Für FreikäuferEs sind lauter Puzzle-Teile, mit denen die Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie immer mehr Licht in die Beziehung des modernen Menschen zu seinem engsten Vorfahren, dem Neandertaler, bringen. Jetzt ist ihnen wieder ein neues Meisterwerk gelungen: Sie haben ein zweites Neandertaler-Genom entschlüsselt.

Beim ersten aufsehenerregenden Forschungserfolg handelte es sich um das Erbgut eines Neandertalers aus dem Altai-Gebirge in Sibirien, das die Forscher 2014 entschlüsselt hatten. Jetzt haben die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig das Erbgut eines Neandertalers in hoher Qualität entschlüsselt, das 1980 in der Vindija-Höhle in Kroatien entdeckt worden war.

Damit ist es das zweite in dieser Qualität analysierte Neandertaler-Genom. Im Vergleich zum Neandertaler aus Sibirien ist das Individuum aus Kroatien näher mit den Neandertalern verwandt, die sich mit den Vorfahren jetzt lebender Menschen vermischten.

Und das Besondere an dieser Entschlüsselung: Sie ist die Basis für eine ganze Reihe Entdeckungen, die jetzt quasi nur noch abgeglichen werden müssen. Denn Dank des nun entschlüsselten Genoms können die Forscher mehr Neandertaler-DNA im Erbgut heutiger Menschen identifizieren. So teilten sie es im Wissenschaftsmagazin „Science“ am 5. Oktober mit

Der Vergleich der beiden Neandertaler-Genome hat zudem ergeben, dass diese näher miteinander verwandt waren als zwei beliebige jetzt lebende Menschen.

„Eine so nahe Verwandtschaft zwischen zwei Individuen, die mehrere tausend Kilometer und Jahre voneinander entfernt lebten, zeigt, dass Neandertaler in einer kleinen Population gelebt haben müssen“, sagt Fabrizio Mafessoni, ein Forscher am Max-Planck-Institut in Leipzig.

Kleine Populationen heißt aber eben auch: Es gab nicht so viele von ihnen. In kleinen Gruppen lebten die Neandertaler über ein riesiges Gebiet verstreut. Die Lebensbedingungen waren hart. Immerhin war ihr Lebensraum durch die Eiszeit geprägt. Was auch das Nahrungsangebot beschränkte. Als der moderne Mensch dann vom Nahen Osten kommend die Weiten Asiens und Europas besiedelte, geschah das höchstwahrscheinlich zusammen mit dem Rückgang des Eises und den darauf folgenden Veränderungen in Vegetation und Tierwelt.

Und in dieser Übergangsphase kam es nachweislich zu den Vermischungen von Neandertaler und modernem Menschen, die noch heute im Erbgut von Asiaten und Europäern nachweisbar sind. Augenscheinlich übernahmen die modernen Menschen vom Neandertaler auch viele wichtige Eigenschaften, die eine bessere Anpassung an das kältere und sonnenärmere Klima des Nordens ermöglichten.

Der Nachweis dieses Neandertaler-Erbes in uns ist ja noch gar nicht so lange her.

Und für die Leipziger Forscher hat sich hier ein ganz eigenes Forschungsfeld aufgetan.

Um mehr über die Vermischung zwischen Neandertalern und den Vorfahren von heute außerhalb Afrikas lebender Menschen zu erfahren, hat das Forscherteam die zwei Neandertaler-Genome auch mit denen von heute lebenden Menschen verglichen.

„Dabei haben wir herausgefunden, dass der Neandertaler aus Kroatien im Vergleich zu dem älteren Individuum aus Sibirien enger mit den Neandertalern verwandt ist, die sich mit unseren Vorfahren vermischten“, erklärt Steffi Grote, die die Genome in Leipzig untersuchte. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass zwischen 1,8 und 2,6 Prozent im Erbgut eines modernen Menschen außerhalb Afrikas auf diese Vermischung zurückgehen.

Die Neandertaler-Funde aus der Vindija-Höhle sind bis zu 45.000 Jahre alt. Damit ist auch der aus spanischen Höhlenfunden bekannte Zeitpunkt umfasst, zu dem es zu einer Begegnung der einwandernden modernen Menschen mit den Neandertalern gekommen sein muss. Und ausgebreitet haben sich die Neuankömmlinge aus Afrika augenscheinlich über die Balkan-Route. Es war also damals wie heute. Nur dass heute einige Neandertalernachfahren vergessen haben, dass ihre Vorfahren allesamt auch mal Einwanderer waren.

Mit Hilfe der neuen Daten gelang es den Forschern auch, zusätzliche Genvarianten zu identifizieren, die durch die Vermischung in das Erbgut heutiger Menschen gelangten.

„Das neue Genom hilft uns dabei, mehr Neandertaler-DNA in heutigen Menschen zu finden“, erläutert Kay Prüfer, der zusammen mit Svante Pääbo das Forscherteam zur Untersuchung des Neandertalergenoms leitete. „Einige dieser Varianten scheinen dabei vor Krankheiten zu schützen, während andere die Entwicklung von Krankheiten begünstigen könnten.“

Aber da liegt jetzt noch jede Menge Vergleichsmaterial, mit dem sich die Forscher nun eingehend beschäftigen können. Weitere Entdeckungen sind ziemlich sicher.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar