Es naht auf leisen Pfoten, mit Miau und Gebell, das Fest aller Feste, an dem in den meisten Familien das Chaos ausbricht, Kinder ihre Eltern in den Wahnsinn treiben und Feuerwehr und Polizei alle Hände voll zu tun bekommen. Fest der Liebe? Könnte es ja sein. Wenn dann alle noch munter wären und die Herzen wieder öffneten. Nicht nur für die Katz'.

Auch wenn Katzen besonders oft und reichlich vorkommen in den Geschichten von Heike Wendler, die bevorzugt in Pfarrhäusern und Kirchen spielen. Aber es gibt ja auch noch dieses seltsame Weihnachtsfest, an dem die Leute alle irgendwie beginnen, selig und heimelig zu werden und selbst die Fernsehesender sich gar nicht wieder einkriegen vor lauter Heimeligkeit. Auf einmal sieht man die Armen, Bedürftigen und Ungeliebten wieder und entdeckt sein Herz für die Mitwesen. Tiere zum Beispiel. Selbst wenn man lebendige Wesen eigentlich nicht verschenkt – zu Weihnachten tauchen sie irgendwie wieder auf. Nicht nur in Familien, wo der Nachwuchs schon seit Monaten quengelt, er wünsche sich unbedingt ein Tier. Muss ja kein Hund sein, kann auch ein Meerschwein sein. Oder ein Karpfen, wenn’s sein muss. Fast wartet man noch auf die Weihnachtsgans, die begeistert quarrend durch die Wohnung läuft.

Aber die braucht Heike Wendler dann doch nicht. Und eigentlich geht es in ihren acht Geschichten auch weniger ums liebe Vieh, auch wenn Katzen, Siebenschläfer und Frettchen in einigen Geschichten unübersehbar die Helden sind. Ihr geht es eigentlich eher um die menschlichen Verstrickungen und Begegnungen dabei. Denn selbst in der Tierweihnacht (“Ein Weihnachtswunder für Alexander”) geht es eher nur beiläufig um die Tiere des Waldes, die man in der Heiligen Nacht beobachten kann, wenn man wirklich stillsitzen kann. Eher geht es um die Frage, wie man sich von der eigenen Familie abnabeln kann. Wie geht das? Braucht es da Heimlichkeit oder doch eher verständnisvolle Großväter?

Tiere sind Vermittler. Lassen sich streicheln und verwöhnen, wenn sonst schon keiner da ist, der sich das gefallen lässt. Und da sie keine Hintergedanken haben und nicht ständig überlegen, ob man jetzt ehrlich sein darf oder sich verstellen muss, ob man Gefühle zeigen darf oder lieber die Maske aufsetzt, sind sie immer präsent und kein Mensch – ob angestellt, obdach- oder arbeitslos – braucht sich zu scheuen, die Vierbeiner und Zweiflügler um uns herum so zu nehmen, wie sie sind. Auf einmal gibt es Begegnungen, kommen Menschen in Kontakt, die sonst wenig oder gar nicht miteinander reden würden. Und so werden da und dort auch die Einsamkeiten sichtbar, in denen sich eine Gesellschaft verfängt, die alles bestraft, was zu persönlich ist, in der die Beschämung und die Maskierung das Normale sind, nicht die Ausnahme.

Das Ergebnis: Im einen Fall bringt eine Schildkröte eine kleine Firma in Bewegung, im nächsten sorgt ein Hund dafür, dass aus einem anonymen Dauergast in der Obdachlosenküche auf einmal ein Mensch mit Titel, Name und Leidensgeschichte wird. Im dritten ist ein Hund der Mittler zwischen zwei Freundinnen, deren Lebenswege sich nicht ganz selbst gewollt getrennt haben. Jede von Heike Wendlers Geschichten ist ein kleines Ausloten zwischenmenschlicher Beziehungen. Und auch wenn die Geschichten da und dort wie kleine Gleichnisse wirken, die noch einmal die Botschaft der Weihnachtszeit unterstreichen, sind es gleichzeitig typische Geschichten aus unserer Wirklichkeit. Manche wie kleine Szenen für erwärmende Weihnachtsfilme – die vielleicht auch funktionieren würden, wenn die Filmfirmen nicht wieder Yuppiewohnungen als Kulisse und dicke Autos als Statussymbole verwenden. Auch wenn es im einen Fall ein Arzt ist, der am Heiligen Abend mit dem Festmahl verzweifelt und eigentlich ziemlich genau weiß, warum seine Partnerschaft in die Binsen gegangen ist. Aber er weiß auch, dass er es nie hätte anders machen können, denn das moderne deutsche Krankenhaussystem verschlingt sein Personal, Ärzte wie Schwestern. Da unterscheidet es sich nicht von einer Unternehmenslandschaft, in der alles, was Personal betrifft, auf Kante gespart ist.

Aber wie werden Menschen, die wissen, dass betriebswirtschaftliche Unverfrorenheit dafür sorgt, dass ihr Familienleben den Bach runter geht?

In diesem Fall gibt es eine herzerwärmende Weihnachtsbegegnung, die auch noch kochen kann. Und vielleicht noch die kleine Erkenntnis: Es ist wohl besser, wir stehen zu unseren Schwächen, Fehlern und Unzulänglichkeiten. Und reden auch drüber.

Womit auch diese Geschichte eine Variante des Themas ist, das sich durch alle acht Geschichten zieht: Wie schwer wir es uns alle machen, indem wir den verlogenen Erwartungen einer Gesellschaft zu genügen versuchen, die Schwächen und Fehler nicht verzeiht, sondern anprangert, in der der äußere Schein alles ist und alle versuchen, wie die Narren, einem Ideal der Perfektion und Leistungsbereitschaft hinterherzujagen, das nur eines ist: unmenschlich.

Kein Wunder, dass Tiere in diesen Weihnachtsgeschichen die Katalysatoren sind. Sie sind einfach. Und sie sind einfach da. Was wir von unsereins meistens nicht sagen können. Auch nicht zum Weihnachtsfest, was dann für gewöhnlich in lauter weihnachtlichen Katastrophen endet. Also doch lieber ein Tier im Haus, das sich nicht übers Fernsehprogramm streitet oder dem der Kartoffelsalat nicht schmeckt oder sich die Beschenkten nicht gut genug freuen. Das mit dem Karpfen wäre gar keine so schlechte Idee. Man braucht nur eine Badewanne, die man die nächste Zeit nicht benutzen will.

Heike Wendler Wie auch die Katz’ zur Krippe kam, St. Benno Verlag, Leipzig 2015, 7,95 Euro.

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