Wissenschaftler der Universität Leipzig haben die Bedeutung von Keratin für die Beweglichkeit von Zellen entschlüsselt und somit einen wichtigen Baustein für das Verständnis der Tumorentwicklung im Körper geliefert. Ihre Forschungsergebnisse haben sie jetzt in der US-amerikanischen Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht.

“Keratin bildet das Zellskelett, das sich zum Beispiel in Hautzellen oder den Zellen der Milchkanäle in der weiblichen Brust finden lässt”, erläutert Prof. Dr. Josef Käs von der Abteilung Physik der Weichen Materie. Dies seien Zellen, die Wände bildeten, wobei das Keratin diese Wände besonders stabil mache. Das Fehlen von Keratin in der Zelle gilt in der Medizin als Marker für Brustkrebs. “Wir konnten jetzt zeigen, dass Zellen ohne Keratin gut aus ihren ursprünglichen Positionen auswandern können und vermutlich auch Metastasen bilden”, berichtet Prof. Käs. Diese Ergebnisse wurden durch die Zusammenarbeit der beiden Doktoranden Kristin Seltmann und Anatol Fritsch sowie der daraus resultierenden Anwendung von molekular biologischen und biophysikalischen Methoden möglich.

Wie Prof. Käs weiter erklärt, sind die Zellen, die Keratin enthalten, deutlich steifer als solche, bei denen das Keratin fehlt. Diese Steifheit wiederum führe dazu, dass die Zellen weit weniger beweglich sind. “Keratinhaltige Zellen können nicht aus ihren Strukturen ausbrechen”, so Prof. Käs. Ihre Unbeweglichkeit wird dadurch zu einem Stabilitätsfaktor. “Dagegen ist die Beweglichkeit von Zellen, also derjenigen mit einem Mangel an Keratin, sicher ein entscheidender Faktor für die Aggressivität eines Tumors”, vermutet Prof. Käs. Für den Laien verständlich wählt er den folgenden Vergleich: “Wenn bei einem Rockkonzert ein dicker, unbeweglicher und ein schlanker, sehr beweglicher Besucher versuchen zum Bierstand vorzudringen, dann hat der zuletzt Genannte die wesentlich besseren Chancen.”Dass sich aus ihren Erkenntnissen unmittelbar neue Behandlungsmöglichkeiten für Tumore ergeben, will Prof. Dr. Thomas Magin vom Translationszentrum für regenerative Medizin nicht unterschreiben, da die Tumorbiologie viel komplexer sei als gemeinhin angenommen. “Das Zellkulturmodell, das wir etabliert haben, sagt wenig über das Verhalten von Tumorzellen aus, weil es sich um gesunde Zellen handelt, denen wir das Zellskelett durch ein genetisches Verfahren entfernt haben”, sagt er. Die mit Prof. Käs gemeinsam erhobenen Daten zeigten klar, dass das Keratin-Zellskelett wichtig dafür sei, dass diese Zellen mechanischen Kräften wenig entgegensetzten, schneller wanderten und auch stärker invasiv seien. “Es ist noch nicht geprüft, ob das eine Eigenschaft ist, die das Tumorwachstum beeinflusst.”

Es ist nach Prof. Magins Worten in der Tumorforschung bekannt, dass Veränderungen des Keratin-Skeletts in Tumoren vorkommen. Ob sie das Verhalten von Tumorzellen entscheidend verändern, könne man jedoch aus heutiger Sicht und Kenntnis noch nicht sagen. “Mit Voraussagen, die man nicht solide belegen kann, bin ich als Zellbiologe sehr vorsichtig”, sagt er. Ein Blick auf die Erfolge der Tumortherapien zeige leider, dass die tatsächlichen Erfolge noch sehr gering ausfielen. “Die häufigste Ursache dafür ist, dass man zu vorschnellen Vereinfachungen neigt und an schnelle Erfolge glauben möchte”, gibt er zu bedenken. Die Natur schlage leider oft zurück. “Zusammengefasst kann man aus meiner heutigen Sicht nicht sagen, ob unsere Befunde für die Therapie von Tumoren relevant sein werden”, erklärte Prof. Magin.

Quelle: Uni Leipzig

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar