Gerade weil Arnold Bartetzky in "Die gerettete Stadt" die Entwicklungen seit 1989 alle noch einmal nachvollzieht, wird deutlich, was für eine Ochsentour Leipzig in diesen 25 Jahren durchgemacht hat - von der ruinierten Stadt hin zu einer Stadt, die heute bei vielen Stadtplanern, Investoren und Touristen als Hingucker gilt. Da und dort ganz sicher ein Vorbild für die Rückgewinnung eines historischen, kompakten und erlebenswerten Stadtbildes.

Was auch eindeutig an den Weichenstellungen noch unter Niels Gormsen in seiner Zeit als Baubürgermeister liegt. Das hat viel Wildwuchs, aber auch eine wilde Möblierung der Stadt verhindert. Es hat freilich einzelne Baukatastrophen nicht verhindern können, gerade weil die klamme Stadt in der Regel immer nur den Rahmen vorgeben kann – am Ende sitzt auch beim Bauen immer der Investor am längeren Hebel. Und baut dann oft genug etwas, was zwar dem Zeitgeist (oder den Erwartungen an ganz viel Dividende) genügt, aber zumeist schon binnen weniger Jahre zeigt, wie alt und entbehrlich es eigentlich ist.

Bartetzky hat da so einige Kandidaten im Leipziger Stadtbild gefunden, bei denen er sicher ist, dass die schadlos wieder weg können. Etliche der Anfang der 1990er Jahr hingeklotzten Büroungetüme gehören dazu, zwei völlig überdimensionierte Einkaufstempel, aber auch einige Architektursünden, bei denen sich selbst der Laie fragt: Musste das sein? – Man denke nur an den schwarzen Sarg für das MDR-Sinfonieorchester am Augustusplatz. Deutlicher kann ein Neubau gar nicht zeigen, dass ihm die Platzwirkung egal ist. Das ist gebaute Ignoranz.

Beim Nachbargebäude der Universität sieht Bartetzky das Gegenteil: zirkushafte Aufdringlichkeit.

Und er erwähnt einen der Gründe dafür, warum es in Leipzig immer wieder zu architektonischen Purzelbäumen kommt. Auch als es um den Wettbewerb für das neue Uni-Gebäude ging, schürte die zuständige Zeitung die Stimmung und ließ ihre Leser regelrecht abstimmen, was sie nun haben wollten. Das ist bei mehreren Architektur-Projekten in Leipzig mehr oder weniger jedes Mal in die Hose gegangen.

Was aber nicht so sehr auffällt, weil auch Investoren allein in der Lage sind, frappierend störende Baukörper ins Stadtbild zu setzen. Nicht nur in der Innenstadt, sondern vermehrt auch in den Stadtteilen, wo reihenweise regelrecht hartleibige Einkaufscenter dafür sorgen, dass Straßen ihr Gefüge und ihre Atmosphäre verlieren. Und der moderne Wohnungsbau, der ja auch so langsam wieder angefangen hat, zeitigt augenscheinlich auch einige Baukatastrophen, die eigentlich auf die Couch eines Psychiaters gehören. Und viele, viele der beliebten Stadthäuser gehören dazu.

Die Frage, die Bartetzky stellt, ist nun natürlich nicht mehr “Ist Leipzig noch zu retten?” – denn die Stadt hat nach dem höllischen Tief in den 1990er Jahren in den vergangenen zehn Jahren eindeutig ihre alte Vitalität wiedergefunden, ist attraktiv geworden für Zuzügler, Investoren und Gründer. Da und dort hat sie noch einige der als so wichtig erkannten Spielräume für kreative Pioniere behalten, deren Rolle als Initialzünder für viele Ortsteile in Leipzig hätte exemplarisch studiert werden können. Doch das Buch dieser Pioniere hat erstaunlicherweise noch niemand geschrieben. Das verblüfft schon. Denn einiges davon ist nicht nur zum Leipziger Exportgut geworden (wie die Stadthäuser und die Wächterhäuser), es gehört heute auch zu dem, was für Bewohner und Gäste diese Stadt erst erlebenswert macht – von der reichen Café-, Kneipen- und Boutiquenkultur in den neuen “Pioniervierteln” bis hin zu einem gelungenen Umnutzungskonzept für alte Fabrikanlagen – wie im Tapetenwerk, im Westwerk oder in der Baumwollspinnerei.

Das mischt sich heute alles noch. Und die kreativen Umnutzungen der alten Fabriken fügen sich eindeutig besser in die Stadtteilentwicklung als die meisten der nur scheinbbar modernen Baulösungen für Wohnparks oder Supermärkte. Deshalb lautet Bartetzkys Frage nun: Wieviel davon verträgt Leipzig noch?

Denn das Drama der schein-modernistischen Bauklötzer ist ja ihre Gesichtslosigkeit, verbunden zumeist mit einer in Beton gebauten Introvertiertheit – sie drehen der Straße fast alle ihre unansehliche Rückseite zu. Und der Wohnungsbau hat ja gerade erst richtig begonnen. Wenn es (weil es mal wieder rasend schnell gehen muss) auch in den nächsten Jahren reihenweise solche Baulösungen mitten in lebendigen Wohnvierteln gibt, kann das mehr werden als nur eine architektonische Katastrophe.

Aber zumindest ist man am Ende dieser eigentlich wie eine große Diskussion geschriebenen Betrachtung zu 25 Jahren Leipziger Stadt- und Baugeschichte nicht deprimiert. Zwar waren es nicht nur sieben düstre Jahre, wie einst die Gruppe Karat nach einem Text des Leipziger Dichters Helmut Richter sang, sondern 14, die Leipzig durchstehen musste, aber den düsteren Jahren sind eindeutig ein paar helle Jahre gefolgt. Und Helge-Heinz Heinkers Buch von 2004, in dem er sich so kritisch mit dem uralten und eigentlich schon abservierten Label “Boomtown” beschäftigte, wirkt aus heutiger Sicht tatsächlich wie eine Bilanzaufnahme genau zu dem Zeitpunkt, als Leipzig tatsächlich endlich wieder Tritt fasste.

Wozu die schreckliche Olympiabewerbung von 2001 wohl doch einiges beigetragen hat, auch wenn dieser Hype in der Rückschau irritiert. Waren tatsächlich so viele Leute davon überzeugt, dass Leipzig eine Monsterveranstaltung wie Olympia wirklich schadlos hätte überstehen können?

Tatsächlich ließen ja auch damals die Stadtplaner schon in Nebensätzen durchblicken, dass die Bewerbung Leipzig auf jeden Fall helfen würde, weil sie wichtige Strukturfördermittel in die Stadt holen würde, die es aus den normalen Fördertöpfen einfach nicht gab. Und ein Teil dieser Gelder kam ja dann auch.

Auch wenn sie teilweise eine undurchdachte Verkehrspolitik bestärkten, die schon in den Vorjahren zum völlig unnötigen Verlust vieler Baudenkmäler geführt hatte. Ein Thema, bei dem Bartetzky durchaus etwas schärfer formuliert, weil auch im Nachhinein die Unsinnigkeit solcher verkehrspolitischer Großprojekte (wie in der Friedrich-Ebert-Straße) unübersehbar ist. Einige der heutigen Löcher in der Stadt gehen eindeutig auf das Konto der heutigen Leipziger Planer. Und in Bartetzky haben sie nun seit Jahren einen vehementen Kritiker, der sich auch mal öffentlich in die Bresche wirft, wenn’s mal wieder zu arg ist. Man soll ja die Hoffnung nie aufgeben, dass auch Stadtplaner lernen. Investoren, die auf Teufel komm raus ihre Mega-Visionen hinklotzen, braucht man eigentlich nicht belehren. Die merken’s hinterher am Geldbeutel, wenn ihre Super-Vision der simplen Realität nicht standhält. Was Bartetzky dann wieder zu der kleinen, fröhlichen Hoffnung animiert, dass bei einigen der schlimmsten Bausünden der letzten Zeit schon bald wieder die Abrissbagger anrollen.

Tipp: Buchpremiere für “Die gerettete Stadt” ist am Dienstag, 14. April, um 19.30 Uhr im Oberlichtsaal der Stadtbibliothek Leipzig, Wilhelm-Leuschner-Platz 10.

Arnold Bartetzky “Die gerettete Stadt. Architektur und Stadtentwicklung in Leipzig seit 1989, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 19,90 Euro

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Es gibt 2 Kommentare

Nicht nur sind nach der Wende Gründerzeithäuser passiv “in sich zusammengerutscht”, da wurde bösartiger Raubbau betrieben (Brandstiftung etc, siehe Prager Straße auf mehreren Kilometern!). Und noch bis 2006 wurden fleißig Gründerzeithäuser bewusst verfallen gelassen und abgerissen.

Der Märchenpalast in der Ebert-Straße – wegen der WM abgerissen, damits orndlich aussieht. Die Kleine Funkenburg. Möge ihr Geist dem seinerzeitigen Stadtbaurat schreckliche Alpträume bereiten. Wie war das mit der Villa am Felsenkeller, LWB? Hm?!? Und ich vermute, dass Sie noch mehr auf dem Kerbholz haben.

Der jetzige Leipzig-Hype gründet sich auf den Trümmern, die die DDR-Wirtschaft und die Nachwendepolitik noch übriggelassen haben. Die heutigen Hipster, die aus dem gebrauchten Westen kommen, wo es aufs Ganze gesehen kaum noch Altbausubstanz gibt, wissen gar nicht, was sie bereits verpasst haben.

“Auch wenn sie teilweise eine undurchdachte Verkehrspolitik bestärkten, die schon in den Vorjahren zum völlig unnötigen Verlust vieler Baudenkmäler geführt hatte. Ein Thema, bei dem Bartetzky durchaus etwas schärfer formuliert, weil auch im Nachhinein die Unsinnigkeit solcher verkehrspolitischer Großprojekte (wie in der Friedrich-Ebert-Straße) unübersehbar ist. Einige der heutigen Löcher in der Stadt gehen eindeutig auf das Konto der heutigen Leipziger Planer.”

Bitte ein Freiexemplar an die Stadt senden!!!

Und vielleicht lässt sich in Zukunft eindämmen, dass Investoren allein in der Lage sind, frappierend störende Baukörper ins Stadtbild zu setzen.

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