Eine nicht ganz unwichtige Frage wollten die Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig noch zum Jahresende klären: Wie entsteht eigentlich das Zusammengehörigkeitsgefühl in Primatengruppen? Warum kleben die wie Pech und Schwefel zusammen, wenn sie sich etwas Gemeinsames vornehmen – eine Prügelei zum Beispiel oder einen Krieg?

Selbst die Forscher formulieren das Rätsel so deutlich: „Es ist verblüffend, welch hohen Preis Menschen zahlen, wenn sie in den Krieg ziehen. Sie sind bereit, persönlich Kosten zu tragen um ihrer eigenen Gruppe zu nützen, indem sie mit Gruppenangehörigen kooperieren und sich dem Gegner gegenüber feindselig verhalten. Trotz der Aggressivität stärken diese Konflikte das Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe, den sozialen Zusammenhalt und die Verbundenheit zwischen Gruppenangehörigen – wesentliche Aspekte eines erfolgreichen Konkurrenzkampfes mit anderen Gruppen.“

Aber Gefühle sind ja nicht irgendein diffuser Stoff, sondern basieren zumeist auf einer bestimmten Chemie. Und die kann man nachweisen und messen.

In diesem Fall nicht bei kriegslüsternen Menschenmännchen, sondern bei Schimpansen.

Gemeinschaftsgefühl in wildem Kampf

Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben die Konzentration des Hormons Oxytocin im Urin frei lebender Schimpansen vor und während Zwischengruppenkonflikten gemessen und festgestellt, dass ihre sozialen Bündnisse auch Schimpansen ermöglichen, einander in Konfliktsituationen gegen Rivalen beizustehen.

Die Sprüche kennt man – vom „Sterben fürs Vaterland“ bis zu „Wir Schar von Brüdern; Denn welcher heut sein Blut mit mir vergießt, Der wird mein Bruder.“

Dieses Zitat Heinrichs des Fünften aus Shakespeares St. Crispins-Tag-Rede macht deutlich, dass Menschen bereit sind, sich im Kampf gegen andere selbst zu opfern. Manchmal auch einfach für Blödsinn, ein verklärtes Vaterland, eine trottelige Volksgemeinschaft oder was der mythischen Gebilde mehr sind. Politiker haben ja gelernt, die ganz elementaren Gefühle der Menschen für ziemlich unheilige Zwecke zu instrumentalisieren. Wer kämpft denn nicht, wenn ihm sein Gefühl sagt, dass Heimat, Familie und Liebste bedroht sind?

Genau an diese Gefühle wird ja in wilden Vorkriegszeiten appelliert.

Darüber, welche Mechanismen die starke Kooperation in Kriegszeiten aufrechterhalten, ist freilich nur wenig bekannt. Denn in der Regel bleiben die kämpfenden Männchen ja auch dann noch bei der Fahne, wenn sie genau wissen, dass die Kriegsanstifter gelogen haben und die Feldherren hochdekorierte Versager sind. Denn meistens heißt es dann immer noch: „Das Vaterland ist in Gefahr.“

Da rennt man nicht weg. Aus größtenteils völlig unvernünftigen Gründen. Hormongesteuert.

Das Hormon Oxytocin könnte nämlich bei Konflikten zwischen verschiedenen Menschengruppen eine Rolle spielen, vermuteten die Forscher. In Schimpansengesellschaften gibt es ebenfalls koordinierte Aktivitäten innerhalb einer Gruppe, wenn es zu einem gewalttätigen Konflikt mit einer anderen Gruppe kommt. Den Beteiligten entstehen dabei unter Umständen hohe „Kosten“, ohne dass sie persönlich daraus einen Vorteil ziehen.

Das eifrige Hormon Oxytocin

Oxytocin, ein evolutionär uraltes und bei Säugetieren weitverbreitetes Hormon, spielt beim Aufbau der Mutter-Kind-Bindung und der mütterlichen Verteidigung ihres Nachwuchses eine Schlüsselrolle. Oxytocin steht auch in Verbindung mit verschiedenen Aspekten des Soziallebens von Menschen und anderen Säugetieren, wie zum Beispiel mit Vertrauen, Bindung, Kooperation und sozialer Anerkennung. Beim Menschen löst Oxytocin die Bereitschaft zur Verteidigung und zur Kooperation mit Angehörigen der eigenen Gruppe aus. Diese Wirkung wurde bisher jedoch nie in echten Zwischengruppenkonflikten untersucht, da diese oft hochriskant sind und zu Verletzung bis hin zum Tod führen können.

Forscher vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben jetzt bei frei lebenden Schimpansen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste die Mechanismen erforscht, die den Zusammenhalt innerhalb einer Gruppe in Zeiten der Bedrohung durch eine andere Gruppe stärken. Liran Samuni und ihre Kollegen haben in dem Regenwaldgebiet verschiedene Verhaltensweisen zweier Gruppen frei lebender Schimpansen beobachtet, wie zum Beispiel Konflikte zwischen Gruppen, die gemeinsame Jagd, die Fellpflege mit mehreren Partnern und Perioden ohne positive soziale Interaktionen. Für die Studie folgten die Forscher zehn männlichen und zehn weiblichen Schimpansen und sammelten von ihnen Urinproben für die Oxytocin-Analyse.

Wie wurde gemessen?

Die Forscher analysierten zunächst den Oxytocin-Spiegel im Urin der Tiere unmittelbar vor und während eines Konflikts zwischen Schimpansengruppen. Diese Werte verglichen sie dann mit den Oxytocin-Messungen vor und während anderer den Gruppenzusammenhalt stärkender Aktivitäten, wie zum Beispiel die gemeinsame Jagd. Außerdem untersuchten sie den Einfluss des Ereignistyps auf den Oxytocin-Spiegel im Urin sowie des Geschlechts, des Dominanzranges, der Gruppenidentität des Tieres und seiner Nähe zur Grenze des Territoriums als Maß für das Risiko eines Tiers, im Kampf verletzt zu werden.

Für die Oxytocin-Analyse wendeten Samuni und ihre Kollegen eine von Roman Wittig, Catherine Crockford und Tobias Deschner entwickelte nicht-invasive Methode an. Damit können die Wissenschaftler Hormonkonzentrationen im Urin bei einer sozialen Interaktion oder einem sozialen Ereignis nachweisen.

„Bei der gemeinsamen Jagd und bei Konflikten zwischen Gruppen, bei denen die Tiere ihr Verhalten innerhalb einer Gruppe koordinieren müssen, fanden wir hohe Oxytocin-Werte im Urin. Sie lagen deutlich höher als bei Ereignissen ohne eine koordinierte Gruppenaktivität, die also nicht von einer potenziellen Bedrohung oder affiliativen Wechselwirkungen innerhalb der Gruppe berührt waren“, sagt Liran Samuni, die Erstautorin der Studie. „Weil die Oxytocin-Werte bei Konflikten zwischen Gruppen deutlich höher liegen als bei allen anderen untersuchten Ereignissen, vermuten wir, dass der beobachtete Effekt dann verstärkt auftritt, wenn die Tiere zwischen der eigenen und einer anderen Gruppe unterscheiden.“

Menschen unterscheiden von früher Kindheit an die eigene von anderen Gruppen, von Tieren ist ein solches Verhalten dagegen bislang unbekannt.

„Schimpansen sind also wie eine ‚Schar von Brüdern‘ im Sinne Shakespeares“, sagt Roman Wittig, Hauptautor der Studie. „Im Angesicht einer Gruppe von Rivalen ermöglichen ihre sozialen Bündnisse es, den Schimpansen einander beizustehen.“

Mögliche Folgen für eine kriegslüsterne Zivilisation

Die Bevorzugung von Angehörigen der eigenen Gruppe und die Vorurteile gegenüber der Außengruppe gehen folglich auf einen viel älteren Ursprung zurück als bisher angenommen. Solche Verhaltensweisen stärken Kooperation und Zusammenhalt zwischen Gruppenmitgliedern angesichts einer Gefahr von außen.

Und die Vermutung steht im Raum, dass auch bei männlichen Menschen solche Hormonausschüttungen dafür sorgen, dass Gruppenstreitigkeiten eskalieren und die wildesten Exemplare auf gar nichts mehr Rücksicht nehmen, wenn sie losrennen, um „die Anderen“ zu bekämpfen. Was ja für eine zivilisierte Gesellschaft auch heißt: Wie kann man solche Hormonausschüttungen bändigen und zähmen, bevor es mal wieder „zum Äußersten“ kommt?

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