Es ist die erste „besondere Edition“, die die Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik hier als „Poesiealbum neu“ herausgebracht hat. Und auch die Normalausgabe ist limitiert. Also etwas für echte Liebhaber von Lyrik und Verehrer von Lyrikern, die für ganze Dichtergenerationen prägend wurden. Und so eine Rolle spielt der Leipziger Peter Gosse, der jüngst seinen 80. Geburtstag feiert.

Und dieses nun einmal in Tannengrün gebundene Heft – anders als die klassischen „Poesiealbum neu“ – ist eine Hommage, eine Würdigung für den Jubilar von Freunden, Wegbegleitern, Schülern und Schülerinnen.

Dass der Dichter aus Leipzig so prägend werden konnte – und damit auch zu einer der Vatergestalten in der Sächsischen Dichterschule – das hat auch mit seiner langjährigen Rolle als Dozent am Leipziger Literaturinstitut zu tun, wo er seine Rolle als Lehrender vor allem darin sah, den ihm Anvertrauten deutlich zu machen, dass es nicht um genialische Brillanz geht, sondern um das Erlernen der Fähigkeit, mit Wortmaterial umgehen zu können.

Jedes Gedicht ist erst einmal Material, mit dem man arbeiten kann. Und dieses Arbeiten kann man erlernen. Das vermittelte Gosse auch in bundesweiten Seminaren an junge und ältere Schreibende.

Und damit ermutigte er auch so manche und so manchen, die heute einen Namen haben in der deutschen Literatur – von Kerstin Hensel bis zu Ralph Grüneberger, von Thoma Böhme bis zu André Schinkel, die alle mit ihren Reminiszenzen an den Jubilar im Heft vertreten sind und alle auf ihre Art ausloten, was Gosse ihnen gegeben hat.

Denn das kann man selten summieren oder auch nur klar benennen. Meist ist es das, was Peter Gosse als Vortragender und Gedichteauswerter in seine Nebensätze packt, was den Blick öffnet zu Verwandtschaften, doppelten Böden, Anklängen, Unbedachtem, was aber trotzdem da ist.

Denn wer so akribisch mit Dichtung umgeht wie Gosse, der kennt nicht nur seinen Dichterkanon, der weiß auch, was Sprache macht, wenn man es aus ihr herauskitzelt. Denn es steckt drin. Was wahrscheinlich auch schon die alten Sänger wussten, als sie an den Strophen für ihre Heldenlieder feilten: Worte sind Welten. Und wenn sie aufeinanderprallen, passieren Dinge. Und gute Dichter wissen, wie man das krachen lässt. Oder mitschwingen.

Oder wie man den Leser gar mit der Nase richtig darauf stößt, damit er gar nicht erst auf die Idee kommt, drüberwegzuhuschen. Auch das wird erwähnt. Denn Gosse ist einer, der hat zeitlebens verquere Gedichte geschrieben, Gedichte, die in keine Schublade passen. Selbst den besten Freunden fällt nur ein Wort dafür ein: barock.

Was Gosse natürlich auch ist. In seinen Texten lebt die alte barocke Sprach- und Lebenslust weiter, die Feier der Liebe, der Nähe und des Überschwangs. Und das immer schön eingebettet in raue, widerborstige Leipziger Kulissen. Man kann viel sagen über Leipzig und die geborstenen Landschaften drumherum – aber romantisch ist das alles nicht wirklich. Und das hat nicht nur den Weltsinn der Leipziger geprägt und ihre eher spröde Art, mit dem Umland umzugehen.

Das prägt auch ihre Eigensicht. Denn zum goetheschen Klein-Paris gehört auch unbedingt Gosses „Weltnest“. Da steckt der satirische Widerspruch drin zur gepflegten Großmäuligkeit der Leipziger Medien und ihren politischen Kraftmeiern, die Leipzig qua Amt einfach mal zu „the better Berlin“ oder „Hypezig“ hochjubeln, beides Label für eine Art Abgehobenheit, die die wirklich hier lebenden Leipziger nur zu gut kennen aus alten Zeiten. Wohl wissend: Hochmut kommt vor dem Fall.

2007 im Mitteldeutschen Verlag erschienen: Peter Gosse / Helfried Strauß "Weltnest. Foto: Ralf Julke
2007 im Mitteldeutschen Verlag erschienen: Peter Gosse/Helfried Strauß „Weltnest“. Foto: Ralf Julke

Und eine Stadt mit weltoffenem Herzen ist noch lange keine Metropole oder gar der Mittelpunkt der Welt. Alles ist zwei, drei Nummern kleiner, was zuweilen ganz niedlich aussieht. Oder beschaulich, wenn man nur an Gosses Lehrer Georg Maurer (den großen Ur-Vater der Sächsischen Dichterschule) denkt, der auch im kleinen Gohlis den großen Atem dieser Stadt spürte – und ihre Wankelmütigkeit.

Aber wie ehrt man dann einen, der einerseits mit widerspenstigen Gedichten die harmoniesüchtigen Leserinnen und Leser stocken und aufmerken ließ, andererseits sein Tun vor allem als Ermutigung auffasste? Man lässt die Ermutigten zu Wort kommen, die oft gar nicht so recht wissen, wie sie sich bedanken sollen.

Denn die Ermutigung erfolgte meist subtil, wie beiläufig, einfach schon durch die Ernsthaftigkeit, mit der der Dozent die Texte würdigte, auslotete und dabei so manchem erst ihre Tiefen zeigte. Da merkte dann der eine oder die andere erst, was sie mit ihren Versen angestellt und wirklich gesagt hatten.

Was die Voraussetzung für alles Schreiben ist. Wer nicht weiß, was mitschwingt beim Sprechen und Schreiben, wird nicht einmal eine Ahnung bekommen, wo Literatur eigentlich beginnt. Und die Aufregung beim Schreiben. Denn erst wer das weiß, weiß auch zu zweifeln.

Kann man zu viel über Sprache wissen?

Nicht wirklich.

Das Problem ist eher, dass es immer weniger Menschen gibt, die Sprache noch so entschlüsseln können. Wir sind oberflächlicher geworden. Das merkt man auch vielen, vielen Veröffentlichungen an, deren Autoren nicht einmal mehr ahnen, was für einen durchschaubaren Unfug sie da vollbracht haben. Weiche ich ab?

Nicht unbedingt. Denn wer in dieser Kolumne mitliest weiß, dass gute Bücher, in denen auch der Stil stimmt, Glücksmomente sind. Bestätigungen, dass man mit seinem Sinnen und Schauen nicht allein ist in der Welt, sondern ein paar Menschen herumlaufen, die wissen, wie man Wirklichkeiten einfängt mit Worten.

Etliche von ihnen sind nun leider auch schon sehr alt. Die Formel vom „biblischen Alter“ fällt natürlich. Und die schon gestorbenen Weggefährten werden natürlich auch erwähnt. Mit 80 ist man nun wirklich schon ein großer alter Mann in dieser Welt. Da kann ein Zeitalter besichtigt werden, in dem die Kollegen Mit-Streiter noch immer Volker Braun und Richard Pietraß heißen.

Für Ralph Grüneberger, der die Reihe betreut, war es endlich wichtig, den Satyr aus Sachsen zu würdigen mit so einem Personal-Bändchen. Weitere sollen folgen, die dann – nicht nur für die Lyrikgesellschaft – sichtbar machen, wie große Lehrer und Vorbilder in der Lyrik wirken, wie sie Anregungen schaffen und die Jüngeren ermutigen – vor allem zu Genauigkeit, Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl beim Umgang mit den Wörtern.

Und der Fotograf Helfried Strauß spricht noch etwas Wichtiges an in Bezug auf den 2007 gemeinsam mit Gosse geschaffenen Fotoband „Weltnest. Literarisches Leben in Leipzig 1970 -1990“: Wie ausgehungert die Leipziger damals nach Büchern waren, in denen das Wirkliche und Aufregende zu lesen war. Da las man noch sehr genau, was Dichter schrieben, denn eines wusste man genau: Es steckte in den Zeilen. Und die Leute kauften Gedichtbände wie andere anderswo Samisdat-Literatur.

Und nun haben wir heute alles – aber augenscheinlich das Sprechen und Zuhören verlernt.

Kauft Gedichtbände, Leute. Sammelt Poesiealben. Es schult die Aufmerksamkeit für das Wesentliche in der Welt.

„Peter Gosse zum Achtzigsten“, Edition Kunst & Dichtung, Leipzig 2018, limitierte Normalausgabe 8 Euro, Vorzugsausgabe mit Originalgrafik mit 20 Exemplaren und 5 signierten und nummerierten Grafiken und zahlreichen Autographen, 238 Euro (Subskriptionspreis bis 15. November: 180 Euro)

Leipziger Zeitung Nr. 60: Wer etwas erreichen will, braucht Geduld und den Atem eines Marathonläufers

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