Leipzig ist eine Stadt aus Licht. So wie jeder andere Ort auf dieser Erde auch. Zumindest dort, wo keine versmogten Himmel verhindern, dass man die Sonne noch sieht. Und Sonnenauf- und -untergänge. Und Fotografen wie Philipp Kirschner, die auf Hausdächer krabbeln, um dieses Leuchten über der Stadt mit der Kamera einzufangen. Aber: Sieht man in Leipzig nicht immer nur dasselbe?

Wenn man unaufmerksam ist, dann sowieso. Dann guckt sich die Stadtkulisse weg. Dann sieht man nicht mehr, dass Leipzig lauter verschiedene Himmel hat, dass es zuweilen richtig leuchtet. Und dass auch die nächtliche Beleuchtung die Stadt inszeniert. Wie eine Bühne. Manchmal leer, manchmal noch durchzogen von den Lichtern der Autos und Züge. Aber: Wie fotografiert man das? Geht das überhaupt?

Wer eine gewöhnliche Kamera hat weiß, dass sie ihre Grenzen hat, dass sie nicht in der Lage ist – so wie das Auge – sich auch an große Kontraste, schattige Übergänge oder diffuse Lichtverhältnisse anzupassen. Wenn man die Ergebnisse sieht, weiß man erst, was für ein erstaunliches Spektrum unser Auge wahrnehmen kann.

Und für Tüftler wie Philipp Kirschner steht dann die Frage im Raum: Wie kann man das trotzdem fotografieren? Kirschner ist Mediengestalter. Mit einer digitalen Spiegelreflexkamera fing er an – und merkte bald, dass man die wirklich eindrucksvollen Lichtsituationen so nicht gebannt bekommt. Da braucht es mehr – mehr Equipment, mehr Fachwissen zur modernen Fotografie. Und am Ende – das verschweigt er nicht – auch ein ordentliches Bildbearbeitungsprogramm, mit dem man aus den digital eingefangenen Motiven das herauskitzelt, was man vor Ort auch gesehen hat.

Dazu muss es natürlich drin sein im Foto. Deshalb hat er in immer größeren Fototaschen jede Menge Objektive und Blitzlichtgeräte dabei, Stativ garantiert auch und garantiert auch Filter. Denn er wagt immer wieder etwas, von dem Fotografen wissen, dass es eigentlich nicht geht: Die Sonne selbst mit im Bild zu inszenieren, egal, ob sie gerade aufgeht oder hinterm Reichsgerichtsgebäude abtaucht, ob sie die Thomaswiese besprenkelt mit Schatten oder das Alte Bachdenkmal ausleuchtet.

Er liebt die Lichter und die Himmel über der Stadt, die so gern wegbrechen, wenn man meint, das prächtige Blau mitsamt den abendlichen Türmchen und Dachterrassen festhalten zu können. Oft zeigt uns ja erst das Foto, wie unser Auge die Welt ganz anders filtert und wahrnimmt. Wie oft hat man die banalen Bilder hinterher gelöscht und sich gefragt, wo denn nun dieser ganze märchenhafte Eindruck geblieben ist, der Leipzig ins goldene Licht der Straßenlichter und der Fassadenstrahler getaucht hat.

Philipp Kirschner zeigt, wie es geht, wie man aus den Bildern der Stadt die Farben und die Stimmung herauskitzelt. Er lebt längst als professioneller Fotograf davon, dass er sein Handwerk beherrscht. Die Sache mit den Fotografien seiner Geburts- und Heimatstadt lief immer so mit. Nebenbei, als ein emsiger Versuch, aus den üblichen Leipzig-Bildern einmal etwas anderes herauszukitzeln, nicht die üblichen Architekturaufnahmen, die nur zeigen, wie prächtig ein Bauwerk ist.

Wer die digitalen Entwürfe heutiger Architekten kennt weiß, dass auch sie ihre Visionen gern mit Licht inszenieren – mit Tages- und Jahreszeiten und einem Gefühl für die Wirkung dessen, was sie entwerfen, genau an diesem Ort. Denn die schönsten Orte in Leipzig sind ja nicht deshalb schön, weil viel Geld in Bau und Sanierung schöner Gebäude geflossen ist, sondern weil die Architekten diese Raumwirkung immer mitdenken – wenn sie gut sind und sich vorstellen können, wie es hinterher aussieht. Und selbst alte Prachtstücke wie das Buchgewerbehaus, der Bayerische Bahnhof oder die Russische Gedächtniskirche zeigen in Kirschners Bildern, dass ihre Erbauer die Raumwirkung immer mitbedacht haben. Dass der Bau immer auch Inszenierung war.

Auch wenn Kirschner eher selten die (langweilige) Mittagsstunde nutzt, um diese Orte zu fotografieren, sondern jene Stunden, in denen die Sonne tiefer steht und damit wie ein Scheinwerfer wirkt, der das fotografierte Gebäude in Licht baden lässt. Ganz abgesehen von den Orten in der Stadt, die ja von ihren Designern extra so konzipiert wurden, dass sie genau dazu einladen – wie der Brunnen in der Fritz-von-Harck-Anlage, auf dessen poliertem Stein sich das Neue Rathaus spiegelt. Oder die Abendbeleuchtung an Pleißemühlgraben und Bundesverwaltungsgericht selbst.

Sogar solche Motive, die schon tausendfach für Stadtführer und Kalender abgelichtet wurden, entfalten bei Kirschner eine neue, detailreiche Wirkung. Der Fotograf zieht selbst dann los mit der Kamera, wenn andere daheim ihren Abendgrog trinken, und fotografiert Leipzig bei Schnee. Was ja selten genug vorkommt.

Aber wenn es passiert, werden auch viele der bekannten Lichtinszenierungen neu erlebbar – so wie das Café Grundmann, die Löffelfamilie oder selbst der Karl-Heine-Kanal. Der dann wieder zu den Motiven gehört, die Kirschner in verschiedensten Jahreszeiten immer wieder neu entdeckt. Gern auch mit Weitwinkel und einem abendlich auf dem Wasser gespiegelten Himmel über den Häusern.

Viele Orte wirken aus solchem Blickwinkel auf einmal verzaubert und man fragt sich natürlich zu Recht: Wie hat er das gemacht? Manchmal lautet die Antwort einfach: Er ist früh aufgestanden. Und er hat den richtigen Zeitpunkt erwischt. Manchmal hat er auch als erster gesehen, welche neuen (Ein-)Blicke die sich verändernde Stadt bietet. Der Kanal zum Lindenauer Hafen ist ja so ein neu entdecktes Fotomotiv. Während man – um die Könneritzbrücke einmal anders zu sehen als all die Maler und Fotografen, die dieses „beliebte Motiv“ festhalten – schon mal einen neuen Standpunkt am Ufer finden muss.

Manchmal hebt Philipp Kirschner auch richtig ab, nutzt augenscheinlich die Möglichkeiten der Ballonfahrer, um mehr zu sehen von dieser in Licht gebadeten Stadt. Das Ergebnis ist tatsächlich ein „Leipzig in neuem Licht“. Denn diese Blicke ermöglicht tatsächlich erst die weite Welt der digitalen Fotografie. Wobei das neue Licht sich durchaus auch auf die ganz und gar nicht mehr hinterwäldlerische Stadtbeleuchtung beziehen kann. Und auf den Himmel, den Leipzig mit dem Ende der Kohleheizungen zurückgewonnen hat. So war die Stadt ja bis in die frühen 1990er Jahre nie zu sehen – immer hing irgendein grauer Schleicher in der Luft und verwusch die Farben.

Es ist also auch eine Feier der neuen, farbenreichen Stadt mit den Möglichkeiten der heutigen Fotografie. Gespickt mit kleinen Erklärungstexten von Bernd Weinkauf, der das Gesehene ein wenig so erklärt, als wäre der Band vor allem für Leute gedacht, die Leipzig noch nicht kennen und mit diesem Band erst einmal in seiner ganzen Leuchtkraft kennenlernen. Da fehlen dann natürlich auch die Leipziger selbst mit ihren zuweilen sehr burschikosen Beziehungen zu ihrer Stadt. Das steht dann in den kleinen Texten.

Und für die Leipziger selbst ist der Band eine eindrucksvolle Einladung, doch auch mal in den Tagesrandstunden loszugehen und die Augen offenzuhalten und wahrzunehmen, wie stark dieses Fleckchen auf Erden zuweilen sein kann. Und da der Fotograf immer wieder auch auf die Häuser steigt, reicht der Blick ein Stückchen weiter als nur bis zur üblichen Nasenspitze.

Philipp Kirschner; Bernd Weinkauf Leipzig in neuem Licht, Sax Verlag, Beucha und Markkleeberg 2018, 19,80 Euro.

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