Die unpassenden, vierschrötigen, sperrigen Typen sind sein Metier. Schon 2011 hat der Leipziger Schriftsteller Norbert Marohn ein Buch über den SA-Chef und Hitler-Konkurrenten Ernst Röhm geschrieben. Selbst die moderne Geschichtsschreibung macht gern einen Bogen um den 1934 Ermordeten. Und mit Max Hoelz ist es - am anderen Ende des politischen Spektrums - ganz genauso. Zeit für eine weitere sperrige Biografie.

Auch wenn es seit 1989 zumindest einige Veröffentlichungen gab über diesen Rebellen aus dem Vogtland, auch ein Denkmal wurde errichtet in Falkenstein, bevor die “Wende” auch übers Vogtland fegte und die alten, besorgten Kleinbürger wieder aus der Versenkung kamen und eine sofortige Demontage forderten. Erschreckt hatte Hoelz die Honoratioren gewaltig, als er 1920 nicht nur mit einem von ihm gegründeten Arbeitslosenrat die Kräfteverhältnisse im verschlafenen Falkenstein völlig umkrempelte, sondern auch noch mit bewaffneten Trupps quasi eine eigene kleine Räterepublik – ohne Räte – errichtete. Nicht der einzige Husarenstreich, bei dem sich der Tagelöhnersohn als exzellenter Wortführer und Organisator zeigte.

Selbst der heutige Wikipedia-Artikel gibt sich in diesem Abschnitt denkbar knapp, verquickt den Aufstand im Vogtland einfach mal kurzerhand mit dem mitteldeutschen Aufstand im Mansfeldischen ein Jahr später, bei dem der von Berlin angereiste Hoelz kurzerhand das Kommando übernahm, weil die KPD-Akteure vor Ort augenscheinlich völlig überfordert waren. Seinen Ruf hatte sich Hoelz längst erarbeitet – nicht nur hatten drei Militär-Exkursionen vergeblich versucht, 1920 das utopische Experiment in Falkenstein zu beenden – Hoelz war gleich mehrfach auch diversen Versuchen, ihn zu verhaften, entkommen. Er hatte schon damals einen Ruf wie Stülpner-Karl. Ein Rebell mit Konsequenz, denn er machte einfach weiter, wenn selbst die Partei Mäßigung befahl. Deswegen war seine Radikalisierung fast zwangsläufig – von der SPD zur USPD zur KPD zur KAPD. Weiter links ging es eigentlich nicht mehr. Und selbst die Funktionäre der KAPD hatten so ihre Probleme mit diesem Rebellen, der sich nicht anpassen wollte.

Woher das kam, versucht Marohn so weit wie möglich zu erkunden. Die Quellen zur Kindheit von Max Hoelz sind spärlich, genauso die zu seinem frühen Berufs- und Wanderleben. Den 1. Weltkrieg hatte Hoelz fast in Gänze mitgemacht, bis es ihn dann 1918 doch noch ins Lazarett verschlug, wo er augenscheinlich deutliche Zeichen eines posttraumatischen Belastungssyndroms zeigte, auch wenn es Marohn so nicht nennt. Möglich, dass Vieles im Leben des Max Hoelz daher erklärbarer wird. Denn der Bruch ist auch in dieser Biografie sichtbar – der Bruch zwischen dem gehorsamen Arbeiter und Soldaten, der Hoelz bis 1918 war – und seiner nachfolgenden schnellen Radikalisierung.
Wobei all das, was er im Vogtland auf die Beine stellte, so ungewöhnlich nicht war für die Zeit. Auch anderswo versuchten Arbeiter- und Soldatenräte oder Einzelakteure, die Chance zu nutzen, das Land tatsächlich voranzutreiben zu einer anderen, eher sozialistischen Republik. Nur wurde das in der Regel schnell und blutig niedergeschlagen – so wie in Berlin, wie im Ruhrgebiet und – nicht ganz so blutig – in Leipzig.

Logisch, dass das in so einer Biografie Exkurse erzwingt, denn wer über diese frühen 1920er Jahre schreibt, kann nicht mehr damit rechnen, dass die Leser überhaupt noch wissen, welche Kräfte damals am Wirken waren und wie früh die nun auf einmal in Regierungsverantwortung stehende SPD mit den finstersten Kräften der Zeit kollaborierte – den alten Militärs und den Freikorps, die überall dort zur Reichsexekution eingesetzt wurden, wo die Ereignisse aus Sicht der Berliner Regierung aus dem Ruder zu laufen schienen – gegen die Münchner Räterepublik genauso wie gegen das rote Sachsen. Das bedingt nicht nur einen Exkurs. Aber schon der erste hat es in sich, denn hier porträtiert Marohn in aller Kürze einen Mann, der so prägend für die Entwicklung des späten Kaiserreichs, der Weimarer Republik und des folgenden NS-Reiches war wie kein zweiter: den Industriellen Hugo Stinnes, der zwar schon 1924 starb – aber da waren im Grunde alle Weichen längst gestellt zu einer Diktatur, wie sie sich die deutschen Großindustriellen innigst wünschten.

Eine moderne Biografie, die diesen ganz speziellen deutschen Unternehmer einmal ausführlich würdigt, ist im Grunde ebenso überfällig. Oder noch deutlicher gesagt: Ohne Stinnes hätte es den Aufstieg eines Hitler nicht gegeben.

Die frühe Weimarer Republik war kein gemütliches Land. Auf offener Bühne und oft mit blutiger Gewalt wurden die Machtverhältnisse ausgefochten. Und auch beim Ausbruch des Mansfelder Aufstandes spielte die Berliner Republik eine sehr dubiose Rolle, als sie bewaffnete Verbände der sogenannten Sicherheitspolizei ins Mansfeldische Industrierevier schickte, wo Hugo Stinnes in mehreren wichtigen Unternehmen mehr als nur eine Aktie hatte. Erst der Einsatz der Sipo löste den Aufstand aus. Und erst mit der Ankunft von Max Hoelz nahm der Aufstand organisierte Züge an.

Verurteilt wurde er später nicht für die Vorgänge im Vogtland, sondern für sein Agieren im Mitteldeutschen Aufstand. Und auch da vor allem wegen eines Mordes, der gar nicht auf sein Konto ging.

Die Zuchthausjahre müssen für den rebellischen Kopf eine Tortur gewesen sein. Doch er ließ sich nicht kleinkriegen, nicht einmal von der KPD-Führung, die mit dem nicht auf Linie zu trimmenden Burschen immer wieder in Konflikt geriet, wieder den Konsens suchte und am Ende froh war, dass sie den Sturkopf in die Sowjetunion schicken konnte, ein Land, das Hoelz sichtlich faszinierte, auch wenn er wahrscheinlich nie wirklich begriff, welche Konsequenzen der von Stalin installierte Kurs auch gerade für ihn haben sollte.

Mittlerweile ist ja recht gut belegt, dass Hoelz 1933 wohl von der GPU (die ihn faszinierte und der er fast kindlich vertraute) umgebracht wurde. Einer von vielen Kommunisten, die glaubten, im Reich Stalins Zuflucht finden zu können und sich sehr bald – wie die alten Kampfgefährten Lenins – vor Gericht gezerrt und hingerichtet fanden. Eine kleine Liste der Ermordeten, zu denen viele Freunde und Weggefährten von Max Hoelz gehören, gibt Marohn seinem Buch bei. Genauso, wie er zuvor auch die Liste von Emil Julius Gumbel bringt, in der der Publizist aufgearbeitet hat, wie die deutsche Justiz mit den politischen Morden in der Weimarer Republik umging, die sich nicht nur in der Dimension deutlich unterschieden – auf 354 nachweisbare Morde der Rechtsextremen kamen 22 mit Tätern aus dem linken Spektrum. Doch während die linken Täter im Schnitt 15 Jahre Zuchthaus pro Nase verpasst bekamen, bekamen die rechtsradikalen Täter im Schnitt 4 Monate Gefängnis oder gingen gleich ganz straflos aus.

Tatsächlich ist Max Hoelz eine grundsätzlich tragische Gestalt, unfähig, die Zickzackkurse der damaligen KPD mitzugehen. Und damit auch damals für die Funktionäre dieser Partei eher ein Störfaktor – der dummerweise viel bekannter und beliebter war als das komplette Führungskomitee, wenn man von Ernst Thälmann einmal absieht. Im Ergebnis wurde Hoelz dann auch in der DDR lange zur persona non grata erklärt, denn die neuen Machthaber Pieck und Ulbricht kamen ja aus diesem alten Führungskartell. Es dauerte tatsächlich bis zum 100. Geburtstag von Max Hoelz, dass er in seiner Heimat zumindest wieder zum Forschungsobjekt wurde. Dumm nur, dass das ausgerechnet 1989 war. Da ging auch dieser Ansatz im großen Schlamassel unter. So gesehen besetzt Marohns Buch über Hoelz eine echte Lücke in der literarischen Landschaft. Dass es den Untertitel “Biografie einer Zukunft” trägt, hat natürlich mit dem zweiten großen Exkurs zu tun, der sich einmal recht nachdenklich mit der “kommunistischen Vision” beschäftigt, die eben heute so tot ist wie 1933. Was nicht an Leuten wie Hoelz liegt, sondern an dem, was Stalin ab 1924 draus gemacht hat: eine Art Staatsimperialismus mit einem alleinherrschenden Führer an der Spitze, der auch sämtliche anderen Parteien der Komintern auf Linie befahl, egal, was das für eine Linie war.

Und dazu gehört dann im Nachhinein auch der verdruckste Umgang der damaligen KPD-Führung mit den diversen vergeigten Aufständen in Hamburg, im Ruhrgebiet oder eben im Mansfelder Revier. “Verdrängte Revolution” überschreibt Marohn das Kapitel zum Auftritt von Max Hoelz als “General der Roten Armee” 1921. Alles Aufstände, die eher nur Kapitel im kurzen heftigen Leben der Weimarer Republik wären, wenn sie nicht bis hin zur Machtübernahme der Nazis und den Reichstagsbrandprozessen die Legenden eines Aufstands von links genährt hätten, mit denen alle Maßnahmen der frisch installierten Hitler-Clique begründet wurden. Ein Aufstand, der nie stattfand. Dazu fehlte in Deutschland einer wie Max Hoelz.

“Hoelz. Biografie einer Zukunft”, Norbert Marohn, Lychatz Verlag 2014, 19,95 Euro

http://lychatz.com

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