Wenn Deutsch- und Englischlehrer ihren Schülern mal was Feines antun wollen, dann verlegen sie den gemeinsamen Unterricht mal auf eine Klassenfahrt nach Augsburg und lassen die Pfiffikusse dort mal auf Englisch nach einem gewissen Bert Brecht suchen. Das ist jetzt auch mit diesem Stadtführer möglich.

Der Lehmstedt Verlag hat damit seinen 2013 erschienenen Augsburg-Führer auch auf Englisch vorgelegt. Auch in der Großstadt am Lech schaufelt der Städtetourismus die Gäste in die Stadt. Und wo die üblichen Fernsehkieker an Augsburger Puppenkiste denken, dürften nicht nur Deutsch- und Englischlehrer so kleine Aha-Erlebnisse haben, wenn sie an die 2.000 Jahre alte Stadt denken. Hier waren die Römer wirklich, haben ein Militärlager hingebaut und es “Augusta Vindelicum” genannt. Da könnte sich Leipzig verstecken, wenn nicht der berechtigte Verdacht bestünde, dass auch Leipzig mindestens 2.000 Jahre alt ist – nur die Römer waren nicht da und die christlichen Märtyrer auch nicht.

Und wie war das 955, als die Ungarn in Alemannien einfielen und Augsburg belagerten? Waren vielleicht ein paar Leipziger unter den Truppen von König Otto, die die Ungarn auf dem Lechfeld besiegten? Wohl nicht. Otto musste sogar 2.000 Krieger im Osten zurücklassen (also wohl auch auf der Burg Libzi), weil die Slawen noch immer gegen die deutsche Landbesetzung revoltierten. Aber man ahnt schon: Auch den Geschichslehrer könnte es reizen, mit seiner Klasse nach Augsburg zu fahren, wo es zum Beispiel in der Dominian Church of St Magdalene das Roman Museum zu sehen gibt. Etwas, was man in Sachsen nun wirklich nicht findet: Echte Zeugnisse römischer Geschichte.

Aber selbst wann man bei diesem Geschichtskapitel noch nicht nach Augsburg will, lohnt es sich beim 15. und 16. Jahrhundert gleich mehrfach. Erst recht, wenn der Geschichtslehrer seinen unruhigen Schülern vorher erzählt hat, wie Leipzig im 15. Jahrhundert reich wurde und entsprechend attraktiv für die großen Händlerfamilien aus Augsburg: die Fugger und die Welser. Deren Wirken kann man in Augsburg heute noch eindrucksvoll bewundern. Die Stationen in diesem Schnellführer durch Augsburg lauten zum Beispiel Fuggerplatz (Nr. 3), Fuggerei (Nr. 18) und Fugger Houses (Nr. 29).

Aber auch beim Thema Reformation ist Augsburg Reiseziel, denn das Kapitel “Augsburger Konfession” sollte im Schulunterricht schon vorkommen. In Augsburg eng verbunden mit Kaiser Maximilian II., der auch ein eigenes Museum bekommen hat. Die Augsburger wussten schon, wie wertvoll ein Kaiser ist, der auf Ausgleich bedacht ist und nicht auf Krawall. Augsburg ist nun einmal – wie Leipzig – eine Händlerstadt. Und Krieg hat Handel immer gestört und zerstört. Frieden hingegen war gut – nicht nur fürs Geschäft, auch für die Kultur. Deswegen werden wohl auch Musiklehrer gern mitfahren auf Augsburg-Exkursion, denn hier gilt es Leopold Mozart (den Vater von Wolfgang Amadeus) und das Bäsle-Häsle zu besuchen, auf englisch: “little bunny cousin”. Da sollte man eigentlich den weiblichen Teil der Klasse schon für die Tour gewonnen haben. Noch Mozarts Briefe an die geliebte Base mitgenommen, und der Klassenausflug kann herrlich werden.

Wenn der Deutschlehrer dann noch einen Sinn hat für den jungen rebellischen Bertolt Brecht, dann könnte er vielleicht auch die Jungen begeistern für einen Besuch im Brecht House, auch wenn es nur das Geburtshaus ist, das der rebellische Knabe wahrscheinlich nicht wirklich “erlebt” hat, denn die Familie zog ja bald “a few streets away”. Wer die vielen prachtvollen Kirchen in diesem Stadtführer sieht, der hat schon so eine Ahnung, warum die Augsburger eine sehr ambivalente Beziehung zu diesem Dichter und Stückeschreiber hatten, der dann auch noch lieber in den roten Osten ging. Erst 1981 haben sie sich mit dem Burschen etwas ausgesöhnt.

Wie wären eigentlich die Leipziger damit umgegangen?

Schwierige Frage. Mit Brechts Freund Hanns Eisler tun sie sich ja noch heute schwer. Und mit Dichtern sowieso. Hätte Robert Blum nicht seinerzeit das kleine Schillerhaus in Gohlis gerettet, würde Leipzig heute auch keine Dichtergedenkstätte haben. Im Fremden spiegelt sich immer das Vertraute. Man kann hinfahren, wo man will. Das hört auch bei der Augsburger Puppenkiste nicht auf, denn Gründer Walter Oehmichen war ein echter Ossi – geboren in Magdeburg. Nur dass er schon vor dem Krieg in Augsburg landete und auch schon vor der Gründung der Puppenbühne 1948 “created a small puppet theatre for family and friends. This ‘puppet shrine’ was destroyed during a bombing attack, but the idea for a mobile puppet theatre had been born.” Das klingt ein bisschen, als hätten die Bomber Augsburg extra wegen Oehmichens kleiner Puppenbühne angegriffen.

Aber – siehe Brecht – manchmal können Künstler der Politik gar nicht entkommen. Manchmal verdienen sie auch gut dabei, man denke nur an Hans Holbein, the Elder und the Younger. Womit man im historischen Lech Quarter wäre, wo sich mitreisende Lehrer einfach mal erholen können, wenn die Rasselbande mit Bert und Bäsle beschäftigt ist. Oder um den Autoren zu zitieren: “Today the Lech Quarter, with its canals, bridges, numerous boutiques and pubs, is the place to live.”

Muss man also mal gesessen haben und ein kühles Schlückchen getrunken, bevor’s wieder retour geht ins aufgeregte Leipzig.

Michael Schulze “Augsburg in One Day, Lehmstedt Verlag, Leipzig 2015, 4,95 Euro

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