Irgendwann in den nächsten Tagen ist es wieder soweit. Dann taut das Eis auf den letzten Lachen, dann trocknen die Wege, die Schneefelder in den Leipziger Auen verschwinden und aus dem eben noch matschigen Boden drängt es grün, gelb, weiß hervor: Dann blüht der Auwald. Der Leipziger bestes Stück, auch wenn nicht jeder alles weiß über dieses Stück gestaltete Natur. Ein Taschenbuch hilft jetzt beim Kennenlernen.

Der ENEDAS e.V. hat es herausgegeben, Verein zur Förderung der Umweltbildung und Umweltforschung. Der Name ist eigentlich eine angelsächsische Abkürzung: Environmental Education und Science. Die deutsche Abkürzung wäre also UUU e.V. Kann man sich auch gut merken. Und man merkt auch beim Lesen: Hier haben sich Wissenschaftler zusammengetan, um dem waldliebenden Leipziger Volk ihr Biotop auch wissenschaftlich fundiert nahe zu bringen. Drei Dipl.-Biologen bilden den Vorstand. Aber andererseits: Wenn sich nicht so viele Vereine mit allen ihren Möglichkeiten für die “grüne Lunge Leipzigs” einsetzen würden, wäre sie in Gefahr.

Sie ist kein Urwald. Seit Jahrhunderten nicht mehr, wohl eher seit Jahrtausenden. So ungefähr seit 7.500 Jahren siedeln Menschen an den Ufern der mitteldeutschen Flüsse. Archäologische Grabungen auf den Uferhöhen haben ihre Siedlungsspuren zu Tage gebracht. Flussauen waren damals die wichtigsten Siedlungsgebiete der Menschen. Hier versperrte ihnen kein dichter Wald die Welt, hier gab es fruchtbare Böden in Gewässernähe. Und da die Flüsse bis in die Neuzeit nicht gebändigt waren und Hochwasser in den Auen die Regel waren, wurden diese auch nicht bebaut und zersiedelt. So dumm waren tatsächlich erst die Menschen des 20. Jahrhunderts, die sich sogar teure Eigenheime in den Überschwemmungsgebieten aufschwatzen ließen. In einem unerschütterlichen Glauben an die technischen Wundertaten der Deichbauer.

Vor 90 Jahren änderte sich das Leipziger Auensystem grundlegend, wurde mit gewaltigen Regulierungsmaßnahmen eingegriffen, die alte Elster zugeschüttet, das Elsterbecken geschaffen, der Auwald trocken gelegt. Deswegen hat er heute ein Problem. Ihm fehlen die Überschwemmungen.
Und die Frage ist durchaus: Wollen die Leipziger sich das Kleinod bewahren? Oder wollen sie es opfern?

Denn ein Wald, der trocken steht, verändert sich. Neue, schnell wachsende Baumarten siedeln sich an, verdrängen die wasserresistenteren Arten – die Ulmen, Eichen und Hainbuchen. Da und dort sieht man die alten Riesen noch stehen. Einige von ihnen hunderte Jahre alt. Doch Eschen und Ahorn erobern den Raum. Auf Seite 24 erläutern die Autoren dieses reich bebilderten kleinen Auwaldführers die Sache mit den Bäumen und der Zusammensetzung des Waldes. Die nicht nur mit den einst regelmäßigen (Frühjahrs-)Überflutungen zusammenhängt (die man jetzt künstlich versucht zu kopieren). Sie hängt auch mit der jahrhundertealten Art der Bewirtschaftung des Waldes zusammen. Der Leipziger Auwald war ein Nutzwald, er wurde beweidet und das Unterholz wurde regelmäßig zur Befeuerung aus dem Wald geholt. Die großen Bäume blieben stehen – als künftiges Bauholz. Es entstand ein Mittelwald und zwar spätestens im Mittelalter – eine Form der nachhaltigen Waldbewirtschaftung, noch bevor Hans Carl von Carlowitz 1713 den Begriff Nachhaltigkeit prägte. Ein aus der Not geborener Begriff. Denn gerade der exzessive Bergbau im Erzgebirge führte auch zum Raubbau an den Wäldern. Die (Ober-)Sachsen mussten erst wieder dazu gebracht werden, den Wald pfleglich zu behandeln und auch an die künftigen Generationen zu denken. Das vergessen nicht nur die Sachsen gern.

Noch zeigt der Leipziger Auwald den Artenreichtum, der sich hier über die Jahrhunderte mit pfleglicher Bewirtschaftung und regelmäßiger Flutung entwickeln konnte. Doch der Artenreichtum schmilzt. Im 19. Jahrhundert konnten hier noch ungefähr 900 Farn- und Samenpflanzenarten gezählt werden, aktuell sind es noch etwa 750 – 21 Prozent stehen auf der sächsischen Roten Liste, sind also vom Aussterben bedroht. Von den 80 unterschiedlichen Moosen sind 34 Prozent vom Verschwinden bedroht, von den 42 Säugetierarten im Auwald sind 45 Prozent extrem selten geworden, von den 105 Brutvogelarten immerhin 31 Prozent …

Der (noch existente) Artenreichtum der Pflanzen bedingt den Reichtum der Tierwelt, aber auch die Existenz verschiedener stehender und fließender Gewässer und die teilweise Bewahrung von ungestörten Bruträumen spielen eine Rolle. Wer regelmäßig im Auwald unterwegs ist, weiß, was da eine motorisierte Wasserschifffahrt bedeuten würde. Die zudem auch – anders als noch vor 100 Jahren – auf ein deutlich reduziertes und kanalisiertes Gewässersystem trifft.

Die Tabelle mit den im Auwald heimischen Arten findet man auf Seite 50 – nachdem die ENEDAS-Autoren den Leser mitgenommen haben auf einen Spaziergang durch die Jahreszeiten. Denn der Auwald verändert sich ja auch im Festkreis des Jahres. Wenn der Schnee taut und die Sonne den Boden aufheizt, dann beginnt der Auwald zu blühen. An manchen Stellen so bunt, dass man ein Pflanzenbestimmungsbuch braucht, um die Blütenpracht mit Namen benennen zu können. Für Manchen ist das die schönste Zeit im Auwald – bevor sich die Baumkronen belauben.

Es gibt ein ausführliches Kapitel zur Geschichte des Auwaldes in diesem Buch, es gibt auch eines, das auf die vielfältigen Freizeitaktivitäten im Auwald eingeht – und den Leser auch daran erinnern, dass Johannapark und Clara-Zetkin-Park samt Palmengarten und Wagnerhain auch heute noch Teile des Auwaldes sind – stark überformt vom Menschen, stark genutzt. Einige Attraktionen werden etwas ausführlicher beschrieben – darunter nicht nur die künstlich geschaffenen (wie der Aussichtsturm im Rosental), sondern auch die natürlich entstandenen, die gerade die Naturkenner faszinieren – der “Zauberwald” etwa oder die Lehmlache Lauer.

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Der Leipziger Auwald
Edition Leipzig 2013, 9,90 Euro

24 sehenswerte Punkte im Auwald haben die Autoren extra benannt – alle auch leicht zu finden in einer der vier Karten, die im Klappenumschlag des Buches zu finden sind. Natürlich auch der Auwaldkran darunter, mit dem die Forscher der Universität nun seit Jahren schon die Lebenswelt in den Kronen der Auwaldbäume untersuchen. Ein Register hilft dann auch noch, die erwähnten Tier- und Pflanzenarten auch im Buch wiederzufinden.

Und wer sucht, findet auch die öffentlichen Bildungsangebote – von der Auwaldstation in Lützschena über das Schulbiologische Zentrum bis zu den Angeboten des Wildparks, der ja auch mitten im Auwald steht und einige Tierarten sichtbar macht, die für gewöhnlich den Menschen meiden.

http://enedas.de

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