Die Idee ist ganz witzig: Der Autor schlüpft in die Rolle des legendären Palastes der Republik und erzählt seine Geschichte vom Bau bis zum Abriss, eingebettet in die heftigen Debatten um Erhalt und Entsorgung. Die erste und wohl auch letzte Autobiographie über "Erichs Lampenladen" oder den "Palazzo Prozzo", wie er einst auch genannt wurde. Kein ganz leichtes Vorhaben.

Wie erzählt man so etwas aus der Perspektive eines höchst umstrittenen Bauwerks? Was für einen Charakter hat so ein Bauwerk? Und kann es Schmerzen empfinden? Oder ist es gar parteiisch? – Dass der Autor nicht ganz frei ist von Emotionen, kann er nicht verleugnen. In Berlin wogten über Jahre die Kämpfe um Erhalt oder Abriss, auch wenn die maßgebliche Politik seit den Asbest-Befunden aus dem September 1990, als die letzte DDR-Volkskammer panisch aus dem Gebäude flüchtete, als wäre der verbaute Asbest eine tickende Zeitbombe, von Anfang an auf komplette Entsorgung setze. Und Recht hat Tino Schreiber natürlich, wenn er sich – als betroffener Palast – darüber beklagt, dass diese Entsorgung von Anfang an auch doppelt gemeint war – als Entsorgung einer asbestbelasteten Immobilie, und als Entsorgung eines wesentlichen Symbols der DDR und ihrer einstigen Partei- und Staatsmacht.

Und damit auch einer auch nur denkbaren und gefürchteten Alternative zu den alten Mottenkisten Realsozialismus (wie Schreiber es nennt) und Kapitalismus. Natürlich ging es seit 1990 permanent um Deutungshoheit. Nicht nur über das Kapitel DDR und was es eigentlich im Kontext der deutschen Geschichte bedeutet und bewirkt hat. Auch um die Verortung der neuen Bundesrepublik, die durch die Vereinigung 1990 entstand. Welches sind denn nun ihre originären historischen Wurzeln? Was davon wird im Berliner Stadtbild sichtbar gemacht – und was muss verschwinden?

Wäre es nur die Debatte um die Asbestbelastung des 1973 bis 1976 in einem auch für DDR-Verhältnisse wahnsinnigen Tempo hochgezogenen Prestigebaus, das Ganze wäre längst kein Thema mehr. Doch früh schon war die Abrissdebatte auch mit der Forderung verquickt, an dieser Stelle das alte, im 2. Weltkrieg zerstörte und dann 1950 endgültig abgetragene Hohenzollernschloss wieder aufzubauen und damit auch deutlich zu machen, wie sehr sich heutige Politik auf Glanz und Gloria der alten Preußen bezieht. Was peinlich genug ist. Schreiber benennt aber auch die ebenso auffälligen Konservierungen der noch existierenden NS-Protzbauten, von denen einige wieder von der Bundesregierung genutzt werden.

Die oft genug sogar staatlich besoldeten Befürworter des Schloss-Wiederaufbaus mag er nun gar nicht. Auch nicht ihre Behauptung, nur der über die Jahrhunderte entstandene Kasten der preußischen Monarchie könnte Berlin die benötigte neue Mitte geben.Dass sich die Diskussion auf die Asbest-Belastung des Palastes der Republik fokussierte, findet Schreiber ebenso unanständig. Denn bis zum Ende der 1970er Jahre wurde Asbest weltweit als feuersicheres Dämmmaterial verbaut. In der Bundesrepublik wurde seine Verwendung erst 1979 verboten. Die DDR hatte schon vorher darauf verzichtet – aber die 32-monatige Bauzeit des Republikpalastes ließ auch die alles bestimmende Partei zwei Augen zudrücken. Um den Bau bis zum 9. Parteitag der SED fertig zu bekommen, war jedes Mittel recht – und die Aufhebung der Planwirtschaft sowieso.

Was so beiläufig daran erinnert, dass auch die einstigen Herren der DDR bei Großprojekten jegliches Maß verloren.Offiziell erzählte man den DDR-Bürgern von 485 Millionen Mark, die das Bauwerk gekostet habe, der DDR-Bauminister konnte 800 Millionen beziffern – aber da auch kräftig wichtige Bauteile für teure Devisen importiert wurden, können es auch über 1 Milliarde gewesen sein. Aber das Bauwerk war auch der sichtbar gemachte Versuch, ein fürs internationale Ansehen präsentables modernes Gebäude zu schaffen. Und das war es wohl auch. Mitsamt der Krankheit der Zeit – eben der Verwendung von 5.000 Tonnen Spritzasbest.

Andere international bekannte Gebäude aus dieser Zeit wurden deshalb nicht abgerissen, sondern saniert – die UNO-City in Wien, das Internationale Congress Centrum in Berlin, der Pariser Tour Montparnasse. Auch im World Trade Center in New York City war Asbest verbaut worden – der noch immer in den Mauern steckte, als die beiden Zwillingstürme am 11. September 2001 zusammenstürzten. Eine Liste all der präsentablen Bauten aus dieser Zeit, in denen Asbest bis heute verbaut ist, würde sehr lang werden.

100 Millionen Euro kostete allein die “Asbestsanierung” des Palastes der Republik von 1998 bis 2003. Übrig blieb ein Rohbau, der bis 2006 noch einmal eine Aufsehen erregende Zwischennutzung als “Volkspalast” erlebte. Dann kamen die Abrissfirmen, denn der endgültige Abriss und der folgende Neubau einer Replik des alten Schlosses waren schon 2001 vom Bundestag beschlossen worden. Auch das so ein ganz spezielles Thema unter der Überschrift “Großprojekte”, denn dass ein Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses in all seinen Details nicht bezahlbar wäre und wohl weit über 1 Milliarde Euro gekostet hätte, das hatte auch die amtlichen Schlossbefürworter zum Nachdenken gebracht.

Man suchte dann eifrig nach einer neuen Mehrzwecknutzung, die sehr zum Erstaunen Tino Schreibers doch tatsächlich in Vielem der Mehrzwecknutzung des Palastes der Republik als Tagungs-, Kongress- und Kulturhaus ähnelte. Ergebnis war ein “Humboldt-Forum”, das die Kubatur des alten Preußenschlosses aufnimmt, aber nur drei Straßenfronten und den einstigen Schlüterhof rekonstruiert, die Schauseite zur Spree wird modern nachempfunden, das Innenleben des Bauwerks wird sowieso komplett modern.

Im Juni 2013 legte Bundespräsident Joachim Gauck den Grundstein für den Neubau, der nun wohl mindestens 670 Millionen Euro kosten wird. 590 Millionen Euro stellt der Bund zur Verfügung, 80 Millionen Euro für die Fassadenrekonstruktion sollen durch Spendengelder gesammelt werden. Ursprünglich sollte schon 2011 Baubeginn sein, jetzt geht es wohl 2014 los. Aber wie gesagt – es ist ein amtliches Großprojekt. Da werden einige Leute gespannt sein, wie sich die Kosten entwickeln.

Vieles von dem erzählt Tino Schreiber freilich nicht. Zu tief sitzt in ihm die Verletzung über den Abriss des Palastes der Republik, der für seine Zeit und DDR-Verhältnisse sowieso natürlich ein kleines technisches Wunderwerk war. Nach einer Auseinandersetzung mit der Fehde Palast vs. Schloss taucht Tino Schreiber in die knapp 30 Jahre Geschichte des Bauwerks ein, erzählt von den Bauarbeiten und den Einweihungsfesten, von den Parteitagen und Volkskammersitzungen, den Theateraufführungen und den Aufsehen erregenden Konzerten im Palast. Zumindest aus (Ost-)Berliner Sicht muss der Bau tatsächlich eine große Attraktion gewesen sein. Vielleicht sieht man die Sache aus dieser Perspektive ein bisschen anders als etwa aus sächsischer Perspektive, denn die Ressourcen, die hier freigiebig verbaut wurden, fehlten logischerweise andernorts.Noch in den 1970er Jahren verschärfte sich ja die Versorgungssituation in der DDR spürbar. Und besonders schmerzlich empfanden die Bürger, wie sehr ihre Städte verfielen. Hinter dem Spitznamen “Palazzo Prozzo” steckt ein geharnischtes Stück Kritik an der Politik der alleinseligmachenden Partei.

Ganz spart Schreiber mit dieser Kritik nicht. Er lässt etliche der einstigen Angestellten und Gäste im Palast zu Wort kommen, die durchaus auch erzählen, wie seltsam ihnen die zunehmend zur Selbstbeweihräucherung verkommenen Parteitage vorkamen. Besonders seltsam der 7. Oktober 1989, als die Staatsführung im Palast den 40. Jahrestag der DDR zelebrierte, als wenn draußen nicht Hundertschaften von Polizei gestanden hätten, die Tausende Demonstranten abhielten, dem Palast auch nur zu nahe zu kommen.

Aber auch das strenge Sicherheitsregime im Palast wird thematisiert mit all seinen peinlichen Auswüchsen. Und auch die hohen Kosten des laufenden Betriebs werden erwähnt, denn das Riesenbauwerk brauchte nicht nur ein großes Personal von den Reinigungsbrigaden bis hin zu Haustechnik und Servicekräften für die zahlreichen Restaurants und Cafés, es musste auch permanent und aufwändig repariert werden, auch dafür war der Staatspartei jede Summe recht. Und es wurde auch während der 13-jährigen Betriebszeit des Palastes schon fleißig geklaut, was nicht niet- und nagelfest war – von Handtüchern mit den Initialien “PdR” bis zum Besteck.

Schreiber hat seinen historischen Exkurs reich mit Zitaten von Zeitzeugen und aus den Medien der Zeit gespickt, so dass der Leser auch einen Eindruck von der öffentlichen Darstellung des Kolosses in den jeweiligen Zeitschichten bekommt. Bis hin zu den Schlagzeilen zum jüngeren Schlossstreit.

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Der Bundesrepublikpalast
Tino Schreiber, Einbuch Buch- und Literaturverlag 2013, 14,90 Euro

Schreibers Position ist durch die gewählte Hauptperson natürlich deutlich. Das Wort Autobiographie trifft es wohl am besten, Polemik oder Streitschrift wäre auch nicht ganz falsch. Ein Roman ist es wirklich nicht. Dazu hätte es einiger handelnder Protagonisten und eigenständiger Handlungsstränge mehr bedurft. Aber für alle, die gern nachlesen wollen, wie emotional die Debatte um den Palast und seine Entfernung geführt wurde, ist Schreibers Buch natürlich eine aufwühlende Lektüre. Fast möchte man gleich selbst ein Transparent malen und losrennen und irgendwie dafür oder dagegen protestieren.

Aber das wird wohl nichts nützen. Wenn sich ein paar Staatssekretäre erst einmal in den Kopf gesetzt haben, dass etwas weg muss, dann kommt es auch weg. Die demokratischen Beschlüsse dafür organisiert man sich schon. Und wenn man Geld braucht für einen neuen Protzbau, dann findet sich auch das – und wenn man dafür Schulden aufnehmen oder die Steuern erhöhen muss. Da ähneln sich politische Sachwalter irgendwie immer. Ob das neue Schloss, das dann nur noch von außen so aussehen soll, seinen Zweck erfüllt und Berlins historische Mitte wieder bereichert, ist dann eine ganz andere Frage. Die gewählte Dimension des Bauwerks spricht eigentlich dagegen. Aber so ist das ja meistens mit Großprojekten.

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