Es gab noch einen ganz besonderen Geburtstag im Jahr 2013: Im April feierte die Galerie Eigen+Art ihren 30. Gründungstag. Ein Anlass, den Herbert Lange für durchaus geeignet hielt, seine Magisterarbeit noch einmal zu überarbeiten, mit der er 2011 seinen Magister Artium an der Uni Leipzig erwarb - übrigens im weisen Alter von 71 Jahren.

Mit Leipzig verbunden ist der Rechtswissenschaftler durch seine langjährige Tätigkeit für Bundespost und Deutsche Telekom, die ihn in der Zeit von 1990 bis 2000 auch an die Pleiße führte. Er erlebte die beginnende Wiedergeburt der Stadt direkt vor Ort mit. Und so nebenbei auch, wie sich da im Schatten der legendären “Leipziger Schule” (die einst vom Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Eduard Beaucamp aus der Taufe gehoben wurde) eine neue Generation mauserte, die wenig später unter dem Label “Neue Leipziger Schule” den internationalen Kunstmarkt in Atemnot versetzte.

Und die “Erfindung” dieses Labels wird heute gern dem Inhaber der Galerie Eigen+Art, Gerd Harry Lybke, zugeschrieben und seine Galerie damit assoziiert. Natürlich geht Lange auf das Streitthema in einer Abschweifung auch ein und kommt zu dem Schluss, dass Lybke daran zwar nicht ganz unschuldig ist, aber der eigentliche Erfinder des neuen Labels war wohl doch der Kunstkritiker Meinhard Michael – der daraus ganze Auf- und Abwertungs-Serien in der LVZ machte. Denn was man erst mal groß geschrieben hat, kann man ja auch wieder mit Grabgesängen in die Versenkung schicken. Motto: “Vergesst die Neue Leipziger Schule”.Was natürlich ebenfalls Unfug ist und – wie alle diese Labels – die betroffenen Künstler aufs Tiefste verärgert. Denn sie arbeiten ja nicht, um irgendeine Schul-Handschrift populär zu machen. Auch nicht, um immer neue Avantgarden und Stilrichtungen zu erfinden, über die sich die Theoretiker dann echauffieren.

Und da ist man eigentlich schon mittendrin in der Geschichte der kleinen Galerie, die Gerd Harry Lybke 1983 in seiner Wohnung am Körnerplatz gründete – als eine von mehreren privaten Galerien, die in den 1970er und 1980er Jahren in der DDR entstanden und entstehen durften, weil die Kunstpolitik für ein paar Jahre ein wenig die Zügel etwas lockerer ließ. Die Unterschrift in Helsinki hatte ein paar kleine neue Spielräume zur Folge, die die betroffenen Künstler und Galeristen zu nutzen versuchten. Für die meisten dieser Privatunternehmungen endete das entweder in amtlicher Schließung oder in freiwilliger Aufgabe, wenn die Behörden den Druck wieder erhöhten, weil ihnen das, was da geschah, doch wieder zu aufmüpfig und renitent erschien.

Herbert Lange arbeitet diese Umgebung sehr akribisch heraus, hat nicht nur Katalogtexte und das kleine Archiv der Eigen+Art selbst studiert, sondern auch die (wenigen) Presseveröffentlichungen, die es damals gab und vor allem die Stasi-Unterlagen, die es über Lybke und seine Galerie auch gibt. Obwohl Lybke von Anfang an versuchte, die Grenzen nicht zu überschreiten und mit seinen Ausstellungen nicht zu provozieren. Etwas, was ihm dann auch einige in den Westen gewechselte Kollegen ankreideten. Aber Lybke war sich – so nachlesbar in mehreren Pressebeiträgen der “Wende”-Zeit – sehr wohl bewusst, dass die Existenz seiner Galerie davon abhing, wie gut es ihm gelang, eine Provokation der Staatsmacht zu vermeiden.

Die dann – so in den Stasi-Akten nachlesbar – 1986 trotzdem einen Vorwand suchte, um die mittlerweile in die Fritz-Austel-Straße in Connewitz gewechselte Galerie dicht zu machen. Doch Katrin Plessing und Lutz Dammbeck, die beide einen Ausreiseantrag gestellt hatten, verzichteten lieber auf die geplante Ausstellung und Lybke empfing das Publikum der Vernissage vor leeren Wänden. In den Folgejahren weichte auch der Zugriff der Staatsmacht spürbar auf. Auch wenn Lybke das Konzept seiner Galerie nicht wirklich änderte. Die Künstler, die bei ihm ausstellten, suchte er nach eigenem Gefühl aus – und stritt sich darüber auch mit Weggefährten. Die Frage stand ja immer: Wer setzt eigentlich in einer Galerie die Schwerpunkte und die künstlerischen Maßstäbe?

Dass Lybke von Anfang an auch Künstlerinnen und Künstler ausstellte, die nicht zum Verband der bildenden Künstler gehörten, war für ihn selbstverständlich. So kamen auch einige jener Künstler in seine Galerie, die bis heute zum Stamm gehören, auch wenn niemand sie der vermeintlichen “Neuen Leipziger Schule” zurechnen würde. Neo Rauch, den viele heute als Zugpferd mit dieser “Schule” assoziieren, stieß erst nach 1990 zu Eigen+Art. Aber auch das noch in einer Zeit, in der niemand von diesem neuen, verkaufsträchtigen Label sprach.Und Langes Recherchen in der Übermittlungsgeschichte zeigen auch, dass Lybke diesen Aufkleber “Neue Leipziger Schule” gar nicht brauchte, um seine Galerie schon ab 1990 deutlich zu professionalisieren und den von ihm betreuten Künstlern erst den bundesweiten und dann den internationalen Kunstmarkt zu erschließen. Der Name, den Lybke sich erarbeitet hat, ist eng mit seinen zuweilen spektakulären Auftritten auf den großen und maßgeblichen Kunstmessen verbunden. Zuweilen hat er auch bewusst experimentiert, um neue Möglichkeiten auch für Plastiken und Installationen zu erkunden. Dass nun ausgerechnet die “Flachware” aus dem Dunstkreis der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) solche Verkaufserfolge und ab 2000 sogar fast astronomische Erlöse mit sich brachte, hat wohl – so sieht es jedenfalls Lybke – mit den Wünschen der potenten Käufer zu tun, die eben (auch als Geldanlage) vor allem Kunst suchen, die sie an den Wänden ihrer Büros und Geschäftsräume präsentieren können. Wenn die Bilder dann auch noch einen ästhetischen Reiz haben und vor allem (wofür Leipzig ja steht) handwerklich exzellent gearbeitet sind, dann ist eigentlich das Geschäft schon fast gemacht. Manchmal gehört dann noch ein bisschen Image-Arbeit hinzu – in der Lybke wohl Maßgebendes leistet.

Es ist schon eher ein Eklat, wenn seine Galerie einmal nicht zu einer der Renommier-Messen eingeladen wird. Und damit steht er gar nicht mal für dieses abgelegene Fleckchen namens Leipzig, sondern zählt heute zu den wichtigsten Galeristen der Bundesrepublik. Dass das Label “Neue Leipziger Schule” eine Zeit lang durchaus verkaufsfördernd war, geben er und seine betreuten Künstler ja gern zu. Aber eigentlich brauchen sie das schon längst nicht mehr. Neben Neo Rauch haben Künstler wie Jörg Herold, Uwe Kowski, Maix Mayer, Riccarda Roggan, Carsten und Olaf Nicolai, Matthias Weischer usw. längst selbst einen Namen, der bei Käufern einen Klang hat. Und das auch, weil Gerd Harry Lybke sich stets als Galerist und Förderer seiner Künstler begriffen hat, weniger als Kunsthändler – auch wenn er sich über die gewachsenen Erlöse natürlich freut. Dafür macht man ja Kunst. Auch wenn Lybke doch gern träumt, dass er sich mit seiner Arbeit und seiner Galerie für immer in der Kunstgeschichte festschreiben kann. Vielleicht gelingt es ja.

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Eigen+Art. Die Geschichte der Galerie im Spiegel der Quellen
Herbert Lange, Leipziger Literaturverlag 2013, 24,90 Euro

Herbert Langes Buch jedenfalls beschreibt recht genau, wie die Galerie Eigen+Art das wurde, was sie heute ist. Und damit natürlich ein ganz wichtiges Stück Leipziger Kulturgeschichte, die man heute insbesondere in der Spinnerei besichtigen kann, wo die Galerie Eigen+Art in trauter Gesellschaft mit den anderen jungen Leipziger Galerien und vor allem den Ateliers vieler wichtiger Künstler der Leipziger Szene zu finden ist. Die nicht alle zur so genannten “Neuen Leipziger Schule” gehören. Aber das ist auch egal. Selbst die New York Times hat gemerkt, was für ein Hotspot der modernen internationalen Kunstszene da im Leipziger Westen entstanden ist.

www.eigen-art.com

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