So langsam wächst die quadratisch gestaltete Rezeptreihe, in welcher der Buchverlag für die Frau die regionalen Küchen in Verbindung mit ihrer Landschaft erkundet, also kleine Reiseführer, Landerklärer und Rezeptverräter in einem. Diesmal hat sich Torsten Kleinschmidt auf die Socken gemacht, um die Küchen der Insel Rügen zu erkunden. Denn ganz offensichtlich gibt es mehrere. Die Insel ist doch ziemlich groß.

Und sie hat auch noch einen ganzen Schwarm von kleinen Inseln drumherum, von denen Hiddensee, Ummanz und Vilm nur die bekanntesten sind.

Was natürlich die meisten Leute vom Festland nicht weiter interessieren würde, wäre Wilhelm Malte I. im Jahr 1816 nicht auf die Idee gekommen, in Putbus das erste Seebad auf Rügen einzurichten und die Festlandbewohner auf die Idee zu bringen, sie könnten ihre „Sommerfrische“ ja auch auf der Insel der Ranen verbringen.

Weil aber die meisten Leute nicht mehr wissen, wie erfrischend eine Sommerfrische sein konnte, wird das natürlich im Buch auch erklärt. Denn von der Gelassenheit jener Zeit, als der Begriff Sommerfrische geprägt wurde, sind ja die meisten Menschen, die heute selbst Urlaub oft als Stress erleben, meilenweit entfernt.

Ein idealer Ort zum Loslassen

Und dabei ist gerade Rügen ein idealer Ort, um tatsächlich einmal das Tempo herunterzuschrauben und die Insel in aller Ruhe zu erkunden. Gern auch kapitelweise und mit eingeplanten oder unverhofften Besuchen in den Gasthäusern, die nicht nur lauter Fisch anbieten auf den Tellern, auch wenn Fisch natürlich eine zentrale Rolle spielt. Hier kommt er frisch aus dem Meer auf den Tisch und man lernt ganz bestimmt auch ein paar Meeresbewohner kennen, die man im heimischen Fischregal noch nie gesehen hat.

Drumherum aber auch all die Zutaten, die auf Rügen natürlich auch wachsen. Denn im Muttland (ein Name, der überraschenderweise etwas mit Schweinen zu tun hat) wird seit Jahrhunderten natürlich auch Landwirtschaft betrieben. Da kommen Kartoffeln, Rüben und Zwiebeln her, die man neben den Fischvariationen alle Art natürlich auf dem Teller findet.

Wenn man mutig ist, bekommt man auch Gries und Grütze, einst die Hauptmalzeiten der keineswegs reichen Rügener, bevor sie die Sache mit dem Fremdenverkehr als lukratives Geschäft für sich entdeckten..

Heute verwöhnen sie ihre Gäste mit allen Finessen einer eigenständigen Küche, die trotzdem von den Einflüssen aus allen Meeresrichtungen erzählt. Denn hier waren ja bekanntlich mal die Dänen, später die Schweden. Manches kam auch vom Festland. Arm ist diese Küche also nicht mehr.

Man findet also, wenn man nach den Besuchen an den Kreidefelsen im Nationalpark Jasmund, am Kap Arkona oder auf der streng geschützten Insel Vilm Hunger bekommen haben sollte, immer eine hübsche Auswahl, die den Hungrigen eher mit der Frage konfrontiert, was ihm jetzt besonders munden möge. Und der genaue Blick auf die Karten zeigt, dass man auch ordentlich Fleisch auf den Teller bekommen kann, wenn man nicht fröhlich zu leckeren vegetarischen Gerichten greift.

Heidepfannkuchen und Schmorkohl

Beim Besuch in Wittow steht der fruchtige Rohkostsalat mit Linsen gleich neben dem Zwiebelfleisch in Aspik, gefolgt von Heidepfannkuchen mit Pilzfüllung und den Steckrüben-Pommes mit Sonnenblumen-Mayonnaise. Man merkt schon: Diese Küche ist nicht im 19. Jahrhundert stecken geblieben und auch nicht in jener Legendenzeit, als die Männer, die bei den alten Ranen mal König werden wollten, tatsächlich die Steilküste hochklettern mussten zum Königsstuhl. Obwohl …

Manchmal könnte man sich heute so ein Ritual auch gut vorstellen, wenn man nicht so wichtige Ämter besetzt haben möchte.

Die Mühe wird natürlich belohnt: kulinarisch. Hier mit sauer eingelegter Ostseeflunder, buntem Ostseelachs-„Schaschlyk“ oder Wittower Schmorkohl. Man hat die Wahl und lernt in Dranske auch gleich noch die älteste Kneipe auf Rügen kennen. Orte, die sich anzusteuern lohnt, gibt es jede Menge. Man denke nur an die mittlerweile legendäre Künstlerkolonie auf Hiddensee, wo in den 1920er Jahren praktisch jedermann in die Sommerfrische fuhr, der damals zur Avantgarde gehörte – von Asta Nielsen über Thomas Mann bis zu Henny Porten und Gerhart Hauptmann.

Man kann Hauptmanns Haus „Seedorn“ genauso besuchen wie Asta Nielsens „Karusel“. Und hernach verspeist man dann frittierten Senfheringe oder Heringe im Knusperteig. Den Heringen ist das egal. Genauso wie der Name, den man ihnen verpasst. Manche lassen sich ja nur zu gern als Bismarck-Heringe aufs Festland verschiffen. Auch das wird erklärt.

Natürlich auch Störtebeker

Genauso erfährt man, wie man mit dem Rasenden Roland von Binz nach Göhren kommt und warum der Sprung aufs Festland in die UNESCO-geschützte Stadt Stralsund lohnenswert ist. Wo man sich dann Tüften un Plum bestellen kann für den Bärenhunger oder Grützwurst mit Zwiebelringen und Apfelmus, typisch für den ganz bestimmten süßsauren Geschmack der Küche hier oben, wo die Wellen an den Strand schwappen und die Möwen sich auf unaufmerksame Urlauber eingespielt haben.

Und wo man den berühmte Störtebeker tatsächlich findet, erzählt Kleinschmidt natürlich auch. Auf der Insel Tollow kann man es versuchen, wird aber höchstwahrscheinlich enttäuscht. In Ralswieck aber stehen die Chancen gut, wenn man direkt zur Festspielzeit anreist und sich vorher mit Falschem Hasen auf Küstenart gestärkt hat.

Störtebeker-Bier natürlich als Zugabe, wie sich das gehört in diesen Landstrichen, wo der Seewind noch so ein wenig an die kühnen Zeiten der Likedeeler erinnert und jeder ein bärtiger Seeräuber sein darf, der sich mal zwei Wochen aus dem glattgebügelten Büroalltag verdünnisieren durfte.

Nur die nötige Gelassenheit muss man finden. Ob nun in der eigenen Campingküche oder mit einem Korb voller Leckereien für den Strandkorb. Da sollten dann schon gute alte Bekannte aus den Tiefen des Korbes auftauchen – wie Strammer Max oder Bäh-Schnitten.

Und wenn es mit einer Buchung für Rügen nicht geklappt hat, packt man sich den Korb eben trotzdem voll mit Buchweizenpfannkuchen und Heringen in Knusperteig und fährt an den nächsten Baggersee und tut eben so, als ob der Wind von See kommt und morgen kein Chef anruft, um erfahren zu wollen, wo man sich gerade herumtreibt.

Man muss es ihm ja nicht verraten. Sommerfrische ist Sommerfrische und geht sonst keinen was an.

Torsten Kleinschmidt „Die besten Rezepte von Rügen“ Buchverlag für die Frau, Leipzig 2024, 12,95 Euro.

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