2012 wurde zum ersten Mal der Leipziger Krimipreis vergeben. Er ist als kleiner Förderpreis gedacht: Buchprojekte, die das Zeug zu einem richtig guten Krimi in sich tragen, werden mit ihm promotet. Und wenn alles gut läuft, kann der Leipziger fhl Verlag, der den Preis ins Leben rief, zur Buchmesse im Frühjahr drauf das fertige Buch präsentieren. Mit Cornelia Lotter hat's geklappt. Das Buch ist da: "Gottesgericht".

Cornelia Lotter ist nicht ganz neu im Metier. 2011 hat sie im fhl Verlag ihren Kurzgeschichtenband “Das letzte Frühstück” veröffentlicht, in dem sie schon einmal zeigte, dass sie ein Gespür für die Konflikte hat, die Menschen zu Monstern machen können. Der Kriminalroman ist im Grunde das typischste aller literarischen Produkte, das für die moderne Aufklärung steht. Im doppelten Sinn. Das merkten die Leser schon, als sie es mit dem wissenschaftlich versierten Privatdetektiv Sherlock Holmes zu tun bekamen.

Aber auch mittlerweile ganze Generationen scharfsinniger, skeptischer, immer wieder zweifelnder (und verzweifelnder) Kommissare aus den Werkstätten der findigsten Autoren haben bewiesen, welche Faszination von diesem Genre ausgeht – das manchmal ins Gebiet von Thriller und Horror abzugleiten droht. Einige Verlage scheinen geradezu besessen davon zu sein, ihre Buchcover in Blut zu tauchen und das Monster im Menschen zu feiern. Sie verfehlen damit in der Regel völlig die Intention der wirklich guten Krimi-Autoren. Die eine zutiefst kritische ist. Nichts verabscheuen sie so wie das Mystische, Geheimniskrämerische, Fanatische und Triebgesteuerte, das, was Menschen zu Tätern macht.

Detektive sind die Stellvertreter des modernen Unbehagens an einer Welt, in der Mörder, Diebe, Erpresser, Fanatiker und Fundamentalisten aller Couleur ihr Unwesen treiben, in der wirklich psychisch verkrümmte Gestalten für Angst und Schrecken sorgen. Und ganz bestimmt ist es auch kein Zufall, dass nach Andreas M. Sturms “Albträume” gleich der nächste Krimi aus dem fhl Verlag wieder so einen religiösen Fanatiker zum Mittelpunkt hat. Vielleicht haben Autorinnen und Autoren aus dem Osten sogar ein besonders feines Gespür für diese Schattenwelt, die auch eine Machtwelt ist. Gerade weil sie in einer Gesellschaft aufgewachsen sind, die zumindest die Ahnung eines freien, selbstbestimmten Menschen vermittelte, auch wenn sie sich selbst nicht dran hielt.Was auch die in Weimar geborene Cornelia Lotter am eigenen Leibe erlebte, die 1984 ihrer Liebe wegen nach Tübingen übersiedelte. Ihre Verbindungen zum heimatlichen Mitteldeutschland sind dabei nicht abgerissen. Und Schauplatz ihres ersten Ki-Krimis ist Leipzig. Wobei der Leser durchaus viele, viele Seiten lang darum fürchten darf, dass es mit Ki, die eigentlich Kirsten heißt und eigentlich auch Gundula, noch in einem zweiten Buch weitergehen darf, an dem Cornelia Lotter schon schreibt. Der Verlag verspricht es für 2014.

Mit Ki kommt wieder eine selbstbewusste Frau zum Zug – man könnte ja beinah sagen – eine echte emanzipierte Frau, wenn dieses Bild durch die Berge von völlig falschen Debatten in der letzten Zeit nicht so gründlich verfälscht worden wäre. Es gibt ja nicht nur die Dunkelmänner, die in den finsteren Moralhaltungen vergangener Zeiten leben wie die Made im Speck, es gibt ja mittlerweile auch die Spezies der toughen Frauen, die dem eigenen Geschlecht Heim, Herd und Unterordnung als moderne Lebenshaltung verkaufen. Ein schönes Gesicht bedeutet eben leider nicht, dass auch ein kluger Geist dahinter wohnt.

Was auch für die Männerwelt gilt, mal von den Irrwegen, auf die Menschen durch ihre Hormone getrieben werden, ganz abgesehen. Und die “Schatten der Vergangenheit”, denen Ki in diesem Buch begegnet, sind ganz persönliche, es ist ein ehemaliger Lebensgefährte, der sie schon einmal im Blutrausch töten wollte. Dabei hat sie schon ihre Identität gewechselt, hält Kontakte und ihren selbstgewählten Wohnort in einer alten Plagwitzer Fabrik geheim. Doch es nutzt ihr nichts.

Der Alptraum holt sie wieder ein, greift mitten in ihr Leben – und während ihre Mandanten blutig zugerichtet werden, scheint sie selbst in Verdacht zu geraten. Der da hinter den Kulissen die Strippen zieht und scheinbar alles über sie weiß, scheint allmächtig. Und er scheint eiskalte Verbündete zu haben.

Eigentlich hat Ki da gar keine Chance. Und so beim Lesen denkt man durchaus etwas besorgter darüber nach: Wieviel davon passiert wirklich jeden Tag irgendwo in Deutschland, werden Frauen oder auch Männer von Stalkern verfolgt, bedrängt, bedroht – und wie oft endet das tatsächlich tragisch, weil die gesellschaftlichen Schutzmechanismen versagen? Immerhin ist “Stalking” in Deutschland erst seit 2007 ein Strafbestand, der die Opfer auch vor vermeintlichen Freunden, Liebhabern, Ex-Ehemännern und anderen Finsterlingen schützen soll. Vor all jenen teilweise gründlich destruktiven Menschen, die weder mit ihren eigenen Gefühlen zurande kommen noch mit ihren Verhältnissen zur Mitwelt.

Das lernt man nicht immer einfach so. In sozial funktionierenden Familien lernt man es. Aber was ist mit denen, wo es die Betroffenen nicht lernen? Wo sie weder Selbstachtung noch Konfliktfähigkeit lernen? Wo sie sich ein Korsett falscher Vorstellungen zulegen, mit denen sie ihre Mitwelt tyrannisieren? Und wie viel davon tobt sich in einer Gesellschaft aus, in der die soziale Wärme sowieso verdampft, weil sie den eiskalten Normen des Profits als überflüssig erscheint?

Gute Krimis widmen sich diesen Grundfragen immer wieder: Was bleibt wirklich von unserem menschlichen Wesen und unserer Gesellschaft, wenn wir alle Normen dem “Markt” zum Fraß vorwerfen?Beliebteste, aber auch belastbarste Gestalt dabei: der Kommissar selbst, der Polizist, der stellvertretend für uns Feierabend, Wochenende und Urlaub opfert, um die Finsterlinge zu fangen, weitere Verbrechen zu verhindern …

Was eigentlich passiert mit dem Freistaat Sachsen, wenn die Sparminister in Dresden immer so weiter machen mit ihrer Besessenheit vom “Sparzwang”, unter dem die Polizistinnen und Polizisten schon lange leiden? Doch selbst die seit einigen Jahren steigenden Kriminalitätszahlen entlocken den verantwortlichen Ministern in Dresden nur ein Schulterzucken. Als ginge sie das Wohl und Wehe der Bevölkerung nichts an.

So ist es recht erstaunlich, dass Kommissar Martin Bender so schnell und ungestört ermitteln darf. Er legt ein Tempo vor, das den Leser durchaus verblüffen darf, das aber auch die Handlung forciert. Der Mann lässt nicht locker. Und weil er mit seiner Einsatzbereitschaft auch schon seine Ehe riskiert und verloren hat, kann er sich so richtig in seine Fälle verbeißen – und in diesem Fall auch mit grimmiger Miene durch die Straßen Leipzigs und Markkleebergs jagen, reineweg verblüfft von der Frechheit, mit der einige Ganoven hier ihre finsteren Spielchen treiben.

Das Ganze treibt, auch weil Kis finsterer Lebensschatten unbedingt seine Rache will, mit unerbittlichem Tempo dem Höhepunkt und Showdown zu. Und wer keine Lust hat, die Nacht mit Schlafen zu verbringen, der darf ruhig auch gleich nach dem Sandmännchen mit diesem Buch beginnen. So nebenbei gibt es ein paar schöne Schauplätze in Leipzig zu entdecken – vor allem in der Alten Spinnerei, wo Ki ihre erste Ausstellung als Fotografin feiern will. Mit grimmiger Journalistenmeute vor der Tür, die gern was abhaben möchte von der blutigen Story.

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Gottesgericht. Ki und die
Schatten der Vergangenheit

Cornelia Lotter, fhl Verlag Leipzig 2013, 12,00 Euro

Am Ende bleiben ein paar sehr interessante Fragen offen – und mindestens zwei Ganoven noch ungefasst. Was einen dann schon mal fürs nächste Buch mit Ki ein bisschen bangen lässt. Denn es scheinen doch ein paar Kerle mehr zu sein als nur einer, die mit der selbstbewussten jungen Frau eine Rechnung offen haben. Wie das so oft ist im Leben, wo kluge und faszinierende Frauen gerade deshalb zum Opfer werden, weil eine ganze Reihe angenagter Männer genau das fürchten. So sehr fürchten, dass sie keine Skrupel mehr kennen.

Vielleicht richtet die Buchhandlung Ludwig im Leipziger Hauptbahnhof ja doch mal ein Regal mit Leipzig-Krimis ein. Denn davon gibt es mittlerweile eine ganze Reihe richtig guter, die auch gern mitgenommen werden von Reisenden, auf deren Landkarte Leipzig als Krimi-Stadt immer mehr Konturen gewinnt.

www.fhl-verlag.de

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