Als hätten sich die Forscher aus dem in Leipzig heimischen Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften noch einmal vorgenommen, zu demonstrieren, wie Framing in seinen Grundlagen funktioniert. Denn der Mensch denkt in Bildern. Jedes Bild, jedes Wort ruft ein ganzes Bündel an Erfahrungen und Gefühlen wach. Auch so eins: Wenn Andere sich (vermeintlich) in den Finger schneiden.

Wir hoffen natürlich an der Stelle, dass die Sache für das Fotomodell des Max-Planck-Instituts ohne Blut und Schmerz abging. Eigentlich wollten die Forscher eher dem auf die Spur kommen, was eigentlich hinter unserem Mitgefühl steckt. Denn wir zucken ja nicht nur zusammen, wenn irgendjemand anderem so ein Missgeschick zustößt – wir verspüren sogar sehr heftige Emotionen, wenn das auch noch Menschen passiert, die uns sehr nahestehen.

Oder in der Beschreibung der jüngsten Studie aus dem Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften: „Schmerzverzerrt zucken wir zusammen, wenn wir jemanden beobachten, der sich versehentlich mit dem Hammer auf den Daumen schlägt. Ist das Schmerz, was wir da empfinden?“

Gute Frage.

Ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und anderer Institutionen hat nun einen neuen Denkansatz vorgeschlagen: Schmerz könnte demnach ein vielschichtiges graduelles Ereignis sein, das sich aus speziellen Schmerzkomponenten, wie der brennenden Hand und allgemeineren Komponenten wie negativen Emotionen zusammensetzt.

Und so ähnlich läuft das dann auch beim Beobachter – der sich ja eigentlich nicht wehtut – ab: Ein Vergleich der Aktivierungsmuster beider Erfahrungen im Gehirn könnte erklären, welche Komponenten die empathische Reaktion mit echtem Schmerz teilt, ist die These.

Und jetzt geht’s ab in unsere Bilderwelt im Kopf: „Stellen Sie sich vor, Sie schlagen mit dem Hammer einen Nagel in die Wand und treffen dabei aus Versehen den Finger. Sie würden sich vermutlich Gewebe Ihres Fingers verletzen, körperliches Unbehagen empfinden, Ihre Aufmerksamkeit nur auf diesen Finger richten und hoffen, das möglichst nicht zu wiederholen. All das beschreibt physische und psychische Begleiterscheinungen von ‚Schmerz‘ – genauer  gesagt, von am eigenen Körper erfahrenem, sogenanntem nozizeptivem Schmerz, der durch die Erregung von Schmerzrezeptoren entsteht.“

(Was ein Nozizeptor ist, haben wir unterm Text als Link zu Wikipedia angegeben.)

Und nun das Ganze aus der Sicht des gar nicht so unbeteiligten Beobachters: „Stellen Sie sich nun vor, Sie würden einen Freund dabei beobachten, wie er sich auf gleiche Weise verletzt. Sie würden ebenfalls buchstäblich vor Schmerz zusammenzucken und ebenfalls Schmerz empfinden, empathischen Schmerz in diesem Falle. Obwohl Ihr Körper in dieser Situation unversehrt geblieben wäre, würden Sie teilweise die gleichen Symptome verspüren: Sie fühlen ebenfalls Beklemmung, zucken möglicherweise zurück, um der Schmerzquelle zu entfliehen, und speichern Informationen über den Kontext der Erfahrung ab, um Schmerz in Zukunft zu vermeiden.“

Im Kopf läuft also eine ganze Flut von Bildern und Assoziationen ab, da und dort mit Erinnerung an eigene Schmerzerfahrungen verbunden. Also im Grunde das, was auch beim Aufrufen starker Worte passiert – nur viel intensiver.

Und da ist man mittendrin in der klassischen Neurowissenschaft. Denn mittlerweile ist ja recht gut erforscht, in welchen Hirnregionen unsere Erinnerungen und Emotionen zu finden sind.

Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die gleichen Hirnstrukturen – die sogenannte vordere Inselregion und der mittlere cinguläre Cortex – aktiviert werden, egal ob es sich um persönlich erfahrenen oder empathischen Schmerz handelt. Trotz dieser Übereinstimmung in den zugrunde liegenden Hirnarealen wird jedoch bis heute heftig diskutiert, inwieweit sich beide Formen von Schmerz wirklich ähneln.

Oder etwas knapper: Das Empfindungsmuster des Beobachters ähnelt verblüffend demjenigen, der tatsächlich den Schmerz erlebt.

Um Klarheit in die Kontroverse zu bringen, schlagen Neurowissenschaftler nun einen neuen Denkansatz vor. Darunter auch Tania Singer, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig: „Wir müssen wegkommen, von dieser Entweder-Oder-Fragestellung, ob es sich um echten Schmerz handelt oder nicht.“

Denn: Wir befinden uns in der Welt unseres Gehirns. Das kennt – zumindest bei solchen Sachen – kein Entweder-Oder

Vielmehr müsste Schmerz als komplexes Zusammenspiel vieler einzelner Elemente betrachtet werden, die zusammen die komplexe Erfahrung „Schmerz“ ergeben, so Singer. Dazu zählen sensorische Prozesse, die beispielsweise verarbeiten, wo der Schmerzreiz ausgelöst wurde: in der Hand oder im Fuß? Außerdem emotionale Vorgänge, wie das negative Gefühl während des Schmerzes.

„Entscheidend ist, dass die einzelnen Vorgänge auch bei anderen Erfahrungen eine Rolle spielen können, dann aber in jeweils anderer Zusammensetzung auftreten“, erklärt Singer. Beispielsweise, wenn uns jemand an der Hand oder am Fuß kitzeln würde oder wir Bilder leidender Personen im Fernsehen sehen.

Einziger wirklicher Unterschied zwischen Erleiden und Nur-Zuschauen: Andere Prozesse, wie die Reizung von Schmerzrezeptoren, sind vermutlich sehr spezifisch für Schmerz.

Die Neurowissenschaftler schlagen demnach vor, die Bausteine von direktem und empathischem Schmerz zu vergleichen: Welche sind identisch und welche sind wiederum das Spezifische und Einzigartige der jeweiligen Schmerzform?

Einen entscheidenden Beleg für diesen Denkansatz liefert eine beinahe zeitgleich veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Zusammenarbeit mit der Universität Genf: Sie konnte zum ersten Mal nachweisen, dass die vordere Inselregion und der mittlere cinguläre Cortex bei schmerzhaften Erfahrungen sowohl generellere Bestandteile, die auch bei anderen negativen Erfahrungen wie Ekel oder Ungerechtigkeitsempfinden auftreten, als auch schmerz-spezifische Informationen verarbeiten – egal, ob es sich um direkten oder empathischen Schmerz handelt.

Die allgemeineren Komponenten signalisieren dabei, dass es sich überhaupt um ein Negativereignis handelt und nicht etwa um etwas Freudiges. Die spezifischen Informationen geben wiederum Auskunft darüber, dass es sich tatsächlich um Schmerz handelt – statt um Ekel oder Ungerechtigkeit und ob ich oder der andere den Schmerz erlebt.

„Sowohl die unspezifischen als auch die spezifischen Informationen werden parallel in den für Schmerz zuständigen Hirnstrukturen verarbeitet. Aber die Erregungsmuster sehen anders aus“, so Anita Tusche, ebenfalls Neurowissenschaftlerin am Leipziger Max-Planck-Institut und eine der Autorinnen der Studie.

Indem unser Gehirn diese verschiedenen Komponenten parallel bewältigt, können wir verschiedene unangenehme Erfahrungen zeit- und energiesparend verarbeiten. Gleichzeitig können wir aber auch die Detailinformationen schnell registrieren, sodass wir wissen, um was für ein unangenehmes Ereignis es sich genau handelt – und ob es uns direkt oder einen anderen betrifft.

„Dass unser Gehirn Schmerz und andere unangenehme Erfahrungen zu großen Teilen gleich verarbeitet, egal, ob wir sie selbst oder andere sie erleben, hat große Bedeutung für das soziale Miteinander“, so Tusche. „Denn es lässt uns verstehen, was der andere durchmacht.“

Und das könnte auch ein Erklärungsansatz dafür sein, warum uns das Leid anderer Menschen, auch wenn wir es nur im Fernsehen anschauen, eben doch berührt – und zwar nicht nur in stark emotionalen Unterhaltungsfilmen, sondern auch in den täglichen Nachrichten. So dass tragische Ereignisse in der Welt immer auch eine Welle der Empathie hierzulande auslösen, auch wenn die Zuschauer nicht direkt betroffen sind von dem Ereignis. Aber „nachfühlen“ können sie es sehr gut.

Und es könnte ein Ansatz sein, zu verstehen, warum starke Bilder des politischen Framing derart nachhaltig wirken bei Menschen, die sich einfach von der kurzzeitigen Emotion treiben lassen und die starken, emotionsgeladenen Bilder nicht hinterfragen.

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