Wo ein Band für Mama drin ist, denkt man, sollte doch auch einer über Papa drin sein. Ein Dankeschön-Bändchen, das glückliche Töchter und wohlgeratene Söhne dem alten Burschen klammheimlich unter den Baum oder in den Strumpf geschoben haben. Aber haben sie das? - Wird es nicht eher so sein, dass sich das rote Bändchen "Liebe Mama ..." zehn mal öfter verkauft als das blaue für Papa?

Der Buchverlag für die Frau wird’s sehen und vielleicht irgendwann verraten. Das Gefühl aber ist da nach dem Durchblättern dieses zweiten Dankeschön-Bändchens von Barbara Brüning, in dem sie nun lauter Gedichte und Zitate zum Vater der Familie gesammelt hat. Und die Auswahl verrät eine Menge. Vielleicht zuerst über die Herausgeberin, die dabei natürlich mit ihren Augen filtert. Was ist Papa eigentlich in den Augen der Kinder? – Augenscheinlich eine diffuse Gestalt, viel schlechter zu fassen als Mama. Eher eine moralische als eine emotionale Instanz.

Das gibt zu denken. Ist denn die Rolle des Mannes tatsächlich nur die des ständig mit Arbeit Beschäftigten, der den Zeigefinger hebt und die Kinder belehrt – sich aber selbst nicht dran hält, wie die neunjährige Antje feststellt? Oder warum sind so viele Texte mit Gedanken zur Erziehung drin? Und mit der Frage nach dem “guten Beispiel”? Ist das Vaterbild in der Literatur tatsächlich nur dadurch geprägt? – Das wäre schrecklich. Aber typisch deutsch. Sonst hätte sich so ein Schiller-Spruch nicht schon wieder in die Sammlung verirrt: “Arbeit ist des Bürgers Zierde, Segen ist der Mühe Preis.”Gerade Schiller, dieser Räuber. Aber wenn man an Schiller denkt, denkt man nicht an Schiller als Vater. Der existiert in der Schiller-Rezeption quasi nicht – obwohl der Dichter Vater mehrerer pfiffiger Kinder war. Seine Tochter Emilie Friederike Henriette wurde selbst eine bekannte Autorin. Aber das ist in fast allen Schiller-Rezeptionen, als gäb’s das nicht. Dafür poltert Schillers Vater, der Wundarzt Johann Caspar Schiller durch die Geschichte. Und natürlich Herzog Karl Eugen, dieser Möchtegern-Landesvater für seine Untertanen und Kadetten. Was natürlich auch ein Teil der deutschen Probleme mit dem Vaterbild ist: Über Jahrhunderte maßten sich kleine und große Despoten die Vaterrolle auch über die minderjährigen Untertanen an.

Und als die Frauen begannen, von ihrer Emanzipation zu reden, vergaßen sie anfangs völlig, genauer hinzuschauen – die Männer waren noch viel weniger emanzipiert. Und es ist in dieser Zitatauswahl wieder zu lesen. Der Vater wird als Lehrer, Moralist, Arbeitender, Planer und “Charaktermensch” gezeichnet, als Baumpflanzer, Entscheider. Aber eigentlich von vorn bis hinten als Abwesender.

“Die beste Arbeit, die man tun kann, ist das, was man ohne Lob in der Stille tut”, zitiert Barbara Brüning nun ausgerechnet Vincent van Gogh, der zeitlebens seine Schwierigkeiten mit der Sohnesrolle hatte. Natürlich kommt die verzwickte Rolle, die Männer Jahrhunderte lang spielen mussten (und die einige auch im 21. Jahrhundert noch nicht wagen aufzugeben) in der Zitatauswahl ins Bild. Natürlich sehen auch Kinder, dass dieser arbeitende abwesende Vater nicht alles sein kann. Und natürlich spricht auch die Tochter selbst, wenn sie in Sachen Papa sehr ausführlich über das Thema Erziehung nachdenkt. Und das ausgerechnet im Kapitel “Kinder sind k(l)eine Engel”.

Aber warum hat man dabei das Gefühl, es müsste betont werden, dass Papa für die moralische Vorbildwirkung in den frühen Kindertagen verantwortlich ist? – Ist er es nicht? Füllt er seine Rolle nicht aus? Oder liegt es einfach daran, dass er nie da ist, wenn man ihn eigentlich braucht? Als Tröster, Mutmacher, Zuhörer.

Was steckt in so einem Zitat von Fröbel: “Erziehung ist Beispiel und Liebe, sonst nichts.”? Wissen oder Wunsch? Der Wunsch, dass es vielleicht anders sein sollte, als es ist. Nicht nur für Töchter. Auch für Männer, die – man merkt es ja beim Lesen – zwischen Baum und Borke klemmen. Emotionale Männer haben es nicht nur schwer. Wenn es um Weichenstellungen auf der Karriereleiter geht, werden die eiskalten Macher bevorzugt, die Typen, die auch dann nicht in Selbstzweifel verfallen, wenn die Projekte gegen den Baum laufen.Man findet unter den berühmten Frauen viele echte Muttergestalten. Aber unter den berühmten Männern findet man keinen, den man als Vater haben wollte – lauter Egomanen, Schreihälse, Gockel, Lügner und Brandstifter. Und die anderen, die man als Gefährte akzeptieren würde, sind in den Busch gegangen – wie Albert Schweitzer.

Vielleicht ist es wirklich mal Zeit, die Sache als große Studie anzulegen: Was wünschen sich Männer wirklich? Und wieviel Druck erleben sie tagtäglich, so sein zu müssen, wie sie niemals sein wollten? – Natürlich hadern Väter damit. Die einen aus ganzem Herzen, die andern lieber in der Stille. Egal, für welchen Weg sie sich entscheiden – es ist jedes Mal der falsche. Oder wäre es jetzt an der Zeit, das zu ändern? Auch den Blick auf das Erreichte zu ändern? – “Jede Generation lächelt über die Väter, lacht über die Großväter und bewundert die Urgroßväter”, zitiert Barbara Brüning ein großes falsches Wort von William Somerset Maugham. Ein Wort, das trotzdem stimmt, weil es den Konflikt beschreibt: Männer, egal, was sie tun, werden oft und gern an den Maßstäben eines vergangenen Jahrhunderts gemessen. Und viele lassen das auch mit sich tun. Wäre es anders, die Parlamente säßen nicht voller Männer in schwarzen Anzügen.

Versammlungen von Toten, die nicht mal ansatzweise den Mut haben, anders zu sein, sie selbst vielleicht. Rollenspieler bis zum körperlichen Zusammenbruch.

Und sie tun das, weil ein Haufen Leute glauben, das müsse so sein, nur das sei seriös.

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Lieber Papa …
Barbara Brüning, Buchverlag für die Frau, 5,00 Euro

Auf was für Gedanken man kommt, wenn man so ein Papa-Buch liest, in dem Papa augenscheinlich gar nicht vorkommt. Vielleicht hat er ja seinen Anzug ausgezogen und ist draußen im Garten und bosselt vor sich hin. Aber was sagt man ihm, wenn er von sich selbst nie was sagt? – Da bekommen nicht nur Töchter so ihre Fragen. Die Väter, die das kleine blaue Büchlein zu Weihnachten bekommen haben, vielleicht auch. Wenn sie es lesen. Denn Lesen ist ja eigentlich Frauensache. Männer bekommen eher solche nützlichen Dinge wie einen guten Whisky, eine Schachtel Zigarren, einen neuen Schlips, Socken oder schöne bequeme Hauslatschen geschenkt.

Kind, du weißt doch, dass dein Vater nur die Zeitung liest. Und da auch nur den Sportteil …

Aber er könnte doch …

Aber wo kämen wir hin, wenn Männer anfingen, aus der Rolle zu fallen und Gefühle zu haben? – Vielleicht an einen Anfang.

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