Krieg, Flucht, Heimatlosigkeit. Sie sind überall präsent. Sie füllen die Nachrichten. Aber mehr auch nicht. Über die Flüchtlinge, die nach langer lebensgefährlicher Reise in Deutschland ankommen, wird dagegen debattiert wie über Aliens. Als gingen uns die Kriege nichts an und die betroffenen Menschen auch nichts. Sind ja nur Syrer. Aber steckt da in uns nicht die ganze Arroganz von seit Jahrhunderten siegreichen Kolonialmächten?

Von Gesellschaften, die den Rest der Welt immer abgewertet haben – samt den dort lebenden Menschen und ihren Kulturen? Die auch nicht mehr wahrnehmen, wie der reiche Westen mit seiner ökonomischen Last auf dem „Rest der Welt“ liegt und ein Bild einer andauernden Besatzung abgibt?

Manchmal muss man einfach den Blickwinkel ändern. Was Manaf Halbouni nicht schwerfällt. Er ist nicht nur Künstler, sondern wurde auch in Damaskus, der Hauptstadt von Syrien geboren. Dort begann er Kunst zu studieren, verließ aber 2008 das Land, weil er nicht in der syrischen Armee dienen wollte. Seit 2009 lebt er in Dresden und setzt sich mit eindrucksvollen Installationen mit der Welt auseinander, wie er sie erlebt hat. Auch mit der, in der er gelandet ist. Im Sommer war sein eindrucksvolles Fluchtauto schon im Museum der bildenden Künste zu sehen: „Nowhere is home“. Eine Geschichte vom Heimatlossein, denn  wer flieht, wird heimatlos. Der nimmt bestenfalls mit, was er im Auto unterkriegt. Das ist nicht viel. Und es ist zu wenig, um anderswo gleich wieder Wurzeln zu fassen.

Erst recht, wenn die Ankunft neue Konflikte mit sich bringt. Dresden ist PEGIDA-Land. Wie reagiert man da als Künstler aus einem anderen Erdteil? Halbouni lud einfach einen Mercedes voll mit Gartenzwergen und Radeberger Bierkästen und stellte sich vor die Frauenkirche mit einem Anhalter-Schild: „Sachse auf der Flucht“.

Wer die laut auf der Straße rumorenden Botschaften unterläuft, der macht ihren Kern sichtbar. Und lässt doch Denkräume entstehen. Wenn sich das Selbstempfinden der Lautstarken auf Bier und Gartenzwerg-Kultur reduziert – was heißt das eigentlich noch für die beschworene europäische Identität? Ist das nicht genau die Haltung, die die bombenden Generäle wollen? Diese Einigelung ins Provinzielle?

Manaf Halbouni, Nowhere is Home (Fluchtauto Venedig), 2015. Foto: Punctum/B. Kober
Manaf Halbouni, Nowhere is Home (Fluchtauto Venedig), 2015. Foto: Punctum/B. Kober

Und denken eigentlich alle Generäle so? Natürlich. Wer wüsste das besser als ein Künstler aus Syrien, der sieht, wie Generäle aus Syrien, der Türkei, aus Russland seine Heimat zerbomben. Um die Träume und Sehnsüchte der Menschen geht es da schon lange nicht mehr. Eher um Machtsphären und die Eitelkeit eines Diktators, dem die Macht wichtiger ist als das Überleben seines Volkes.

Im kleinen Katalog, der jetzt zur Ausstellung der vier Marion-Ermer-Preisträger im Museum der bildenden Künste entstanden ist, sind einige der Projekte Halbounis abgebildet, mit denen er sich in den letzten Jahren beschäftigt hat. Selbst das Cover-Bild deutet schon darauf hin, was sich daran geändert hat – und warum uns das so vertraut vorkommt. Es zeigt das Foto einer alten Geschützbatterie in Longues-sur-Mer in der Normandie, aus dem betonierten Atlantikwall der Nazis, Symbol für einen imperialen Größenwahn, der in millionenfachem Tod, in Ruinen und einer zerrissenen Landkarte endete. Es war nicht nur der Traum eines größenwahnsinnigen Diktators, obwohl Halbouni auch diese aalglatten Typen parodiert, konterkariert, indem er sich selbst inszeniert. In der Ausstellung in digitaler Form. Da spricht er als strenger Diktator in Uniform mal „Yes, we can“, mal „I have a dream“ – und zeigt damit, wie leicht Slogans, die eigentlich positiv besetzt sind, in der Propaganda zu Drohungen werden – die eiskalte Strategen dann auch in Taten umsetzen.

Und warum nicht einen General Yusef Hadid erfinden, der den Spieß einfach umdreht und im Auftrag der arabischen Staaten Europa erobert und die Landkarten umschreibt? Etliche dieser von Halbouni auf Trödelmärkten erworbenen Landkarten sind in diesem Katalog abgebildet, zeigen die bunten Malereien, wie sie Generale so gern in ihre Feldmarschpläne malen, und verwandeln europäische Landstriche in Schlacht- und Eroberungsfelder.

Es ist eine fiktive Geschichte, eine Gegen-Geschichte, die das friedliche Bild der Europäer von ihrer eigenen Rolle in der Welt hinterfragt. Denn mit wessen Waffen wird da eigentlich gekämpft in Syrien und Irak? Wessen Interessen werden da mit Kanonendonner „verteidigt“? Und wie verändert das eigentlich auch die arabische Welt, wenn Städte zerstört werden, Beton zerschossen wird und martialische Botschaften nicht nur an Hausmauern stehen, sondern alle Räume erfüllen?

Damit spielt Halbouni, wenn er arabische Schriftzeichen in Beton gestaltet, als wären sie regelrecht aus dem Beton herausgeschossen worden, so dass die Stahlbewehrung herausspießt: Botschaft und Zerstörung in einem. Und beides hat miteinander zu tun: Die Sprache des Krieges (und der Macht) und die Sprachlosigkeit der Vertriebenen, der Heimatlosgewordenen.

Projekt „Monument“ als Mahnmal für die Kriegsvertriebenen. Quelle: www.manaf-halbouni.com
Projekt „Monument“ als Mahnmal für die Kriegsvertriebenen. Quelle: www.manaf-halbouni.com

Mit einer riesigen Skulptur dreier aufgerichteter Busse will Halbouni das auch in Dresden vor der Frauenkirche zeigen. Vielleicht hilft es ja, den sturen Demonstranten zu zeigen, warum Millionen auf der Flucht sind und auch in Deutschland um Obdach anfragen. Drei Busse, die an die Busse in den Straßen der zerstörten syrischen Städte erinnern, wo sie von den Bewohnern als Sichtschutz vor den Heckenschützen aufgerichtet wurden. Halbouni möchte diese Busse gern durch die Welt reisen lassen – als Mahnmal für die Kriegsvertriebenen. Vielleicht auch noch eher als sichtbares Zeichen für all jene, die nicht sehen wollen, die nicht wissen wollen, was Krieg anrichtet und was das mit uns zu tun hat. Seit 2013 beschäftigt sich Halbouni intensiv mit den martialischen Zeichen des Krieges. Ironisch und mehrdeutig, betont Kristin Bartels, die Kuratorin der Ausstellung. Man muss sich schon auseinandersetzen mit seiner verfremdeten Geschichte. Und eine einfache politische Botschaft wird man da auch nicht finden. Nur die beabsichtigte Verunsicherung. Und vielleicht – unterschwellig – die Aussage, dass man die Welt nicht den Generälen und den scheinbar so einfachen Wahrheiten überlassen darf.

Katalog „Manaf Halbouni. Marion Ermer Preis 2016“, Museum der bildenden Künste, Leipzig 2016, 8 Euro

Der Schuber mit den vier Katalogen ist im Museumsshop Wasmuth im Museum der bildenden Künste für 29 Euro erhältlich. Die Kataloge zu den PreisträgerInnen können zudem einzeln für 8 Euro erworben werden.

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