Für FreikäuferDas Reformationsjubiläum ist Geschichte, die Feste sind gefeiert, die Kirchentage liegen beim Buchhalter. Und für alle, die dabei waren, gibt es jetzt auch einen Fotoband, der für das Jahr 2017 noch einmal lauter schöne Momente festhält. Drei Fotografen sind auf Kamerapirsch gegangen.

Eingefangen haben sie Bischöfe und Kardinäle, Bundespräsidenten, Ministerpräsidenten, Minister und jede Menge Gäste aus aller Welt. Denn die Evangelische Kirche hat dieses Jubiläum zu einem ökumenischen gemacht. Obama war dabei, der Papst reiste nach Schweden und ein doppeltes Kreuz wurde feierlich überreicht, ganz ähnlich wie die neue, revidierte Lutherbibel 2017, an der ein ganzes Autorenkollektiv emsig gearbeitet hat.

Und vor allem ist jede Menge Wittenberg drin, wo der größte Gottesdienst stattfand und wo sich ein Teil der Stadt in einen regelrechten Erlebnisparcours verwandelte mit Spiegelweg und riesiger Lutherbibel zum Erklettern. Bilder aus Thüringen, Berlin und Hessen zeigen, dass dieses Fest sich über die halbe Republik erstreckte, dass sich viele Landeskirchen Mühe gaben, etwas Besonderes draus zu machen. Man sieht Kirchen und Dome voller Lauschender. Selbst die Bilder von den Wittenberger Elbwiesen zeigen die geduldig Wartenden. Irgendwie oszillierte das Ganze zwischen Predigt und Andacht, Politikerfoto und inszenierter Spiritualität.

Wer dabei war, hat ein Buch der Erinnerung. Sogar der protestierende Luther der Giordano-Bruno-Stiftung hat es als kleines Bild geschafft in den Band. Nebst vielen fröhlichen, glücklichen, seligen Menschen. Es wurden viele eindringliche Reden gehalten, aus denen auch ein paar Stellen zitiert werden. Und Landesbischof Heinrich Bedford-Strom diskutierte mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière in Leipzig über die Frage „Was bedeutet die jahrhundertelange christliche Sozialisierung im Hinblick auf die aktuelle religiöse Pluralisierung?“

Das findet man auf derselben Doppelseite wie den protestierenden Luther.

Worüber also konnte da diskutiert werden? Wer hat das „christliche Abendland“ erfunden und den Dresdner Atheisten eingeredet, sie müssten es verteidigen? Und seit wann wird Pluralisierung gelebt? Und warum wird das von einigen Christen überhaupt als Problem wahrgenommen?

Das schönste Foto ist übrigens für mich eines vom Bläsertreffen in Leipzig (zu dem bekanntlich nur ein kleiner Teil der erwarteten Posaunisten kam). Es scheint eine große Tuba zu sein, in der sich da das Alte Rathaus spiegelt, als wäre es eines der Lieblingsschlösser Friedrich des Weisen. Man sieht den Bläser, wie er sich bemüht. Nicht wahrnehmend, dass es um ein Bild geht. Ein Bild von einem Jubiläum, bei dem sich viele bemüht haben, das Gemeinsame und Verbindende zu feiern in einer Zeit, in der andere das Trennende und die Abwehr propagieren. Denn das ist eigentlich die mitschwingende Botschaft: Es ging gar nicht so sehr um Luther in diesem Jahr, sondern um den großen Wunsch nach einer menschlichen Ökumene, die von Scharfmachern, Hardlinern und Grenzenziehern immer wieder unterhöhlt wird. Zerstört, weil sie mit ihrem kleinkarierten Ego meinen, anderen ihren Willen aufdrücken zu müssen. Verständlich Obamas Hoffnung, auch als Ex-Präsident noch ein bisschen Einfluss zu haben. Während sein Nachfolger den Hass sät und die Kriegsgefahr schürt.

Pluralismus beginnt nun einmal mit dem Zurücknehmen des eigenen Egos, dem Akzeptieren, dass niemand die alleinige Wahrheit gepachtet hat, dass jeder Mensch Respekt verdient. Auch die Menschen, die mit ihren zerbrechlichen Booten versuchen, übers Mittelmeer zu kommen, weil ihre Heimat ausgeplündert und zerrissen ist.

Man hatte auch andere Religionen eingeladen. Es waren – wenn man die Fotos sieht – heitere Begegnungen. Und dann schaut man sich um und vermisst diesen Impetus in der allerchristlichen Politik.

Das zweitschönste Foto: der nette Segensroboter in Hessen-Nassau, der seine Gäste auch noch fragt, von wem sie gern gesegnet werden möchten: von einem Mann oder einer Frau?

Vielleicht geht er ja einmal in Serie. Oder wir lernen es alle wieder, einander zu segnen. Ganz so, wie es Wikipedia erwähnt: „Der Fluch kann als Gegenteil des Segens verstanden werden.“ Der Segen also als Gegenteil des Fluchens und Verfluchens, das heute überall Raum ergriffen hat, als wären die Leute alle toll geworden.

Dafür fehlen die Zuversichtlichen und Liebenden, die einander einfach sagen: Du bist gut und alles Gute sei mit dir.

Vielleicht ist es genau das, was unsere Welt so heil- und hauslos macht: Dass immer weniger Menschen das Gefühl haben, gut zu sein und zu genügen. Darin war ja Martin Luther auch nicht so gut. Er hatte mit seinen eigenen Teufeln zu kämpfen. Aber er hat zumindest mal angefangen, darüber nachzudenken. Auch wenn am Ende mehr draus geworden ist als nur eine Evangelische Kirche. Oder das, was Angela Merkel am Ende glaubte, entdeckt zu haben, dass es beim Jubiläum darum ging, „unsere christlichen Wurzeln im gesellschaftlichen Bewusstsein zu stärken.“ Ach Gottchen, Angela. Da fällt mir keine Pointe mehr ein.

Vielleicht, weil es darum gar nicht geht, sondern um etwas mehr Kampfeslust, sich für Menschlichkeit auch mal mit der ganzen Persönlichkeit einzusetzen. Das hat uns hier draußen ein bisschen gefehlt bei der ganzen Seligkeit. Diese Wortlust wie bei Luther, ein bisschen wenigstens, auch mit ein paar groben Worten gegen all die modernen Ablasshändel. Wäre vielleicht an der Zeit.

Aber das nächste Jubiläum kommt ja 2117. Vielleicht sind wir dann klüger.

Ein Bildband zum Reformationsjubiläum Momente 2017, Evangelische Verlagsanstalt, Edition Chrismon, Leipzig 2017, 18 Euro.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar