Geisterhaft geht es zu. Für den deutschen PR-Berater Max May wird sein neuester Auftrag in einem Luxusapartment-Tower in Bangkok zu einem ziemlich albtraumhaften Erlebnis. Das „Condominium Frangipani“ ist ein 200 Meter hoher Skyscraper, der in den Himmel über der von Smog belasteten thailändischen Hauptstadt ragt. Nicht das einzige „Condo“, das in Bangkok rücksichtslos aus dem Sumpfboden gestampft wird.

Dabei ist dieser Maximilian May eigentlich ein armer Hund – vor fünf Jahren ist er seinen Job als Redakteur losgeworden, weil die Wirtschaftszeitung, für die er gearbeitet hat, eingestellt wurde. Da ging es ihm also wie tausenden anderen Journalisten, die die Medienkrise als Verlust ihres Arbeitsplatzes erlebten. Und nun?

Max hat sich selbstständig gemacht und hat die Seiten gewechselt. Denn als Journalist weiß er nur zu gut, wie Public Relations funktionieren und die Auftraggeber ticken. Sie versuchen ja, ihre getürkten Erfolgsgeschichten mit allen Mitteln auch in den seriösen Medien unterzubringen.

Und die schlichte Wahrheit heutzutage ist: Bei etlichen Medien ist ihnen das auch längst geglückt und die Leser und Zuschauer können kaum noch unterscheiden, was seriöse Berichterstattung ist und was gekaufte Werbung.

Unter Druck

Max zumindest ging noch bis eben davon aus, dass er das im Kopf gut trennen könnte und sich seine Ehrlichkeit bewahrt hätte. Dass er also seine Seele nicht verkauft. Aber schon die Coronakrise hat sein Geschäftsmodell gründlich infrage gestellt. Sommer 2020.  Internationale Reisen sind kaum noch möglich, Aufträge bleiben aus. Die schöne Selbstständigkeit erweist sich als höchst prekär.

Gut möglich, dass es nicht nur die Jahre sind, die der 1970 geborene Jens Karbe 2016 bis 2020 in Bangkok lebte, die sich in seinem ersten Roman spiegeln. Gut möglich, dass Karbe, der inzwischen in Leipzig lebt, auch seine Zeit als PR-Journalist reflektiert, in der er als „Freier“ für diverse PR-Agenturen gearbeitet hat.

Denn sein Max May steht von Anfang an unter Druck. Der Auftrag in Bangkok ist für ihn wie ein Strohhalm, seine kleine Agentur zu retten. Er muss den Auftrag kriegen, erlebt aber vom ersten Tag in diesem Condo die seltsamsten Dinge.

Nicht nur, dass ihm dieses Bangkok noch fremd ist und der schöne Schein gleich an mehreren Stellen bröckelt. Seine Auftraggeber scheinen die Realität in diesem fast leeren Wohnturm und seiner näheren Umgebung gar nicht wahrzunehmen, regelrecht in einer anderen Welt zu leben: der Welt der Investoren und Real Estates, die ihre architektonischen „Wunderwerke“ überall dort in die riesigen Städte der Welt rammen, wo sie mit ihrem Geld jeden Widerstand aus dem Weg räumen können.

Und das, was sie da mitten in die lebendigen Städte gerammt haben, dann als neue, lebendige Lifestyle-Welt verkaufen. Als hätten sie nicht gerade ein Stück lebendiger Stadt plattgemacht für eine Architektur, die nur noch auf sich selbst bezogen ist. Und natürlich auf die zahlungskräftige Kundschaft, die sich dann die Wohnungen in diesen riesigen, abgeschotteten Condos kauft.

Moderne Seelenverkäufer

Aber Max gibt sich Mühe, egal, was ihm in den Tagen im Condo zustößt und wie oft er in seltsam verstörende Situationen gerät – irgendwie ist er doch gewitzt genug, der Chefin die richtigen Werbestrategien für dieses Ungetüm von Wohnturm vorzulegen.

Nur als Leser stutzt man, weil sein Zwiespalt allzu offensichtlich ist – hier der mit allen Wassern gewaschene PR-Profi, der kein Problem hat, aus dem Ärmel zu zaubern, was diese Leute an Schönmalerei und Wortgeklingel hören wollen.

Und auf der anderen Seite der Mann, der selbst in diesen Sitzungen jedes Mal daran erinnert wird, dass sein Auftrag daran hängt, dass er das richtige liefert – und zwar pronto, pronto – und nicht widerspricht.

Auf einmal wird klar, dass dieser Max tatsächlich nur der Vertreter eines sich modern und weltgewandt fühlenden Prekariats ist, das eben nicht nur sein Können und Wissen verkauft, wenn es sich von generösen Auftraggebern abhängig macht, sondern eben auch ihre Seele.

Was sich Max lange nicht eingestehen will. Selbst dann nicht, als er selbst zum Angriffsziel für jene wird, die mit aller Macht dieses neue Condo und seine Besitzer attackieren. Und regelrecht seltsam wirkt es, wenn sich dieser kleine Freelancer dann tatsächlich benimmt, als wäre er als Public Relations Manager Mitglied der Chefetage.

Aber so geht so manches Märchen von Freelancern eben auch: Tatsächlich haben sie keine Macht, keinen Einfluss – aber Verantwortung wird ihnen nur zu gern aufgehalst. Eigentlich eine nicht aushaltbare Situation.

Wären da nicht der etwas zwielichtige Blobby, der ihm anfangs wie so ein deutscher Proll-Tourist begegnet, der nur wegen der kleinen Thai-Mädchen in Bangkok ist, und die schöne Chang, die Max gleich am ersten Abend vor einem gewalttätigen Wüterich rettet.

Doch ihre Geschichten scheinen nicht zu stimmen. Und Max muss sich durchaus die Frage stellen, wem er da eigentlich noch trauen kann.

Türme der Macht

Dabei ist sein eigener Auftritt ja das permanente Bedienen falscher Geschichten, die richtig klingen. Denn das hat die moderne PR ja längst gelernt: Den Käufern selbst das Allerletzte anzudrehen, mit einer Sprache, in der es von Nachhaltigkeit, Lebensstil und sozialen Wohltaten nur so lärmt.

Das kennt Max auch von zu Hause, aus dem lausigen Köln, das ihm aus der Perspektive des 44. Stockwerks geradezu schäbig erscheint. Kaputtsaniert nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges.

Aber mit dem Blick auf die arrogant in das Bangkoker Stadtbild gesetzten Wohntürme wird er auch nicht so richtig warm. Und hätte er seine wahren Gefühle über das Condo in einen Clip bannen dürfen, hätte er wohl genauso einen produziert, wie ihn am Ende der größte Gegner des Condo Frangipani in die sozialen Netzwerke schleust in der Hoffnung, die Besitzer des Turms damit an die Wand zu drücken.

Aber auch das geht anders aus.

Aber da ist man mit Max auch längst an einer Stelle angekommen, an der er endlich so ehrlich ist, für sich eine erste Bilanz zu ziehen von dem, was er da die letzten Tage eigentlich getrieben hat:

„Hätte ich Dahling nicht deutlicher Paroli bieten müssen? Waren wir nicht Teil einer wachsenden Übermacht von PR-Einflüsterern und Spin-Doktoren, die den öffentlichen Diskurs vergifteten? Jeder Depp kann sich heute PR-Berater nennen und die Welt mit halbseidenen Storys zudröhnen. Es ist ein einziger Overkill an Storytelling. Warum müssen sich ausgerechnet PR-Menschen als Poeten gerieren?“

Trug und Selbstbetrug

Da ist er noch nicht ganz so weit, aus seiner vertrackten Rolle zu schlüpfen. Dazu muss es ihm noch einmal fast an den Kragen gehen und er auch akzeptieren, dass man in diesem Business immer seine Seele verkauft. Und sich Mitgefühl oder Gerechtigkeitssinn gar nicht leisten kann.

Deswegen klingt seine Analyse am Ende noch eine Spur schärfer: „Nicht selten glaube ich sogar meine eigenen Konstrukte, die ich unters Volk streue. Wie sollte es auch anders funktionieren: Wenn ich andere glaubwürdig täuschen will, muss ich mich zunächst selbst erfolgreich täuschen. Aber dieser Selbstbetrug nagt an der Seele. Wer betrügt, verletzt. Und wer sich selbst betrügt, verletzt sich selber.“

Da darf man dieses von Trug und Manipulation geplagte Bangkok durchaus als Modellstadt sehen für tausende Großstädte weltweit, in denen die rücksichtslosen Investoren ihr Unwesen treiben und Heere von abhängigen PR-Machern für sich arbeiten lassen, um die Öffentlichkeit mit falschen Bildern und Geschichten zu betrügen.

Deutschland und seinen Tanz um die Goldenen Kälber gar nicht ausgenommen. Die riesigen Geldsummen, die um den Erdball jagen, kennen keine Rücksicht. Ihnen ist jede Lüge recht, wenn sie nach neuen Anlagen suchen und Käufer für ihre profitablen Produkte.

Da sind dann die armen Hüttenbewohner, die diesen Hochglanzprojekten weichen müssen und oft mit makabren Methoden regelrecht vertrieben werden, ganz bestimmt nicht gemeint.

Die größte Lüge

Am Ende ist es Chang, die mit den vertriebenen Hüttenbewohnern gekämpft und protestiert hat, die Max dazu bringt, endlich ein bisschen ehrlich zu sich zu sein:

„Es wimmelt von Trollen, die dem Geschäftsmodell der professionellen Verlogenheit frönen. Sie leiden regelrecht unter dem Zwang, Halbwahrheiten zu verbreiten, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Pseudologia phantastica. Zwar heißt es im offiziellen PR-Codex – der ethischen Selbstverpflichtung der Branche: Als PR-Berater hat man wahrhaftig zu sein. Aber das ist Wunschdenken. Die größte Lüge ist, dass wir uns selbst in die Tasche lügen und meinen, wir lügen ja gar nicht.“

So gesehen sind die geisterhaften Erlebnisse von Max im Condo auch ein Spiegel seines eigenen Tuns. Und was dabei herauskommt, wenn sich das Täuschen und Manipulieren gleich mehrerer Parteien überschneiden. So weit, dass nicht einmal der kleine tapfere Journalist, der scheinbar hartnäckig an Max zu kleben scheint, eine eindeutige Figur ist.

Denn die Frage steht ja am Ende deutlich im Raum: Was ist eigentlich noch Realität, wenn sich Leute mit jeder Menge Geld Sklavenheere von PR-Machern kaufen können und damit die öffentliche Meinung jederzeit aufs heftigste verzerren und korrumpieren können?

Max findet für sich am Ende noch den Absprung. Die Sache geht für ihn irgendwie doch noch menschlich aus. Aber das Happyend täuscht auch ein wenig. Denn der Albtraum einer völlig entfesselten Immobilien- und PR-Maschine geht ja weiter.

Auch an den schönen Meeresküsten Thailands. Die nächste Stadt, der nächste Imponier-Turm für potente Käufer, das nächste Stück bedrohter Umwelt. Zumindest weiß Max jetzt, dass man sich nicht verkaufen darf, wenn einem diese Welt am Herzen liegt.

Jens Karbe „Geistercondo“, Jens Karbe, Leipzig 2022, 9,99 Euro

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