Für FreikäuferSchon durchgedreht? Schon in Panik? Im Weihnachtsvorstress? Süßigkeiten bunkern? Kaufhäuser plündern? Kaufrausch? Selber schuld. Da sind Sie auf den falschen Weihnachtsmann reingefallen – den Komsumtrottel aus Amerika. Wem sein Leben und seine Lieben lieb sind, der kann sich so ein kleines Büchlein holen. Denn eigentlich geht es ums Schenken. Von Herzen. Und mit Liebe.

Was man mit Stollen und Striezel immer machen kann. Auch für Beschenkte, die auf das eine oder andere allergisch sind. Wenn man es weiß, kann man darauf eingehen und Zutaten austauschen. Denn dieses besondere Weihnachtsgebäck ist ein Verwandlungskünstler. Das wurde ihm so in die Wiege gelegt. Denn ursprünglich war es (möglicherweise) mal ein echtes Fastengebäck, so rein gebacken, wie man sonst Bier braut. Die Sachsen und Thüringer ließen Schmalhans kochen, bekanntlich bis zum 24. Dezember. Die Urgeschichte des Stollens ist durchwachsen und legendenumwoben. Maria Kirbach versucht in aller Kürze das Wichtigste dazu zu erzählen. Bis hin zum Riesenstollen, den August der Starke 1730 für das Feldlager bei Zeithain backen ließ. Der wohl eher nur ein gewaltiges Weißbrot war.

Beim Stollen ist es wie mit den sächsischen Striezel- und Weihnachtsmärkten: Sie haben alle eine 600 Jahre lange Geschichte (worauf die Marktmeister bannig stolz sind), aber das, was wir uns heute darunter vorstellen, hat mit dem Markttreiben von 1434 so wenig zu tun wie der original Dresdner Stollen mit dem damaligen Weihnachtsbrot. Nur die Verwandtschaft scheint zu stimmen. Eine sehr ferne Verwandtschaft.

Die wirkliche Reichhaltigkeit des heutigen Stollens ist mit Garantie eine Erfindung phantasievoller Bäcker aus dem 19. Jahrhundert. Vorher waren die meisten der leckeren Zutaten bestenfalls für reiche Adelshäuser erschwinglich. Was nicht bedeutet, dass es in armen Haushalten keine Weihnachtsbrote gab – nur halt nicht solche, wie sie heute als geschützte Regionalware in Dresden, Erzgebirge und anderswo gebacken werden.

Mit viel guter Butter (der berühmte päpstliche Butterbrief darf in so einer Geschichte nicht fehlen), Rosinen, Zitronat, Marzipan, Mohn … Man merkt schnell: Den einen, eindeutigen Stollen gibt es nicht. Denn tatsächlich erfolgte die Entwicklung dieses schweren und kalorienreichen Weihnachtsgebäcks in verschiedenen Regionen parallel. Mit unterschiedlichen Zutaten und Geschmacksrichtungen. Der Leser und die Leserin staunt. Zumindest, wenn man den tatsächlichen Wahrscheinlichkeitsraum des gewichtigen Weihnachtsgebäcks noch nicht kannte und auf das Marketing der Dresdner Bäcker hereingefallen ist, die gern so tun, als könnte es nur den einen geben (obwohl das nicht mal die Torgauer glauben).

Tatsache ist, dass es schon immer viele verschiedene Rezepte gab und sich Bäcker in verschiedenen Regionen darin zu übertreffen versuchten, den absoluten Star unter den Stollen zu entwickeln. In gewisser Weise ist das der Dresdner Stollen. Aber eigentlich wirkt er bei längerem Betrachten eher wie das Standardgebäck. Sozusagen das Eichmaß. Und es darf davon abgewichen werden. Die Rosinen dürfen durch Beeren ersetzt werden, Marzipan und Persipan kann man weglassen oder erst recht reichlich einmischen in den Teig.

Der Teig ist einfach zu fertigen. Das ist eigentlich die wichtigste Botschaft des Büchleins. Jeder kann sich daheim seinen eigenen Stollen backen. Oder ganz viele, die man dann hübsch einwickeln und zum Fest verschenken kann. Wenn man die Vorlieben der Beschenkten kennt, kann man sogar genau den Wunschstollen backen. Zum Beispiel eine Quarkstolle oder eine Mohnstolle, mehr in die thüringische Geschmackswelt oder mehr in die schlesische.

Es ist wie bei den Klößen und Knödeln: Auch für den Stollen gibt es ganze Landschaften, die ineinander übergehen, die aber auch klare Stollen/Striezel-Grenzen kennen. Maria Kirbach erklärt, wie man Teig anfertigt und Zutaten vorbereitet (und dass man auf künstliche Aromen gut verzichten kann), und wie man dann selber bäckt. Entweder richtig aufwendig – oder auch mal schnell und klein und lecker. Denn längst haben kluge Bäckerinnen herausgefunden, dass man den Stollenteig nicht nur in der klassischen Christkindl-Form backen muss, sondern auch leckeres Konfekt draus machen kann, Scones, Muffins und sogar Kuchen.

Spätestens beim Schwäbischen Früchtebrot und dem Apfelbrot merkt man, wie weitreichend die Verwandtschaftsverhältnisse dieses einstigen Fastengebäcks sind und wie sehr man sich trotzdem über das gebackene Prachtstück freut. Da ist man gefühlsmäßig schon ganz schön weit gekommen, hat sich aber von dieser ganzen Weihnachts-Seligkeit endlich entfernt, die das Fest immer unerträglicher macht. Auch und gerade im „Weihnachtsland“. Das ja bekanntlich auch eine neuere Erfindung ist, ein Marketing-Gag der auf lauter anderen Marketing-Gags aufbaut – bis hin zu dem Fettsack mit roter Jacke und Säufernase.

Das, worum es tatsächlich geht, wird Jahr für Jahr zugebuttert und zugeglitzert. Wer noch einen Fernseher sein eigen nennt, darf sich ja schon innerlich auf all die Engel- und Herzilein-Werbeclips freuen, mit denen den beduselten Deutschen Versicherungen, Autos und Kaffee-Pads angedreht werden. Lebendige Menschen haben das Teil längst entsorgt und stattdessen einen großen stabilen Tisch in die Küche gestellt, an dem alle Platz finden und mitmachen können. Zum Beispiel beim nächsten Stollenexperiment. Das Büchlein bietet zwei Dutzend Rezepte, die zeigen, wie wandelbar das Gebildgebäck ist, das ursprünglich wohl gar kein Gebildgebäck war. Es wurde nur allerchristlichst hineininterpretiert.

Aber für die Dresdner Bäckerzunft war das Ganze natürlich gerade nach den frostigen 40 Jahren ein gefundener Werbespaß, den sie mit dem Nachbacken von Augusts Riesenstollen jedes Jahr neu zelebrieren und sich auch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, jedes Jahr ein hübsches Stollenmädchen zu küren. Mit Stollenmädchen schmeckt die Stolle natürlich noch leckerer. Keine Frage. Aber auch die nicht ganz so hübsche Verwandtschaft freut sich bestimmt, wenn man statt blöder Einkaufsgutscheine zu Weihnachten einfach selbstgebackene Stollen verschenkt. Da kommt man dann nämlich ganz von allein auf den Gedanken, dass man den Stollen auch beim gemeinsamen Plausch verspachteln kann.

Maria Kirbach Kleine Stollenbäckerei, Buchverlag für die Frau, Leipzig 2017, 5 Euro.

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