Dieser verflixte Neandertaler. Erst galt er ja als unser aller direkter Urahn. Dann wurde er einfach mal aus dem Stammbaum geschmissen und zum fernen Vetter erklärt, der noch ein Weilchen neben unseren frisch aus Afrika zugewanderten Vorfahren leben durfte. Und dann ausstarb, so wie das Mammut. Doch irgendwie war er wohl doch nicht der tumbe Bursche, als der er oft genug gemalt wurde. Selbst das Châtelperronien gehört zu seinen Zivilisationsleistungen. Was aber nicht bewiesen war.

Das Châtelperronien ist die Zeit des Übergangs vom Mittel- zum Jungpaläolithikum (Mittel- und Jungsteinzeit) vor 36.000 bis 31.000 Jahren, 1906 von Henri Breuil so benannt, dem Mann, der erstmals eine ordentliche Chronologie in die Altzeitforschung einführte. Und weil damals vor allem die französischen Forscher schon ziemlich weit waren, benannte er die einzelnen Etappen nach französischen Fundorten – in diesem Fall der Grotte des Fées bei Châtelperron.

Die konnte man zwar zeitlich dem Zeitalter der Neandertaler zuordnen, aber ob es auch Neandertaler waren, die da lebten, war mit den vorhandenen Knochenfragmenten bisher nicht nachweisbar.

Da mussten erst ein paar neue Methoden der Analyse entwickelt werden.

Und entsprechend stolz sind die Mitarbeiter des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, dass eine solche neu entwickelte Methode jetzt eindeutige Ergebnisse zur Grotte des Fées gebracht hat.

Was dann wieder neue Antworten – aber auch Fragen – zur aktuell heiß geführten Debatte beibringt, was für Fähigkeiten die Neandertaler besaßen und warum sie ausgestorben sind.

Die archäologische Kultur des Châtelperronien nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein. Trotz intensiver Forschung blieb bislang – trotz zeitlicher Zuordnung – unklar, wer die Châtelperronien-Kultur geschaffen hatte: der moderne Mensch oder der Neandertaler. Immerhin lebten zu dieser Zeit schon beide gleichzeitig in Europa.

Bislang gab es keine direkten molekularen Daten für Neandertaler im Zusammenhang mit dem Châtelperronien. Um dieses Problem zu lösen, hat sich ein internationales Forscherteam jetzt aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Proteinanalyse zunutze gemacht und in Kombination mit zahlreichen weiteren Belegen zeigen können, dass während des Châtelperronien Neandertaler die Grotte du Renne, eine archäologische Stätte im nördlichen Zentralfrankreich, bewohnten.

Die Forscher bestimmten mit Hilfe des „Peptide Mass Fingerprinting“, einer Methode zur Analyse der für ein bestimmtes Protein typischen Masse, ob eine Probe menschliche Überreste enthielt. So konnten sie 28 zusätzliche Proben aus einer dem Châtelperronien zugeordneten Sedimentschicht als menschlich identifizieren, was zuvor anhand der gefundenen Knochenfragmente nicht möglich gewesen war.

Durch die Kombination von Methoden aus der Paläoproteomik und der Paläogenetik konnten sie schließlich feststellen, dass die Knochenfragmente von einem einzelnen noch nicht abgestillten Neandertalersäugling stammten. Die 14C-Daten des Babys bestätigen die Zuordnung zum Châtelperronien.

Proteomik ist die chemische Erforschung von vorgefundenen Proteinen. Das Paläo davor sagt nur, dass man es hier mit einem Zweig der Paläontologie zu tun hat.

Und von der Paläogenetik haben die Leipziger schon mehrfach gehört, wenn die Leipziger Evolutionsforscher zum Beispiel von Erfolgen bei der Erforschung des Neandertaler-Genoms berichteten.

Die aktuelle Studie belegt nun erstmals, dass es allein mit Hilfe der Paläoproteomik – also anhand der Bestimmung von Protein-Aminosäure-Sequenzen – möglich ist, zwischen verschiedenen jungsteinzeitlichen Gruppen innerhalb unserer Gattung zu unterscheiden.

„Die Unterscheidung zwischen modernen Menschen, Neandertalern und Denisova-Menschen anhand uralter Proteine eröffnet uns neue spannende Möglichkeiten bei der zukünftigen Erforschung der Herkunft und evolutionären Geschichte dieser Arten“, formuliert es Erstautor Frido Welker vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der Universität York. „Die in den jungsteinzeitlichen Knochen enthaltenen alten menschlichen Proteine bergen wertvolle Informationen zur Stammesgeschichte und den Lebensvorgängen dieser Menschen.“

Sie bieten sogar Informationen über die Altersstufe des Individuums, dem die Knochen zugeordnet werden.

So konnten die Forscher beispielsweise unabhängige morphologische, isotopische und proteomische Belege dafür liefern, dass die analysierten Knochenproben von einem noch nicht abgestillten Säugling stammen.

Von Neandertalern während der archäologischen Kultur „Châtelperronien“ hergestellter Körperschmuck aus der Grotte du Renne in Arcy-sur-Cure in Frankreich. Foto: MPI für evolutionäre Anthropologie, Marian Vanhaeren
Von Neandertalern während der archäologischen Kultur „Châtelperronien“ hergestellter Körperschmuck aus der Grotte du Renne in Arcy-sur-Cure in Frankreich. Foto: MPI für evolutionäre Anthropologie, Marian Vanhaeren

„Solche Proteine zu identifizieren, die mit bestimmten Entwicklungsstadien des Knochenaufbaus zusammenhängen, ist eine besondere Stärke der Proteinforschung, vor allem in einem multidisziplinären Kontext“, sagt Matthew Collins von der Universität York.

Doktorand Frido Welker ergänzt: „Die dynamische Natur des Knochenproteoms hat für die Erforschung der Lebensvorgänge und Individualentwicklung jungsteinzeitlicher Säugetiere, einschließlich der Homininen, eine Menge zu bieten.“

Anhand der 14C-Daten konnten die Forscher belegen, dass die Urmenschen-Proben zeitlich zu den fortschrittlichen Artefakten des Châtelperroniens passen, die Archäologen in der weiter nördlich gelegenen Grotte du Renne und anderen archäologischen Stätten ausgegraben hatten. Dies bestätige, teilt das Institut nun mit, dass Neandertaler für die Herstellung einiger Artefakt-Typen verantwortlich waren, von denen Wissenschaftler zuvor angenommen hatten, dass ihre Fertigung ausschließlich im Bereich der kognitiven Fähigkeiten moderner Menschen lag.

Es ist nicht das erste Mal, dass Neandertaler sich nun als Schöpfer von durchaus entwickelten Artefakten erweisen.

„Über den Prozess, im Laufe dessen in Eurasien archaische Population von modernen Menschen ersetzt wurde, ist nur wenig bekannt, denn von vielen steinzeitlichen Werkzeugen dieser Periode wissen wir nicht, wer sie geschaffen hat“, erläutert Jean-Jacques Hublin, Direktor der Abteilung für Humanevolution am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Diese Forschung wird es uns ermöglichen, in größeren archäologischen Funden menschliche Knochenfragmente aufzuspüren, die bisher als solche nicht erkennbar waren. So können wir die Art und Weise sowie den zeitlichen Ablauf dieses großen Ereignisses in der menschlichen Evolution mit ‚frischem‘ Probenmaterial neu betrachten.“

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Keine Kommentare bisher

Unglaublich, was man heut so alles erforschen kann, total spannend.
Ich frag mich nur, was man später mal über unsere Zeit rausfindet. Wenn es denn so ein später noch gibt, wir arbeiten ja fleißig am Totalschaden der Welt.

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