Waren deutsche Bauern früher besonders klug? Oder gar weise? Oder haben sie eher versucht, im jährlichen Wetterchaos so eine Art Struktur zu finden? - Wohl eher Letzteres. Und da sie in der Regel alle einen Kalender mit den ganzen Heiligen des Kirchenjahres zu Hause in der Küche hängen hatten, orientierten sie sich an den Heiligen, die jeweils zum Jahreszeitenumschwung passten.

Irgendwann entdeckten dann clevere Drucker und Kalendermacher die Faszination dieser Bauernregeln und legten sie in gigantischen Stückzahlen auf, oft noch ergänzt um allerlei selbsterfundene Nonsense-Sprüche, so dass es heute eine Unzahl von bäuerlichen Wettersprüchen gibt, von denen die Meisten sich selbst dem Stadtbewohner als Unfug präsentieren.

Was ja nicht bedeutet, dass sie alle falsch sind. Es ist wie mit so vielen Überlieferungen aus der Vergangenheit: Man muss die Quellen kennen. Und man muss wissen, wie man damit umgeht. Was bei all den Bauernregeln natürlich heißt: Alles was von diversen Spaßvögeln später untergejubelt wurde, muss ausgesiebt werden. Aber auch einige originale Bauernregeln müssen ausgesiebt werden. Denn einige Bauern waren dann wohl doch ein wenig zu kalendergläubig und reimten auch Sprüche auf Phänomene, die sie dann mit Mondphasen in Zusammenhang brachten oder mit jährlich wandernden kirchlichen Festen wie Ostern. Die klimatischen Zyklen richten sich nun einmal nicht nach kirchlichen Hochfesten. Und der Mond hat tatsächlich relativ wenig Einfluss auf das Wetter in Deutschland.Bei den restlichen Sprüchen ist die enge Kalenderbindung natürlich verständlich. Auch weil der europäische Kalender ja in seinen Ursprüngen selbst ein “Bauernkalender” war. Teilweise ist es noch in den römischen Monatsnamen zu sehen – wie in Mai, der seinen Namen von der Wachstumsgöttin Maia hat, oder in April, was vom lateinischen aperire, zu deutsch aufblühen, kommt. Und der Krieg kommt mit dem Gott Mars in den März nicht, weil die Römer am liebsten im März mit ihren Kriegszügen begannen, sondern weil in diesem Monat Winter und Frühling einen “Krieg” um die Herrschaft führen. Der Sieger steht ja bekanntlich schon fest.

Aber auch die alten germanischen Namen erläutert Maria Mail-Brandt in den kleinen Einführungen zu jedem Kapitel. Denn die monatliche Ordnung ist natürlich auch die logischste. Von den hunderten Heiligen, die einst den Kalender füllten, sind natürlich etliche einfach rausgeflogen, weil sie auch im Bauernkalender keine echte Bedeutung haben. Andere sind so markant, dass sie selbst Leuten geläufig sind, die nie einen Pflug in der Hand hielten. St. Valentin zum Beispiel am 14. Februar, einer von vielen katholischen Heiligen-Tagen, der wieder ein älteres, in diesem Fall römisches Fest überdeckt: das Fest der Göttin Juno, die mal kein Blut als Opfer wollte, sondern Blumen. Bitteschön am 14. Februar, dem Valentinstag.

Im März erfährt man beiläufig, woher das Wort Ausmerzen kommt. Ist ja nicht jeder Schäfer von Beruf, der im März die untauglichen Schafe aussortiert, ausmerzt. Wahrscheinlich sind das die, die dann zu Ostern als Osterlamm auf die Festtafel kommen. Der alte deutsche Name für März war Lenz, was “längerer Tag” bedeutet.

Und das steht jetzt nicht in diesem Büchlein, das der Verlag mit eindrucksvollen Bildern aus dem “Stundenbuch des Herzogs von Berry” gespickt hat, sondern in einem Buch, das demnächst hier besprochen wird: Wir haben das Wort Faullenzen alle gelernt falsch zu schreiben. Nur mit einem “l”. Aber noch im 19. Jahrhundert wurde es richtigerweise mit zwei “l” geschrieben. Weil der Faullenzer eben einer ist, der genau dann faul im Gras liegt, wenn die meiste Arbeit auf den Feldern ansteht – im Lenz nämlich. Kein Wunder, dass es auch einige Bauernsprüche gibt, die sich mit dem faulen Zeitgenossen beschäftigen. “Am Joseftag soll der faulste Bauer auf seinem Acker sein.” Zum Beispiel. Der Joseftag ist der 19. März.Vielleicht hat es der Bauer auch zu sich selbst gesagt, denn der beginnende Frühling verlockt ja auch zu anderem. Feldarbeit aber war über Jahrhunderte die reinste Schinderei. Deswegen wundert es auch nicht, dass der Kalender voller Feste ist, mit denen jede neue Etappe im Bauernjahr gefeiert wird – vom Karneval angefangen (der im Ursprung ein echtes Winter-Austreibe-Fest war) über die nächste Etappe der Winteraustreibung zu Ostern (mit Strohpuppe, Osterfeuer usw.) bis zu den Erntedankfesten im Herbst und dem Sommerabschiedsfest Samhain, das als Re-Import Halloween aus den USA zu uns zurückkehrte. Nur dass die alten Kelten und Germanen keine Kürbisse aushöhlten und mit Lichtern versahen, sondern Rüben.

Man sieht: Maria Mail-Brandt nutzt die gute Gelegenheit, auch auf engstem Platz noch ein bisschen mehr zu liefern als die nackte Regel. Dadurch, dass sie erklärt, welche heidnischen und kirchlichen Feste hinter vielen der Heiligen-Regeln stecken, bekommt man auch eine Vorstellung von der engen Verbindung des Arbeitslebens auf den einst recht einsamen Höfen und Dörfern mit den Festen des Kirchenjahres (die ihre alten Ursprünge oft gar nicht sehr verbargen). Der gute Merkspruch mit dem Heiligen war also auch ein Ansporn für den Bauern: Bis dahin musste er einen bestimmten Teil seiner Arbeit geschafft haben. Dann durfte auch gefeiert werden. Manchmal musste er sich sputen, wenn die alten Erfahrungsregeln ihm verrieten, dass das Wetter in diesem Jahr “mal wieder verrückt” spielen würde. Solche Kobolz schlagenden Wetterkapriolen deuten sich ja oft schon frühzeitig an.

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Bauernweisheiten durchs Jahr
Maria Mail-Brandt, Buchverlag für die Frau 2014, 5,00 Euro

Dass dabei große Klimazyklen eine Rolle spielen, wusste der Bauer natürlich nicht. Aber er hatte gelernt, auf die Zeichen seiner Umwelt zu achten und sich darauf einzurichten. Denn wenn er es nicht tat, verdarb die Ernte oder wuchs erst gar nicht. Oder er bekam nicht genug in die Scheuer, so dass der Winter und der Frühling zu einer Hungerkur wurden.

Dass man heutige Bauern eher selten noch so einen Spruch aufsagen hört, hat natürlich mit der modernen Arbeitsweise zu tun. Man ist nicht mehr ganz so elementar von den Wetterkapriolen abhängig. Aber auch der Klimawandel hat etliche alte Regeln außer Kraft gesetzt. Die Bilder aus dem im 15. Jahrhundert entstandenen “Stundenbuch des Ducs von Berry” zeigen so ungefähr die dörfliche Welt, in der die ursprünglichen Bauernregeln entstanden. Ein kleines Buch für die Sinne also. Zum Einstecken bei Landspaziergängen, wenn man mal wieder Landluft schnuppern will.

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