Die Frau am Fenster heißt Caroline, geborene Bommer. Sie ist die junge Ehefrau des Malers Caspar David Friedrich. Vor vier Jahren hat sie den 19 Jahre älteren Maler geheiratet, von dem seine Freunde sicher waren, dass er für alle Zeit Junggeselle bleiben würde. Wahrscheinlich ist sie in diesem Moment schon schwanger mit ihrer Tochter Agnes Adelheid, die 1823 geboren werden würde. Ihr Blick geht hinaus auf die Elbe, doch das verrät nur der einsame Schiffsmast.

Aber das Fenster ist wohl mittlerweile eines der bekanntesten in der Kunstgeschichte, denn auch Georg Friedrich Kersting hat es gemalt, einer der bekannten Malerfreunde von Friedrich, die damals die Dresdner Malerkolonie bildeten. Berühmt auch durch ihre Entdeckung der Sächsischen Schweiz als malerisches Motiv.

Doch bei Kersting ist das Fenster geschlossen und man sieht Caspar David Friedrich an seiner Staffelei, eingeschlossen in seine Klausur, in der er sich regelrecht verkroch, wenn er malte.

Auch zum Leidwesen von Caroline, die sich in Birgit Poppes Buch immer wieder darüber grämt, dass ihr Caspar von ihr nie ein Porträt gemalt hat. In einigen seiner Bilder taucht sie in der Rückenansicht, manchmal im Halbprofil auf. So wie die meisten der Gestalten, die er malte.

Ob sich die richtige Caroline so grämte, wissen wir nicht. Aber natürlich ist es ein starkes psychologisches Motiv, mit dem die Germanistin und Kunsthistorikerin Birgit Poppe in diesem Roman die Ehegeschichte von Caroline und Caspar erzählt. Eine Ehe, die vielleicht etwas komplizierter war als die anderer Leute. Denn ein einfacher Charakter war Caspar ganz bestimmt nicht.

Ein unzeitgemäßer Maler

Wahrscheinlich litt er tatsächlich unter seelischen Krisen und Depressionen. Aber leicht gemacht wurde es ihm auch nicht. Heute ist jedes Museum, das Bilder von Caspar David Friedrich besitzt, stolz darauf. Doch dabei vergisst man zu leicht, dass er schon in seinen späten Lebensjahren fast vergessen war.

Waren seine großen Landschaftsbilder anfangs noch als revolutionär betrachtet worden, erlosch das Interesse der Sammler, schienen die gedankenschweren Bilder des Malers nicht mehr in die Zeit zu passen, die sich immer mehr in Biedermeier, Historienmalerei und falsche Romantik flüchtete.

Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Modernität in Friedrichs Bildern wiederentdeckt. Oder überhaupt erst entdeckt. Zu schaffen machte ihm auch sein vergeblicher Versuch, an der Dresdner Akademie eine feste Anstellung als Professor zu bekommen. Dass er so spät heiratete, hatte ja auch damit zu tun, dass er erst mit einer ersten Anstellung an der Akademie überhaupt eine sichere Einnahme hatte und sich Familie leisten konnte.

Natürlich ist auch Birgit Poppes Roman am Ende ein Caspar-David-Friedrich-Roman. Auch wenn der Künstler hier ganz durch die Augen seiner Frau Caroline betrachtet wird – beginnend im Jahr 1816, in dem sie sich verlobten. Bis zum Jahr 1826, als Caspar ein letztes Mal – allein – zur Erholung auf die Insel Rügen reist und Birgit Poppe ihre Heldin noch eine kleine Beinah-Liebesgeschichte erleben lässt.

Die so nicht passiert ist. Aber das ist dann oft das Problem der Späteren, die aus dürftigen Zeitdokumenten ein ganzes Menschenleben versuchen zu rekonstruieren.

Und was man weiß – vieles davon aus Caspars Briefen selbst –, erzählt von einer lebenslustigen Frau, die Caspar in vielen Krisen half und ihm heftig fehlte, wenn sie einmal nicht da war. Und dass sie liebesbedürftig und auch eifersüchtig gewesen sein muss, liegt nur zu nahe. Es geht gar nicht anders.

In der Dresdner Malerkolonie

Und so gibt Birgit Poppe eben da und dort ein paar dicke Pinselstriche dazu, um Carolines Leben Farbe zu geben. Farbe, die dieses Leben natürlich gehabt haben muss.

Denn als Ehefrau von Caspar David Friedrich war sie auch Teil jener Dresdner Künstlerkolonie, zu der neben Friedrich und Kersting auch Johan Christian Clausen Dahl gehörte, der mit seiner Frau Emilie ab 1823 im selben Haus wie die Friedrichs wohnte (An der Elbe 33), Gerhard von Kügelgen (der 1820 ermordet wurde und an den heute das Kügelgenhaus in Dresden erinnert) und Carl Gustav Carus, der seinerzeit berühmte Arzt, der sich aber auch als Landschaftsmaler versuchte und die erste Friedrich-Biografie schrieb.

Sie tauchen alle auf in diesem Buch. Natürlich. Aber wie erlebte Caroline das alles? Das wissen wir nur aus zweiter und dritter Hand. Wie das so ist mit den Frauen der Berühmten, wenn sie sich nicht damals schon die Freiheit nahmen, selbst zu schreiben. Oder zu malen wie Friedrichs „Kollegin“ Caroline Bardua. Noch war es nämlich gar nicht selbstverständlich, dass Frauen selbstständig agierten und sich Freiheiten nahmen. Auch nicht in Malerkreisen.

Die großen Kämpfe der Frauenemanzipation sollten ja erst kommen. Noch galt das Ideal der bürgerlichen Ehe mit der Ehefrau, die sich allein um Haus, Herd und Kinder zu kümmern hatte. Und der Ehemann als Alleinversorger. Was für die Friedrichs schon in der Zeit, in der dieser Roman spielt, zu schwierigen finanziellen Engpässe führte, weil sich die Bilder des Malers nicht mehr gut verkauften.

Mit der Folge eben auch, dass Caroline nach Caspars Tod sehr schnell in Armut geriet. Birgit Poppes Roman ist ein sehr atmosphärischer Versuch, diesen Malerhaushalt direkt aus der Perspektive von Caroline zu zeichnen und sich auch in ihre Gedanken und Stimmungen einzufühlen. Dominiert wird ja die Literatur über Caspar David Friedrich vor allem durch die Einschätzungen von Carus, der ihn als „unzugänglich, grob und jähzornig“ schilderte.

„Doch die Briefe des Paars sprechen auch eine ganz andere Sprache“, schreibt Poppe. „Da zeigt sich Friedrich, zumindest in den Anfangsjahren, als gutmütig, zärtlich, sogar schalkhaft zu seiner geliebten ‚Line‘.“

Beseelte Landschaft

Und so bleibt eigentlich nur der Versuch, sich – mit dem Wissen der Gegenwart – in die Rolle von Caroline hineinzuversetzen und sich ein möglichst realistisches Bild von dieser Ehe zu machen, ihren Höhen und Tiefen und dem, was Caroline für den oft so verschlossenen Künstler empfand.

So gelingt es, der „Frau am Fenster“ eine lebendige Geschichte zu geben, ein Leben zu zeichnen, wie sie es damals wohl tatsächlich an der Seite des Malers erlebte, erst in dessen kleiner Wohnung „An der Elbe 26“, dann in der größeren „An der Elbe 33“, der mit seinen stimmungsvollen Bildern seine Zeitgenossen ganz offensichtlich noch überforderte.

Was dann natürlich auch davon erzählt, dass auch das Publikum erst sehen lernen muss und lernen musste, dass Landschaft nicht einfach nur schöne Staffage ist, sondern auch Spiegel unserer seelischen Zustände. Aber damit wollte man sich im biedermeierlichen Deutschland lieber nicht beschäftigen. Und so schauen wir heute auf diese Zeit mit dem Blick Caspar David Friedrichs, der wie kein anderer Maler die Vergänglichkeit der Welt in Farben gefasst hat.

Mittendrin manchmal die Silhouette seiner Frau Caroline, die ihn auf der Fahrt seines Lebens begleitete. Und irgendwie sieht es so aus, dass er das auf völlig andere Weise tief empfand als Caroline selbst.

Sodass man zwar mit Caroline aus dem geöffneten Fenster schaut, aber eigentlich mit Caspars Augen hinaussieht in eine Weite, die sich immer wieder entzieht.

Birgit Poppe „Die Frau am Fenster“ Gmeiner Verlag, Meßkirch 2024, 20 Euro.

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