Es gibt wenige Berufsstände, die sich so oft und intensiv öffentlich Gedanken machen über ihre Arbeit und ihr Arbeitsumfeld wie die Schriftsteller. Sie veranstalten nicht nur Werkstätten, sondern veröffentlichen auch gern die Ergebnisse. Und sie nehmen rege an Gesprächsreihen teil, wie sie das Literaturhaus Stuttgart ins Leben gerufen hat. "Literatur und ihre Vermittler" hieß diese. Und die Veranstalter konnten sich über kapitale Gäste freuen.

Oder soll man sagen: Hier war mal literarisch was los? Nicht das bräsige Gedöns aus den Feuilleton-Nischen? Autorinnen und Autoren, die wirklich mal übers Schreiben reden und nicht über das, was es sein sollte? Durchaus schräge Typen darunter wie Ilja Trojanow, Jaroslaw Rudis oder Feridun Zaimoglu. Jeder hat einen Essay zu seinem Thema geschrieben, manchmal noch ganz nah am Redetext, manchmal schon spielerisch auf halbem Weg zum eigenen literarischen Stil. Nicht bei jedem geht es wirklich um Kritik und Kritiker. Was auch wieder eine eigene Betrachtung wert ist: Ab wann greift denn nun die literarische Kritik ins literarische Schaffen ein? Oder tut sie das überhaupt? Maßen sich Kritiker zu viel an, wenn sie anfangen, über Bücher zu richten und zu werten?

Die gute und die schlechte Nachricht in eins: Die literarische Kritik in Deutschland ist so gut wie tot. Die Zeiten, dass kompetente Literaturkritiker tatsächlich mit bissiger Schreibe die neuesten literarischen Landschaften durchpflügten, sind vorbei. Sogar schon recht lange. Harald Hartung, selber Lyriker und Kritiker und sogar Professor für Deutsche Sprache und Literatur, geht auf das Thema ein und seziert die Gegenwart mit kritischem Blick.Die großen Zeitungen und Zeitschriften, die vor Jahren noch ein ausgeprägtes Feuilleton hatten, in dem auch der literarische Diskurs seinen festen und umfangreichen Platz hatte, haben kräftig eingespart. Viele haben diesen Teil der Leserkommunikation ganz eingestellt. Aus schlichtem wirtschaftlichem Zwang. Wie so Vieles, was tatsächlich Leser bindet und fasziniert, “rechnet” sich Literaturkritik nicht. Anders als Auto-Kritik, Mode-Kritik, Lifestile-Kritik, wenn man die dortigen Ergüsse einmal so nennen will. Erwähnen darf man sie schon, denn hier wurde schon Jahre zuvor vorexerziert, wohin Zeitungstexte driften, wenn es in Wirklichkeit keine kritische Distanz mehr gibt, nur noch diesen Hosianna-Stil, der alles anpreist, was die Werbekunden freut.

Das hat so mit Büchern (und Musik, Theater, bildender Kunst usw.) nie funktioniert. Dazu haben gebildete Leser selbst zu viel Anspruch. Ein Lobpreis ohne Ursache entlarvt sich beim Lesen. Trotzdem sind Zeitungen und Internet voller – ähäm – naja – Besprechungen, jodelnder Textmassen, die Bücher und Novitäten anpreisen, als wären es neue Stilettos oder Mobilfunkgeräte für “Freaks”. Hartung diagnostiziert einen üblen Zustand, der mit Literaturkritik nicht mehr viel zu tun hat, mit Copy & Paste und Waschzettel-Abschreiben umso mehr.

Auf die Autoren hat all das wenig Einfluss. Außer in einem sehr brisanten Punkt: Diese Art des Literaturmarketings beeinflusst die Wahrnehmung der Bücherkäufer. Es verkauft sich, was mit teuren Werbekampagnen allerorts gepriesen wird. Der Raum für Neues, spannende Experimente, unverwechselbare Stimmen schmilzt. Es regiert das Immer-wieder-Gleiche, das nach gleichem Erfolgsrezept Nachgekochte. Die wirklich spannenden Literaturen werden in die kleinen Verlage, in die Independent-Szene abgedrängt. Nur was da dann – welch Wunder – für überdurchschnittliche Aufmerksamkeit sorgt, darf dann wieder zurück, wird von den großen Publikums-Verlagen wieder heiß umschlungen, weil es nun einen verkäuflichen Namen hat. Einige Autorinnen und Autoren in diesem Band stehen genau für diesen Prozess. Der “Hype”, der “Skandal” hat sie in die Sortimente gebracht, wo sie auch nach Jahren noch auffallen, weil sie sich – man kann nur die Daumen drücken – ihre Eigenart bewahrt haben. Und gar nichts für gegeben nehmen.

Wie Trojanow, Lange-Müller, Zaimogli, aber auch Georg Klein, dem die beiden Herausgeber attestieren, dass er – noch immer – “einer der wenigen großen Sprachkünstler der deutschen Gegenwart” ist. Wie er sich schindet, um dieses Niveau zu erreichen, darüber schreibt Klein in seinem Essay sehr genau. Nicht nur er macht sich beim Treppensteigen Gedanken über sein Handwerk. Ist es überhaupt eins? Die Antwort lautet: Ja. Man kann es nicht nur lernen, man muss es sogar. Wie, das ist eine andere Frage.Nicht jeder, der – wie Katja Lange-Müller – ein Literaturinstitut besucht, kann hinterher (weiter-)schreiben, viele geben dann auf, weil sie an ihren eigenen Maßstäben scheitern. Mit Melville erwähnt sie natürlich einen, an dem sogar seine Zeitgenossen scheiterten, weil er stur die Latte so hoch legte, dass er gar nicht mehr im Mainstream-Regal seiner Zeit landen konnte. Damit hat er ein Werk geschaffen, das über die Zeiten Bestand hat. Das will nicht jeder.

Der Markt hungert nach Unmengen von leicht Verdaulichem, schnell Konsumierbarem. Was legitim ist. Was aber nicht erklärt, warum das schnell Konsumierbare das wirklich Spannende aus den Feuilletons verdrängt hat. Das tut der deutschen Literatur nicht gut. Ein Melville würde heute nicht einmal mehr einen Verriss bekommen, wie er sie zeitlebens zu Hauf erleben durfte. Auch Verrisse gehören zur Kritik, sie signalisieren: Da ist was, an dem sich selbst die Kritiker festbeißen.

Was den Autor nicht stören darf. Darüber schreibt Zaimoglu, der nach Jahren der Plage mit all den an ihn herangetragenen Erwartungen aufgehört hat, diese Erwartungen zu bedienen. Die Wahrheit seines Schreibens muss jeder bei sich selbst finden – seinen Stil genauso wie seine Geschichten. Denn die meisten Erwartungen, die publik werden, sind in der Regel falsch, oft genug auch dumm. Darüber schreibt auch Yoko Tawada, die sich auch als gestandene Autorin noch mit der dämlichen Verwirrung deutscher Kleingeister beschäftigen muss, die sich darüber wundern, dass eine in Japan geborene Autorin brillantes Deutsch schreibt. Und bezaubernde Texte sowieso. Als wenn Literatur nicht sowieso schon der Ausflug in eine andere Sprache wäre, raus aus dem Billigprodukt, das die meisten Menschen tagtäglich benutzen. Eine andere Welt, die auch immer das Mögliche und Womögliche denk- und lesbar macht.

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Literaturmachen – Literatur und ihre Vermittler
Erwin Krottenthaler; José F. A. Oliver, Verlag Voland & Quist 2013, 14,90 Euro

Was das für ein Prozess ist, darüber schreibt Ulrike Draesner, indem sie das Grimm-Märchen “Rumpelstilzchen” analysiert. Und wie dann die Idee zur Geschichte sich zwingend in ein Buch verwandelt, das zur heftigen gesellschaftlichen Diskussion geradezu zwingt, darüber berichtet Janne Teller. Denn wenn sie es schaffen, dann rühren begabte Autorinnen und Autoren an das Wesentliche in unserer Gesellschaft, dann stellen sie die Fragen, die Politiker sich lieber verkneifen. Dann geht es ans Eingemachte.

Man kann recht lebendig darüber schreiben, wie das geht. Das ist in dieser Essay-Sammlung nachzulesen. Rezepte wird man keine drin finden, denn der Lösungsweg ist bei jedem Autor und bei jedem Stoff ein anderer. Nur eines scheint für alle tatsächlich zu gelten: Es ist ein echtes Handwerk, dessen Regeln man finden muss. Und wer sich damit nie ernsthaft auseinander setzt, wird auch nie erfahren, was Georg Klein den lieben langen Tag an seinem Laptop tut.

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