Na ja: So einen Autorinnennamen legt man sich zu, wenn man eine zweite Karriere startet. Oder eine dritte. Damit da nichts durcheinanderkommt. Denn Franka Bloom ist eigentlich Drehbuchautorin, schreibt Drehbücher für „Tatort“ oder „Soko Leipzig“ und lebt seit einem geraumen Weilchen schon in Leipzig, hängengeblieben auf ihrer Lebensreise aus dem Ruhrgebiet Richtung Berlin. Und ihr erster Roman um Vera Odermann erschien schon 2017.

Das hier ist er. Mittlerweile in der fünften Auflage vorliegend. Es gibt, wie man sieht, ein großes Lesepublikum für solche Geschichten, die sich mal nicht um diesen ewigen Hormonrausch der ersten Liebe drehen. Denn wie jeder weiß, der dieses Chaos überlebt und hinter sich gelassen hat, hört das Leben danach nicht auf. Zumindest, wenn man nicht ganz verduselt ist im Kopf und glaubt, das wäre es jetzt schon gewesen. Manche Leute leben ja genau so. Und gucken dann blöd aus der Wäsche, wenn das unberechenbare Leben dann doch ein paar Haken schlägt.

Was übrigens ein Gedanke ist, der etwas später auftaucht beim Lesen dieses ersten Franka-Bloom-Buches. Denn es funktioniert vor allem, weil das zeitweise sehr selbstironisch geschriebene Buch ein noch immer existierendes Tabu unterläuft, von dem man denkt, dass es doch spätestens 1968 oder so im Müllschlucker der Geschichte verschwunden wäre: Das Tabu der „unbefleckten Ehe“, wie ich es mal nennen möchte.

Es sind zwar nicht unbedingt die Pfarrer, die den jungen Eheleuten so einen Quatsch noch erzählen – aber so gefühlt 80 Prozent aller (Frauen-)Zeitschriften, konservativen Heuchelpostillen und rechtsabdriftenden Politikerreden triefen ja geradezu von dieser irrationalen Vorstellung, dass die Heirat ein Sakrament ist, das dafür sorgt, dass danach alle beide bis ans Ende aller Tage zusammen heile Welt spielen und von nichts mehr träumen. Schon gar nicht von Neuanfängen. Diese Postillen hassen Neuanfänge und Neuanfängerinnen.

Aber die Heldin dieses Buches hat die Nase voll. Insbesondere von ihrem Ehemann Sven, der sich nun schon seit Jahren rücksichtslos benimmt, immerfort den gestressten Geschäftsmann herauskehrt und deshalb für nichts Zeit hat, sich nicht kümmert, nicht ansprechbar ist, aber seine Regeln und Vorstellungen durchdrückt. Seine Frau Vera hat schlicht zu funktionieren. Er ist der Mann im Haus. Ein Macho, wie er im Buche steht. Und dem die Gefühle von Vera und ihrer gemeinsamen Tochter Greta so ziemlich egal sind.

Höchste Zeit also für eine Scheidung und ein paar Neuanfänge, beschließt Vera für sich, mit der man sich freilich auch erst aufwärmen muss. Denn sie ist in großen Teilen eine dieser immer rotierenden modernen und gern auch von der Werbung gepriesenen Superfrauen, die Familie und Job locker miteinander kombinieren. Mit ihrer Agentur hat sie riesigen Erfolg. Und das soll auch so weitergehen. Aber eigentlich möchte sie sich nicht mehr mit diesem anspruchsvollen Sven herumärgern, der seine undurchdachten Wünsche am liebsten in Vorwürfen, Streit und Forderungen formuliert.

Nur das, was Vera bewegt, interessiert ihn nicht. Wenn sie widerspricht, rastet er aus. Es sind nicht nur „Szenen“, die er macht. Die Scheidung ist überfällig, erst recht, nachdem er meinte, dass er noch einmal durch die Welt flattern und eine neue Liebschaft eingehen müsste. Da würde jede Noch-Ehefrau austicken. Aber er scheint tatsächlich bis zum dritten Termin vor dem Scheidungsrichter zu glauben, dass ihm das zusteht, dass seine Noch-Frau überhaupt kein Recht hat, sich ihm durch eine Scheidung zu entziehen. Er regt sich so gewaltig auf, dass er mit einem Herzinfarkt auf die Intensivstation eingeliefert werden muss.

Aber das ist – wie gesagt – der dritte Scheidungstermin. Die ersten beiden hat er gründlich vermasselt. Wahrscheinlich mit Absicht. Er will wirklich nicht, dass „seine“ Vera eigene Wege geht und sich aus seiner Bevormundung emanzipiert. Obwohl sie ja mit „Anfang 40“ (es ist sogar noch ein bisschen mehr) längst eine Frau ist, die fähig ist, eigene Entscheidungen für sich zu treffen. Also irgendwas ist da wirklich in Svens Erziehung schiefgelaufen. Was Frauen meist erst viel zu spät merken – dann, wenn die Sache mit den Hormonfeuerwerken vorbei ist, die Kinder selbstständig sind und auf einmal mehr Zeit da ist, über die eigenen Träume nachzudenken.

Und Vera wagt es, streicht Sven aus ihrem Leben, obwohl sie noch nicht geschieden sind (und Sven daraus ein immer stärkeres Druckmittel macht), plant mit ihren Freundinnen eine Reise nach Feuerland und lässt sich auch auf eine neue Liebe ein. Nur dass neue Lieben mit Mitte 40 nicht mehr wie „neue Lieben“ aussehen, dazu hat man schon zu viele Erfahrungen gemacht im Leben. Man ist skeptischer geworden und in Bereichen anspruchsvoller, an die verliebte Teenager nicht mal im Traum denken. Frau hat ja erlebt, wie sich ein Sven entpuppt hat … Das möchte Vera ganz bestimmt nicht wieder.

Und besonders besorgt ist sie, weil der neue Mann in ihrem Leben auch noch 14 Jahre jünger ist und noch dazu der Französischlehrer ihrer Tochter, eigentlich sogar noch Referendar. Noch, denn Greta macht gerade ihr Abitur und träumt selbst vom Ausziehen. Das Reich der Freiheit naht. Aber logischerweise bringt dieser Paul Andresen alles durcheinander, erst recht, als sich herausstellt, dass er zwar ein Typ wie Bon Jovi ist und der Schwarm aller Mädchen in der Schule, aber eigentlich auch schon so richtig verletzt.

Da haben sich also zwei Vorsichtige gefunden, die umeinander kreisen mit lauter Fragen und Unsicherheiten, die dann – man ist ja erwachsen – zeitweilig in die grimmige Erkenntnis zu münden scheinen, dass das mit den beiden so absolut nichts werden kann. Sie verletzen sich, wollen sich aber nicht verletzen. Wie das so ist mit Leuten, die sich wirklich lieben.

Und immer wieder steht der ewig fordernde Sven vor der Tür und macht Ansprüche geltend. Und so einfach bleibt es nicht, denn Tochter Greta zieht dann doch nicht ganz so lautlos aus – und als sie sich wochenlang nicht meldet, ist das Bangen der Eltern natürlich groß. Und dann stellt Vera auch noch nach einer etwas aus dem Ruder gelaufenen Abschlussparty für ihre Tochter fest, dass sie schwanger ist. Auch noch vom Falschen.

Eine Menge Stoff, wie man sieht, für eine richtige Beziehungskomödie, bestens verfilmbar. Die Drehbuchautorin lässt sich nicht verleugnen. Und natürlich ist sie in einer Welt unterwegs, die man in Leipzig obere Mittelklasse nennen würde. Existenzielle Probleme kennt sie nicht, auch wenn ihr der Stress ihrer Agentur permanent im Nacken hängt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der eigentlich kein Platz mehr ist für Schwäche, Verwundbarkeit und Sensibilität.

Und das ist eigentlich die Stärke der Geschichte, bei allen so filmreifen Verwicklungen: Dass im Zentrum eigentlich der gar nicht so einfache Kampf um einen sensiblen Umgang miteinander steht. Nicht nur in der Liebe von Paul und Vera (die beinah in einen echten „Paul und Paula“-Höhepunkt hineinsteuert), sondern auch in Veras Umgang mit Greta. Denn auch da kulminiert so einiges, weil nun einmal ein 18. Geburtstag nicht bedeutet, dass Kinder auf einmal dickhäutig und berechenbar werden.

Gefühle und Verletzungen sind nicht berechenbar. Erst recht nicht, wenn zwei Frauen (Mutter und Tochter) gleichzeitig versuchen, sich eine neue Souveränität aufzubauen. Die Kulisse deutet Franka Bloom nur an. Aber Gretas neue Freiheit könnte durchaus im wilden Connewitz liegen. Und Eltern wissen, dass das noch viel mehr Beunruhigungen mit sich bringt – und mehr Übungen in Gelassenheit.

Und auch das fällt eigentlich erst spät auf, dass beide Frauen ein ganzes Netzwerk von aufmerksamen und mitfühlenden Menschen um sich haben. Es gibt also immer jemanden, der Rat gibt, ermutigt oder einfach den Kontakt hält. Was etwas Kostbares ist. Und zwar in der realen Welt. Nicht in der digitalen. Aber das merkt man wirklich erst, wenn man in solche Situationen gerät und nicht weiß, wen man jetzt in seiner ganzen Hilflosigkeit um Hilfe bitten kann. Erstaunlicherweise sind es zwei Restaurantbetreiber, die diese wichtige Helferrolle ebenfalls wahrnehmen. Da taucht dann gar ein legendärer Name wieder auf – „Müller’s Büro“, das gab es mal von 1994 bis 2002 in der Katharinenstraße.

Mit Mitte 40 merkt man wirklich, wie die Zeit vergeht. Und wie es im Kopf arbeitet. Denn ein gut Teil des im Grunde recht leicht und flockig geschriebenen Buches besteht natürlich auch aus all den Überlegungen, Verunsicherungen und Befürchtungen, die den Kopf einer besorgten Mittvierziegerin, deren Selbstbewusstsein nach der Ehe mit Sven auch gewaltig angekratzt ist, zum Sausen und Rotieren bringen. Erst recht, weil ja die eigenen Erfahrungen nicht nur vorsichtig gemacht haben. Jetzt benimmt man sich in Beziehungsfragen auch noch so, als könnte jede falsche Bewegung den ganzen Porzellanladen in Scherben legen. Die Unbekümmertheit der Jugend ist weg.

Und so kulminiert die ganze Sache mehrfach in Szenen, bei denen einen in Hollywood-Filmen für gewöhnlich die Tränen überschwemmen. So echte Abblender, wenn ein krachendes Missverständnis zu Momenten der völligen Verzweiflung geführt hat und der eine oder auch mal die andere einfach davongeht oder davonfährt. Vorhang runter. Märchen zu Ende.

Also durchaus auch eine Mitfiebergeschichte für alle, die nicht von der „Großen Liebe“ träumen, sondern wissen, wie verletzlich die wirklich gefühlsfähigen Menschen werden in der Mitte ihres Lebens. Da sind dann genug Muster da, die sofort einschnappen, und man macht lieber Schluss mit Schmerzen, als sich auf eine neue Hölle der täglichen (Selbst-)Vorwürfe einzulassen.

Natürlich geht die Sache – auf ihre Weise – gut aus. Vera bekommt ihre Arbeitspunkte für die „Freiheit danach“ abgearbeitet, aber völlig anders, als sie es zu Beginn des Buches geplant hat. Sie erlebt eine Menge. Und fast möchte man auch noch Svens Anteil an der Sache lesen, denn so, wie es ihn am Ende erwischt, war er eben doch nicht der egoistische Stoffel, den er die ganze Zeit hat gucken lassen. Franka Bloom lässt ihn nicht als Ritter von der traurigen Gestalt enden, sondern sein Schicksal selbst in die Hände nehmen. Was sich ja so viele Frauen von ihren Männern wünschen.

Und dann gibt es erst einmal zwei Geburten, dafür keinen Todesfall. Und wenn man nicht wüsste, dass der Folgeband schon zum Lesen auf dem Stapel liegt, würde man sagen: Ende gut, das Leben geht weiter.

Und es geht ja auch weiter. Mit drei Männern, die sich rührend um zwei Babys kümmern. Und vier Frauen, die per Schiff nach Feuerland fahren. Also auch ein ermutigendes Buch. Irgendwas schafft man schon, wenn man sich nicht alles gefallen lässt und daran arbeitet, ein paar seiner Lebensträume auch mit Inhalt zu füllen.

Franka Bloom Anfang 40 – Ende offen, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017, 9,99 Euro.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar