Alles Geniale ist eigentlich ganz einfach. So einfach, dass man dann so ein Buch durchblättert, liest, schaut, sich halb schlapp lacht und eigentlich nur die ganze Zeit schreien will: "Ja, so isses! So isses!" - Es gibt nicht viele Bücher, bei denen es einem so geht. Kinderbücher erst recht nicht.

Was damit zu tun hat, dass erwachsene Menschen in der Regel wirklich einen falschen Blick auf Kinder haben – mit allen Extremen. Mal werden sie den eingebauten Pädagogen nicht los und wollen die kleinen Menschlein immerfort belehren, erziehen und zurechtweisen. Dann wieder ist es der innere Polizist, der die Regie übernimmt und alleweil strafen, abmahnen und sanktionieren will. Oder der Eiapopeia-Mechanismus springt an und der sentimentale Erwachsene versucht, seine rosarote Sicht auf die Dinge auch noch den Kindern beizubringen. Da haben wir die Karrieristen und Leistungsträger noch gar nicht bedacht, die Kinder gleich von Anfang an auf rücksichtslosen Wettbewerb trimmen wollen. Der erwachsenen Narreteien gibt es viele.

Aber es gibt auch noch die echten Eltern, die sich nicht nur Zeit für die kleinen Lümmel nehmen und mit großem Organisationstalent Arbeit, Haushalt, Schule, Kita und echtes Familienleben unter einen Hut bekommen, sondern auch noch alle Sinne beisammen haben und sehen, wie sich die kleinen Wesen, die sie da in die Welt gesetzt haben, entwickeln. Ein ungemein faszinierender Prozess, aufregend sowieso.

Die Berlinerin Tanja Székessy hat selbst drei Kinder und einen Mann, also eine richtige schöne Großstadtfamilie. Und dass sie Kinder zu sehen vermag, das hat sie schon mehrfach gezeigt. Im Cornelsen Verlag ist die von ihr illustrierte Kinderfibel 2000 herausgekommen, 2007 noch einmal überarbeitet. “Ein Bestseller”, schreibt sie auf ihrer Website, auf der sie ihre Arbeiten präsentiert – fast alles Arbeiten für Schulbücher, Zeitschriften, Werbekunden. Arbeiten, wie man sie von einer Grafikerin erwartet, die visuelle Kommunikation studiert hat. Ein wenig erinnern ihre Kinderfiguren an die Kinder in den Zeichnungen von Ingeborg Meyer-Rey, einer der beliebtesten Kinderbuchillustratorinnen der DDR.

Das muss nicht einmal eine künstlerische Beziehung über die Generationen hinweg sein, sondern kann mit etwas ganz Einfachem zu tun haben: der genauen Beobachtung. So zeichnet man Kinder, wenn man sie wirklich tagtäglich beobachtet hat, wenn man verinnerlicht hat, wie sie sich bewegen, wie sie sich Spielen hingeben, wie sie müde sind, traurig oder überdreht, übermütig oder zufrieden. Oder auch total verzweifelt.

Und das wird ja erst recht abenteuerlich, wenn man davon nicht nur ein Einzelexemplar hat, sondern zwei oder drei. In diesem Fall: einen großen Jungen, der schon zur Schule geht, und zwei Mädchen im Kita-Alter. Und dann kommt das Geniale, das so einfach ist: Tanja Székessy hat einfach einen ganzen schönen Tag mit den drei Kindern gezeichnet – das Aufwachen früh, das Frühstück und die gemeinsame Fahrt (mit Roller und Kinderfahrrad) in den Kindergarten und zur Schule, Szenen aus Kita und Schulklasse, gemeinsamer Spielplatzbesuch zum Tagesausklang und – oweh – da passiert dann auch noch eine Katastrophe, ein Malheur, ein Unglück und alle müssen jetzt auch noch ins Krankenhaus, wer weiß, was da passiert ist.

Und das alles zeigt Tanja Székessy in liebevoll genauen Zeichnungen. Auch die herrlichen Momente, in denen für gewöhnlich eine ganze Familie Teil einer griechischen Tragödie wird wie früh um 6:30 Uhr, wenn die Kinder im Bad sind, aber auf einmal ein buntes Buch zum Streitobjekt wird. Diese verzweifelten Gesichter, dieses halb Empörtsein, halb in Tränen schwimmen. Das kriegt man nur durch genaue Beobachtung hin. Wenn man die kleinen Menschlein auch noch im wildesten Moment anschaut und sieht, wie sie sind: nämlich wie wir selbst, innerlich zumindest. Wenn man groß ist, versteckt man ja alle diese Gefühle ganz tief unter der Oberfläche, da liegen sie nicht mehr so blank und offen im Gesicht (was ja bekanntlich einige vergnatzte Erwachsene unfähig macht, mit Kindern überhaupt noch zurechtzukommen, weil sie mit diesen blank zu Tage tretenden Gefühlen einfach nicht mehr zurechtkommen …)

Und was macht die Autorin Tanja Székessy?

Gar nichts, eigentlich. Sie schreibt nur auf, was gerade passiert: “Im Badezimmer, kurze Zeit später, gibt es Ärger.” Was Eltern eben so in sich hineinmurmeln ins innere Elterntagebuch. Meistens ahnt man ja schon, was kommt, weil man innerlich mit den kleinen Emotionspaketen aufs engste verbunden ist und auch weiß, wie sie alle in den täglichen Ritualen agieren und was sie mögen – oder auch nicht.

Und statt die Szene irgendwie zu kommentieren, wird Tanja Székessy ganz zur trocken registrierenden Mutter, die die Dinge so aufnimmt, wie sie passieren: “1 Kind will etwas haben, 1 Kind wollte das auch, 3 Kinder hatten das zuerst.”

Allein in diesem Aufzählen wird die fröhliche Lust der Beobachterin sichtbar, die das alles viele hundert Mal miterlebt hat und irgendwann so ruhig und abgeklärt wurde, wie man wohl wirklich erst mit dem  dritten Kind wird. Da weiß man dann als alarmiertes Erwachsenenteil, dass man ganz und gar nicht gleich losrennen, klären und schlichten muss, dass die kleinen Biester miteinander meist selbst eine Lösung finden und eigentlich nur eines wirklich wichtig ist: Die Ruhe bewahren, die Übersicht sowieso. Und dann, wenn wirklich mal was passiert – wie eben am Nachmittag auf dem Spielplatz – nicht erst selbst in Panik verfallen und gar die explodierenden Gefühle der Kinder noch verstärken, sondern in elterlicher Abgebrühtheit die kleinen Prinzessinnen eben ins Krankenhaus zu schleppen, Trost zu spenden und auch die neue Not (Kinder haben Hunger und Durst und sind müde …) hinzunehmen wie ein Geschenk. Denn dazu sind Eltern da: Den kleinen Weltschmerzerkundern zu zeigen, dass es im Leben eigentlich nur um Geduld geht, Fürsorge und Vertrauen. Abnabeln werden sich die kleinen Menschlein schon früh genug.

Jeder Tag wird so zu einer Kette von Abenteuern, die man als Erwachsener dann vielleicht noch einmal besprechen kann im wohlverdienten Feierabend. Die Kinder schlafen ja. Die Wäsche des Tages hängt auf der Leine. Die Kinder schlafen?

In diesem Buch werden sich viele, viele Eltern wiedererkennen. Und Kinder bestimmt auch (zum Beispiel in den bunten Krakeln, die da irgendjemand mitten in die professionellen Zeichnungen der Autorin eingefügt hat – wer war das bloß?). Und wer noch nicht die Freude hatte, der erkennt vielleicht seine eigene Kindheit wieder. Oder erinnert sich daran, dass es vielleicht das Abenteuer des Lebens wäre, eine richtige Familie zu gründen – mit allem drum und dran und allen erwartbaren Überraschungen, die einem am Ende erst klar machen, worum es im Leben eigentlich geht. Manchmal auch um Bauklötzer, stimmt.

Tanja Székessy 3 Kinder und ein Tag, Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2015, 14,95 Euro.

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Vielen herzlichen Dank für diese wunderbare, ausführliche Rezension! Als Autorin des Buchs würde ich den Artikel natürlich sehr gerne meinen Facebook-“Freunden” in voller Länge zugänglich machen – darf ich ihn dort zitieren/ posten? Schöne Grüße, Tanja Székessy

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