Wohin geht die Reise? Immer mehr Menschen verzichten auf Fleisch. Die Fleischindustrie steckt in der Krise, nachdem immer mehr Details über die Massentierhaltung und die Bedingungen in den Schlachthöfen bekannt werden. So richtig schick ist der Auftritt der Grillmeister an ihren Grills ja nicht mehr. Und sie werden sich künftig viele Fragen gefallen lassen müssen – zur Herkunft des Fleisches und auch zur Klassifikation des Steaks, das sie da gerade brutzeln. Nichtwissen entschuldigt nichts mehr.

Dazu ist Fleisch zu wertvoll. Gerade dann, wenn Menschen nicht auf Fleisch verzichten wollen. Gerade dann sollten sie darauf achten, woher das Steak kommt, das sie sich auf den Grill legen. Und sie sollten auch wieder Dinge wissen, die für unsere Eltern und Großeltern noch zum Allgemeinwissen gehörten, damals, als selbst in Kochbüchern und Fleischergeschäften jene berühmten Tierabbildungen zu sehen waren, die zeigten, welcher Teil des Tieres eigentlich unter welcher Bezeichnung verkauft wurde.

So eine Abbildung hat auch Jana Rogge in ihr Büchlein aufgenommen – in diesem Fall die eines Rindes, da Steaks nun einmal vorrangig Rind zur Grundlage haben. Die Zeichnung hilft dabei zu sehen, welcher Teil des Tieres dabei Grundlage all jener unterschiedlichen Steaksorten ist, die unter den unterschiedlichsten Namen angeboten werden – und das auch noch in verschiedenen Ländern anders. Eine Wissenschaft für sich, betont Rogge.

Aber die Namen haben ihre Gründe, denn sie geben nicht nur Auskunft über den Teil des Tiers, aus dem sie stammen, sondern auch über Fettanteil, Größe, Zuschnitt. Was dann wieder unterschiedlichen Umgang mit dem Fleisch nach sich zieht, wenn der Bratmeister nicht nur den bestmöglichen Geschmack herauskitzeln will, sondern auch die richtige Konsistenz. Denn ein falscher Umgang mit dem Fleisch kann das Steak zu etwas Ungenießbarem machen, im schlimmsten Fall zäh und geschmacklos.

Das Büchlein ist also auch ein kleiner Einführungskurs für all jene, die zwar schon gern immer mal ein Steak auf den Rost hauen wollten, aber nie gelernt haben zu unterscheiden, was die unterschiedlichen Steaksorten eigentlich bedeuten und wie unterschiedlich man damit umgehen sollte. Und auch von einigen Illusionen vom durchgebratenen Steak befreit die Autorin die Leser.

Oder sollte es auch Leserinnen geben?

Im Einführungskapitel geht sie ja auch auf die Faszination des Feuers ein, das schon am Beginn der menschlichen Sesshaftwerdung stand und augenscheinlich tief in unserer Kultur verankert ist und gerade Männer zutiefst zu faszinieren scheint, weshalb wohl das Grillen mit dem Verschwinden der offenen (oder geschlossenen) Feuerstelle im Haus erst so richtig Aufwind bekommen hat.

Wirklich wissenschaftlich untersucht hat das ja noch niemand. Aber die Begriffe Feuer und Fleisch hängen ja augenscheinlich für einige Mitmenschen aufs Engste zusammen, sind hochgradig emotional belegt und rufen, wenn auch nur die Ahnung einer Kritik daran aufkommt, gewaltige Gegenreaktionen hervor. Geradeso, als hätte man den Menschen direkt an dem Punkt getroffen, an dem er seine Nahrungsgrundlage direkt bedroht sieht.

Es erstaunt schon, dass sich eine Autorin dieses stark männerlastigen Themas angenommen hat. Andererseits breitet sie hier ein Grundlagenwissen aus, das mit dem Verschwinden der Fleischerfachgeschäfte aus unseren Städten auch völlig aus der Wahrnehmung verschwunden ist.

Die abgepackten Steaks in der Kühltruhe des Supermarktes verraten nicht mehr ansatzweise all das, was Jana Rogge hier über Rostbraten, T-Bone-Steak, Rumpsteak, Tournedos und Medaillons, Siloin und Cowboy Steak zu erzählen weiß, über ihre Qualitäten und das, worauf der Käufer achten sollte. Und natürlich dann auch die wirkliche Kunst des Bratens oder Garens und den besten Weg, herauszufinden, ob ein Steak rare, medium oder well done ist.

Und man lernt auch, warum manche Steaksorten deutlich teurer sind als andere. In gewisser Weise also auch, dass Fleisch selbst einen Wert hat und man sich wohl lieber nicht aus der Billigfleischtheke bedient, sondern lieber wieder einen kompetenten Fleischer sucht, der noch weiß, was er da anbietet und woher es stammt.

Vielleicht ist das wirklich der nächste wichtige Schritt, weil ja doch nicht alle sofort auf gleich zu Vegetariern werden wollen: wieder zu lernen, dass unsere Nahrung – auch und gerade die vom Tier – etwas wert sein sollte. Und zwar so viel, dass uns die Qualität des gekauften Steaks genauso wichtig ist wie die Haltungsbedingungen des Tieres.

So fängt eigentlich auch Selbstachtung an: indem wir aufhören, uns irgendwelche Fleischmassen reinzustopfen, von denen wir nicht wissen, wie sie hergestellt wurden. Und wer sich selbst achtet, der hört auch mit den ganzen Egal-Sprüchen auf. Der lernt auch wieder Achtung vor der lebenden Natur, vor der Arbeit anderer und auch vor den Bauern, die wirklich bemüht sind, Tiere auch tierwürdig zu halten. Das hat seinen Preis. Aber genau hier findet es sich zusammen: die allgegenwärtige Verbitterung der Menschen (Männer), die verzweifelt nach einem Hobby der Anerkennung suchen, aber in der Nicht-Achtung des Tieres auch die eigene Selbstnichtachtung spiegeln.

Wer aufmerksam ist und nicht alles als gleich und egal betrachtet, der lernt auch sich selbst wieder zu achten, ist sich selbst wieder etwas wert. Auch das besagt dann die logischer- und ehrlicherweise höhere Rechnung beim Fleischer.

Jana Rogge Kleines Steak Buch, Rhino Verlag, Ilmenau 2020, 5,95 Euro.

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