die nächsten 100 Jahre Muko.

Buchtipp: Leonhard Czernetzki “100 Jahre Theaterbau Haus ‘Dreilinden’. Spielstätte der Musikalischen Komödie”, Herausgeber: Freunde und Förderer der Musikalischen Komödie Leipzig e.V., Leipzig 2012

Veranstaltungshinweis: “100 Jahre Musikalische Komödie”, Festakt anlässlich des 100jährigen Jubiläums der Einweihung der Spielstätte im Haus Dreilinden, Premiere: Samstag, 10. November, 19 Uhr, AuffĂĽhrung: Sonntag, 11. November 2012, 15 Uhr, Musikalische Komödie, DreilindenstraĂźe 30.

www.oper-leipzig.de/

www.operette-leipzig.de

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