Siege können Niederlagen sein, manchmal siegen auch die Falschen. Manchmal stellen sich große Mächte wie die USA auch selbst ein Bein, weil sie nicht wirklich wissen, was sie eigentlich wollen. Und weil alles schnell gehen muss. Wie in Vietnam. Meint zumindest Uwe Siemon-Netto. Im Brunnen Verlag hat der gebürtige Leipziger jetzt einen ersten Memoirenband veröffentlicht: eine Liebeserklärung an Vietnam.

Es ist das Land, das in seiner Reporterkarriere die wichtigste Rolle spielt. Von 1965 bis 1969 berichtete er unter anderem für den Axel-Springer-Verlag direkt aus Südvietnam. Diese Jahre bilden den zentralen Teil dieses Buches. Seinen lebendigen, farbigen Stil hat Siemon-Netto auch im hohen Alter nicht eingebüßt. Die klassische Schule sitzt. Und er braucht nur einen Satz, da ist er drin in seiner Geschichte: “Vor vierzig Jahren triumphierte in Südvietnam ein Absurdum.” Den Satz gibt es freilich erst auf Seite 17. Vorher gibt es eine Handvoll Endorsements, also Zustimmung von Zeitgenossen und Kollegen, wie es sie normalerweise erst gibt, wenn das Buch veröffentlicht ist. Das ist es natürlich: Es erschien 2013 zuerst auf Englisch. Aus gutem Grund: Da sitzt die Wunde – in Amerika, in den USA, die in den 1970er Jahren den Waffenstillstand mit Nordvietnam unterzeichneten, ihre Truppen abzogen und damit den Weg bahnten für die Offensive des Nordens, der 1975 den Vietnamkrieg mit der Eroberung des Südens für sich entschied.

“Die Falschen haben gesiegt”, betont Siemon-Netto immer wieder und zitiert auch gern kluge Analytiker aus England, den USA, Frankreich, Deutschland, die es auch 1965 und in den Folgejahren so sahen. Natürlich aus westlicher Perspektive. Auch aus der Perspektive von Militärs, die auch schon den ersten Indochinakrieg miterlebt hatten. Und die wussten, dass sich in Vietnam die Motive und Kriegsziele überlagerten. Die USA wollten – zumindest in der Zeit von Kennedy und Johnson, die Demokratie im Süden Vietnams unterstützen und erhalten. Der Norden war angetreten, die Einheit des Landes unter kommunistischen Vorzeichen herzustellen. Aber gleichzeitig fand in Vietnam einer der wichtigsten Stellvertreterkriege des Kalten Krieges statt. Würde sich der sowjetische Machtbereich weiter ausdehnen und ein weiteres Land unter die Kontrolle einer allein regierenden kommunistischen Partei kommen? Oder würde man – wie in Korea – einen Teil des Landes im machtpolitischen Bereich des Westens halten können?

Siemon-Netto zeichnet aus, dass er nicht nur die Statements des Westens kannte, sondern auch die des kommunistischen Nordens, dass er wusste, wie Leute wie Ho Chi Minh und sein Verteidigungsminister Vo Nguyen Giap tickten. Seine Bücher “Volkskrieg, Volksarmee” und “Nationaler Befreiungskrieg in Vietnam” erschienen 1968 und 1973 auch in Deutschland. Genauer: in West-Deutschland, dort, wo die rebellische Jugend mit “Ho-Ho-Ho-Chi-Minh”-Rufen auf die Straße ging. Durch die Presse der BRD ging damals ein Riss. Die einen verherrlichten den Vietnam-Krieg – als Volkskrieg und Befreiungskrieg. Die anderen sahen die Demokratie bedroht.

Aber in mancher Weise war es auch damals schon so wie heute: Die wenigsten berichteten tatsächlich vom Ort des Geschehens, bewerteten und analysierten die Vorgänge aus der sicheren Entfernung und verließen sich nur zu gern auf offizielle Verlautbarungen. Aber die Wirklichkeit hat mit solchen Verlautbarungen in der Regel wenig zu tun. Man muss sie sehen, riechen, anfassen. Man muss die Akteure vor Ort kennen lernen, selbst erleben, wie die Wege ins Kriegsgebiet sind, wie die Mannschaften versorgt werden und die Zivilbevölkerung lebt. Das trauen sich nicht viele Reporter zu. Siemon-Netto gehört zu jenen, die es sich getraut haben. Wenn sich ein Thema anbot, dann hielt es ihn nicht in seinem Hotel in Saigon, das heute Ho-Chi-Minh-Stadt heißt. Dann nutzte er das Angebot der Amerikaner, die für Reporter stets Mitflugmöglichkeiten anboten. Dann fuhr er aber auch zu südvietnamesischen Einheiten, in Krankenhäuser und Gefangenenlager. In einem davon begegnete er einem nordvietnamesischen Armeearzt, der ihn in breitestem Leipziger Sächsisch ansprach. Das hatte er am Herder-Institut gelernt.

Giaps Buch vom Volkskrieg hatte er 1965 schon gelesen. Ein Buch, das die Strategie genau jenes dreistufigen Krieges beschrieb, den Giap dann auch so praktizierte. Und Teil dieses Volkskrieges war von Anfang an auch der Guerillakrieg, gekoppelt mit Terroraktionen im Hinterland. Und mit der Kenntnis der neueren Kriege in Afghanistan und Irak erscheint das, was Giap da vorexerzierte, natürlich beklemmend gegenwärtig. Da gibt es genug Leute von Al Quaida bis zu den Taliban, die viel genauer auf die Details in Giaps Strategie geachtet haben als die meisten westlichen Militärstrategen, die auch im 21. Jahrhundert noch gern glauben, man könne mit entsprechender technischer Schlagkraft Kriege im Handumdrehen gewinnen und die Sache für sich entscheiden. Doch das ging ja bekanntlich jedes Mal schief. Auch in Vietnam. Auch wenn Siemon-Netto im Jahr 1965 durchaus noch ein Land schildert, das den Krieg siegreich hätte für sich entscheiden können. Auch wenn einiges in seinen Erzählungen schon ahnen lässt, dass das so sicher nicht unbedingt war. Denn wichtige Verbindungsstraßen waren schon unpassierbar. In manchen Regionen des Südens übernahmen in der Nacht die Vietcong die Herrschaft. Und im benachbarten Kambodscha entstand schon jene militärische Versorgungsstraße, die dann unter dem Namen Ho-Chi-Minh-Pfad bekannt wurde.
Der Vietnamkrieg ist heute hauptsächlich durch Negativschlagzeilen zum Einsatz der US-amerikanischen Truppen in Erinnerung – durch das Massaker von My Lai zum Beispiel oder den massiven Einsatz von Napalm und Agent Orange. Die Meldungen dazu trugen erheblich dazu bei, dass in den USA die Stimmung der Bevölkerung kippte und die Akzeptanz für den US-Einsatz in Vietnam schwand. Was es Kriegsreportern nicht leichter machte, ihre Geschichten loszuwerden. Was ist nun die Wahrheit über den Krieg? Gibt es überhaupt diese Wahrheit?

Oder dominieren die neuen Starjournalisten, wie Siemon-Netto sie nennt, die mit dem Medium Fernsehen auf einmal zu Berühmtheiten werden, deren Wortmeldungen auf einmal politisches Gewicht erhalten. Exemplarisch nennt Siemon-Netto den amerikanischen Fernsehjournalisten Walter Kronkite.

Der Vietnamkrieg ist heute hauptsächlich durch Negativschlagzeilen zum Einsatz der US-amerikanischen Truppen in Erinnerung – durch das Massaker von My Lai zum Beispiel oder den massiven Einsatz von Napalm und Agent Orange. Die Meldungen dazu trugen erheblich dazu bei, dass in den USA die Stimmung der Bevölkerung kippte und die Akzeptanz für den US-Einsatz in Vietnam schwand. Was es Kriegsreportern nicht leichter machte, ihre Geschichten loszuwerden. Was ist nun die Wahrheit über den Krieg? Gibt es überhaupt diese Wahrheit?

Oder dominieren die neuen Starjournalisten, wie Siemon-Netto sie nennt, die mit dem Medium Fernsehen auf einmal zu Berühmtheiten werden, deren Wortmeldungen auf einmal politisches Gewicht erhalten. Exemplarisch nennt Siemon-Netto den amerikanischen Fernsehjournalisten Walter Kronkite.

Eine spannende Frage, die sich auch heutige Star-Journalisten selten stellen: Welchen Einfluss sie tatsächlich auf die öffentliche Meinungsbildung haben. Auch welchen Einfluss insbesondere elektronische Medien haben, die sich selten wirklich tiefgründig und nachhaltig mit Themen beschäftigen, sondern selbst wichtige Ereignisse der Weltpolitik in 30-Sekunden-Häppchen packen und damit banalisieren. So kurz diese Häppchen sind, so durchschlagend ist oft ihrer Wirkung. Es ist ja noch immer so: Die Mehrheit der Mediennutzer will keine Zusammenhänge erklärt bekommen, keine Hintergründe wissen und sich auch nicht über Folgen Gedanken machen. Sie wollen nur ganz schnell wissen: Daumen hoch oder runter?
Natürlich hat auch Siemon-Netto seine Perspektive. Und er schafft natürlich ein farbenreiches Panorama seiner Jahre in Vietnam, die ihn auch immer wieder in brenzlige Situationen brachten. Doch er will es wissen und sehen, fliegt mit in den Norden, nachdem die nordvietnamesische Armee ihre Tet-Offensive gestartet hat und den Schrecken bis in die alte Kaiserstadt Hué getragen hat. Er verlässt auch das Hotel, als nachts mitten in Saigon auf einmal die Schüsse knattern. Aber spätestens seit Hué weiß er, dass dieser Krieg für den Süden verloren ist. Nicht nur weil der Norden seine Strategie des Guerilla-Krieges konsequent anwendet, sondern weil in den USA die Stimmung kippt. Die 68er, die er dafür verantwortlich macht, mag er gar nicht. Da ist er deutlich.

Aber seine Jahre in Vietnam haben ihn das Land und das Volk dennoch lieben gelehrt. Er hat dort Freunde gefunden wie den Straßenjungen Duc. Er hat Kollegen schätzen gelernt. Und er hat wohl die berechtigte Befürchtung, dass westliche Demokratien nie die Geduld haben werden, einen langwierigen Guerillakrieg siegreich zu Ende zu bringen.

Aber das weist natürlich über dieses Buch hinaus: Sind Kriege dann überhaupt noch die Mittel, mit denen internationale Konflikte gelöst werden können? Oder toben sich in ihnen die alten Denkweisen aus, die den Kalten Krieg für viele Völker zu einem heißen gemacht haben, der das Land auf Jahrzehnte zerstörte?

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Duc, der Deutsche
Uwe Siemon-Netto, Brunnen Verlag 2014, 15,99 Euro

Aber wie gesagt: Das weist über dieses Buch hinaus, in dem Uwe Siemon-Netto deutlich Partei ergreift für den Westen, die Demokratie und – ganz im Denken Axel Springers – die Freiheit. Hinten im Buch kommen noch mehr Endorsements, die genauso überflüssig sind wie die vorn im Buch. Siemon-Netto steht für sich. Er erzählt jenen Teil der Geschichte, den er selbst erlebt hat, emotional und plastisch und aus der Perspektive eines Reporters, der wirklich vor Ort war und auch Jahrzehnte später noch den Geruch des Todes in der Nase hat, wenn er sich zurückerinnert.

Das Erlebnis Vietnam hat ihn auch dazu gebracht, später noch lutherische Theologie zu studieren und als Seelsorger für Kriegsveteranen zu arbeiten. Noch so ein Thema, mit dem nicht nur die USA lange Zeit nicht umgehen konnten, denn tausende Soldaten kamen mit schweren seelischen Verletzungen aus den diversen Kriegen zurück. Und wurden damit lange Zeit allein gelassen.

Zur Leipziger Buchmesse ist Uwe Siemon-Netto auch in LeipzigAm Samstag, 15. März, um 16 Uhr ist er im Gemeindehaus der Friedenskirche in Gohlis zu Gast, ebenfalls mit Lesung und Gespräch “40 Jahre Vietnamkrieg. Siegten die Falschen?”

Am Sonntag, 16. März, um 14 Uhr ist er auf der Buchmesse in Halle 3 auf der Leseinsel Religion zu erleben in Lesung und Gespräch “40 Jahre Vietnamkrieg. Siegten die Falschen?”.

Und wenig später, um 16 Uhr, gibt es am Stand des Brunnen Verlages in Halle 3 (A 102) noch Gelegenheit zu einem “Kaffee mit Uwe – Diskussion mit einem Vietnamkrieg-Reporter”.

Uwe Siemon-Netto “Duc, der Deutsche”, Brunnen Verlag, Basel und Gießen 2014, 15,99 Euro

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