So langsam nähert sich endlich der Termin, an dem der Neubau der Uni Leipzig am Augustusplatz ganz fertig sein wird. Mit sechs Jahren Verspätung. Und einer Menge Diskussion um die Universitätskirche. Oder ist es doch keine? Eine Frage, die vielleicht noch Jahre schwelt. Der Paulinerverein setzt jetzt mit einem neuen Buch erst einmal einen Punkt. Der auch ein Semikolon sein könnte.

Denn ganz zufrieden ist der Paulinerverein (noch) nicht mit dem Ergebnis. Zu stark hat sich der Verein mit seiner Gründung auf den Wiederaufbau der 1968 gesprengten Universitätskirche St. Pauli fokussiert. Was auch in der Rückschau verständlich ist. Denn diese Sprengung war ein Frontalangriff auf das Herz der Leipziger, die schiere Demonstration von Macht, entschieden entweder im Ulbrichtschen ZK, von Ulbricht selbst oder im Funktionärswechselspiel zwischen Ulbricht und seinem Leipziger Libero Paul Fröhlich, den selbst der SED-Mann Karl Schirdewan als einen Linkssektierer bezeichnete.

Nach 1990 schien der Wiederaufbau der 1231 von den Dominikanern gegründeten Kirche möglich. Die alten, ab 1970 auf dem Gelände der gesprengten Paulinerkirche, von Augusteum und Albertinum (beide ebenfalls sinnloserweise gesprengt) errichteten Gebäude waren reif für den Abriss, boten auch nicht mehr genug Platz. Der geplante Neubau bot die einmalige Chance, den Verlust von 1968 wieder gut zu machen. In den 1990-er Jahren wogte trotzdem der Streit. Denn hier ging es – anders als in Dresden – nicht um den Wiederaufbau eines Gotteshauses, das über 40 Jahre als mahnende Ruine am Platz gelassen worden war. Der Platz gehörte auch nicht der Kirche. St. Pauli war 1543 mit dem kompletten Kloster der Dominikaner der Universität übereignet worden. Hier hatten also die Universität und der Freistaat allein das Sagen. Und schon in dieser Konstellation waren die 1990-er Jahre reich an Konflikten, so reich, dass sich Rektoren immer wieder genötigt sahen, ihre Souveränität einzuforden. Oder mit großem Aplomb zurückzutreten wie 2003 Uni-Rektor Volker Bigl, als die Staatsregierung im Alleingang den Wiederaufbau der Universitätskirche beschloss.

Das war dann zwar ein kleiner Sieg für den Paulinerverein, der ja genau darum gekämpft hatte. Aber es war ein Pyrrhussieg. Denn damit war ein Bruch aufgerissen, der die Diskussionen in den nächsten 12 Jahren bestimmte. Im von Martin Helmstedt und Ulrich Stötzner, beide lange Jahre in Führungsämtern des Paulinervereins tätig, zusammengestellten Buch sind auch viele der Diskussionen und Konflikte der letzten Jahre dokumentiert – vor allem als Originalbeiträge aus Medien, Reden, Predigten, Presseerklärungen, offenen Briefen. Das geht fließend ineinander über, denn natürlich liegt den Autoren auch die Geschichte des Paulinervereins am Herzen, seine Meinungsbildung und seine Positionen.

Zu Beginn des Buches erzählen sie noch einmal kurz die Geschichte der Kirche, ihre Umbauten und ihre Rolle im universitären und religiösen Leben der Stadt. Auch der Protest von 1968 kommt ins Bild, immerhin ein wichtiger Meilenstein in der Leipziger Vorgeschichte der Friedlichen Revolution. Damals konnte die Staatsmacht noch rigide durchgreifen und auch die entscheidenden Gremien manipulieren. Wobei völlig offen ist, ob der Senat der damaligen Karl-Marx-Universität von sich aus tätig wurde und den Abriss der alten Gebäude der Universität forderte, oder ob er auch hier nur die Marionette der Partei war.

Aber gerade weil die Fronten 1968 so offensichtlich waren, waren auch die Konflikte nach 1990 umso heftiger und auch die neue Universitätsleitung stand bald in der Kritik, musste sich auch oft genug eine Gleichsetzung mit der alten Uni-Leitung in sozialistischen Zeiten gefallen lassen. Und diverse Studierenden-Räte nahmen die Uni-Leitung wieder auf ihre Weise unter Beschuss.

Am Ende brauchte es drei Wettbewerbe, bis die Uni-Neubauten am Augustusplatz ein neues Gesicht bekamen und vor allem der Entwurf Erik van Egeraats tatsächlich das zentrale Anliegen des Paulinervereins sichtbar machte, der verlorenen Universitätskirche wieder ein Gesicht zu geben. Im Grunde war das – nachdem zuvor die Fronten völlig verhärtet schienen – mehr als nur ein Kompromiss, sondern ein echter Erfolg, den die beiden Pauliner-Autorinnen auch ein bisschen würdigen, indem sie nicht nur die neue Kirche als Bild aufs Cover packen, sondern auch die Formel “neu erstanden” verwenden.

An Letzterem hangelt sich der Streit in den letzten Jahren, insbesondere seit 2009, als die erste Andacht im noch rohen Aula/Kirchenbau stattfand und man sich eher um Details stritt – die trennende Glaswand, ja oder nein, die Anbringung der Kanzel – ja oder nein. Und warum der seltsame Name “Paulinum”? So hieß früher kein Universitätsgebäude. Die Paulinerkirche war Andachtsort und Aula zugleich. Die Uni-Rektoren zogen sich gern auf den Standpunkt zurück, als Universität dürften sie gar keine Kirche bauen. Aber kann man die religiöse Nutzung des neuen Raumes auf einen Andachtsraum beschränken?

So langsam macht sich eher das Gefühl breit, dass das die nächsten Jahre erst entscheiden können, wenn für den großen Raum einvernehmliche Nutzungen gefunden werden müssen, die den repräsentativen Anspruch der Universität (Kongresse, Feiern, Festakte) in Einklang bringen mit den Konzerten des Universitätschores, den Anmeldungen zu religiöser Nutzung und den Bedürfnissen der Theologischen Fakultät. Tatsächlich hat die Universität mit diesem eindrucksvollen Gebäude etwas, was sie natürlich von fast allen anderen Universitäten der Welt unterscheidet. Was aber eben nicht nur mit der Existenz der Kirche an sich zu tun hat, sondern auch der einmaligen opulenten Lage mitten im Herzen der Stadt. Aber es ist eben auch nicht nur eine religiöse Spurensuche, sondern eine – auf den zweiten Blick sichtbare – typische Leipziger Lösung für den Umgang mit einer historischen Wunde: Sie wird nicht einfach zugekittet und rekonstruiert, sondern hat eine neue Formensprache gefunden, die eigentlich geradezu einlädt zum Dialog.

An anderer Stelle hat die heutige Leipziger Stadtverwaltung den Dialog verweigert. Das betrifft die Etzoldtsche Sandgrube, wo 1968 die Trümmer abgekippt wurden, vermischt mit Sargresten und Knochen aus den Grüften unter der alten Paulinerkirche. Die Klanginstallation manifestiert die Tatsache nur, dass hier in wildem Gemisch eine Kirche entsorgt wurde. Bis heute gibt es keine offizielle Nachricht darüber, wo die einst in der Paulinerkirche Bestatteten 1968 eigentlich abgeblieben sind. Und dass man beim Baubeginn für die Universitätskirche 2007 einfach keine Zeit ließ, das Terrain noch einmal gründlich archäologisch erforschen zu lassen, stieß dem Paulinerverein ganz sauer auf.

Am Ende des Buches versucht Ulrich Stötzner noch einmal eine neue Maximalvariante des Vereins für die Umgestaltung des Raumes, der heute Aula/Universitätskirche ist, zu formulieren. Aber das nimmt tatsächlich dem Buch und dem Anliegen des Paulinervereins sogar die Spitze. Denn dass die Lösung heute so aussieht, wie sie ist, das ist eigentlich dem engagierten Dranbleiben des Paulinervereins zu verdanken. Das kann er als Erfolg für sich verbuchen. An so einer Stelle feiert man eigentlich und genießt den Erfolg.

Martin Helmstedt, Ulrich Stötzner “Vernichtet, vergraben, neu erstanden. Die Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2015, 14,80 Euro

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Es gibt 5 Kommentare

Werte Jana,

allein am Duktus Ihres längeren Kommentars kann ich es nicht glauben, dass Sie neutral und lediglich eine interessierte Leserin sind.

Dieses Umdefinierens (“IST keine Kirche”) bin ich es langsam leid. Haben wir eigentlich schon hinter uns.

Wissen Sie was, was eigentlich ein Stadtbilderklärer einem Touristen sagen soll. Hier eine fiktive Szene:

Tourist aus Übersee, mit Stadtbilderklärer auf dem Leuschnerplatz stehend: “Oh, what a fine place, this ‘Platz der friedlichen Revolution’. Really, they battled with the Stasi right here?”
Stadtbilderklärer: “No, I’m sorry. This place is name after the revolution of 1989. The demonstration took place somewhere else, about 800 metres from here. Let’s go.”

(Auf dem Augustusplatz angekommen, Blick auf den Egeraat-Bau)
Tourist aus Übersee: “Oh, what an interesting church. A little bit skew but futuristic in a nice way. Which denomination? Catholic, Protestant?”
Stadtbilderklärer: “No, I’m sorry. This is not a church. It’s just one of the university’s building. Look, there is no entrance.”
Tourist aus Übersee: “I believe, Mr Stadtbilderklaerer, you’re joking all the time, aren’t you? Next time, you will say that a circle is not a circle but a square.”

Das PDF können Sie ja mal an Lizzy leaken. Wäre echt interessant.

Es ist ein Buch vom Paulinerverein. Es ist natürlich nicht zu erwarten, dass die dargestellten Ansichten neutral sind. Ebensowenig ist es dieser Artikel.

Beim Neubau handelt es sich nicht um den Wiederaufbau der Kirche. Dieser Wiederaufbau wurde n den 90ern Jahren abgelehnt. Übrigens war damals auch die Mehrheit der Leipziger dagegen.
Es ist erschreckend, wie solche demokratischen Beschlüsse und wie auch die Universität immer wieder angegriffen werden, wenn eine kleine laute Gruppe nur immer wieder an den richtigen Hebeln zieht.
Die Universität stellt sich mit dem gesamten Campus-Neubau ihrer Geschichte.
Das Paulinum IST keine Kirche, deshalb heißt es so. Es soll aber an sie erinnern. Warum reicht das nicht? Und wie kann es sein, dass eine private Stiftung hier überhaupt Mitbestimmung fordert? Das sollte Leipzig empören.
Als Protest sind schon einmal Rektor und das gesamte Prorektorat komplett zurückgetreten – zu Recht!

Nun zum Buch.
Ist in diesem Buch auch der sog. Harms-Kompromiss dokumentiert, in vollem Wortlaut? Kurz nachdem er bei einer Lokalgazette noch herunterzuladen war (habe ich leider verpasst), ist er WWW-technisch spurlos verschwunden. Seitdem streiten sich gewisse Gestalten gerne um irgendwelche Wortlaute, die gar nicht mehr nachzuprüfen sind.

Ich sage übrigens voraus, dass diese gräusliche Plexiplastikwand bald wieder abgebrochen werden wird. Wie kann man diesen coolen neuen Konzertort optisch und akustisch dermaßen verhunzen? Nur damit die Loestschen Stalinisten mal Ruhe geben?

Noch etwas:
Ich verstehe nicht, wieso hier in Leipzig alle immer so tun, als ob jeder wüsste, wo diese ominöse Etzoldsche Sandgrube und insbesondere der Trümmerberg eigentlich liegen. In Probstheida, ja, klar, aber wo genau? Vor ca. fünf Jahren jedenfalls hatte ich erst nach mühsamen Googeln und nachfolgender Suche in Textdateien gefunden, dass die Grube an der Augustinerstraße liegt (ist dann sehr schnell zu finden). Das mal zu allgemeinen Info.

In meinen Augen war der Streit in Leipzig hauptsächlich ein Konflikt mit Leuten, die sich total sicher waren, dass “die Kirche” sich da etwas bemächtigen wolle. Diese tiefe Aversion gegen die Kirchen fand ich geradezu bizarr angesichts des kleinen Bevölkerunganteils von Christen (der Vergleich mit Nordkorea wird gerne herangezogen). Anderswo, besonders im gebrauchten Westen, wäre eine funktionsfähige Kirche aufgebaut worden mit einem ordentlichen Eingangsportal unter der Rosette, und kaum wen hätte es groß interessiert. Dass unter der Rosette just KEINE Tür ist, ist architektonisch richtiger Augenkrebs und wohl der Stalinistenfraktion (so Loest) geschuldet.

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