Seit Svante Pääbo am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie angefangen hat, das Genom des Neandertalers unter die Lupe zu nehmen, hat sich unser Bild von der Vorzeit gewaltig verändert. Wir wissen heute viel mehr über den Neandertaler, der lange vor dem modernen Menschen nach Europa einwanderte. Und augenscheinlich scheute er keine Wege, um auch mit dem Denisiova-Vetter in Asien in Kontakt zu kommen.

Ein neues Forschungsergebnis der Leipziger Anthropologen nimmt uns nun mit in die Zeit vor 40.000 Jahren. Da war noch Eiszeit in Europa und Asien. Der moderne Mensch tastete sich gerade erst vorsichtig an der Mittelmeerküste entlang.

Bis vor etwa 40.000 Jahren lebten aber auch wenigstens noch zwei Homininen-Gruppen in Eurasien – Neandertaler im Westen und Denisovaner im Osten. Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben nun das Genom eines Individuums aus Sibirien sequenziert und entdeckt, dass die Mutter dieser vorgeschichtlichen Frau eine Neandertalerin und ihr Vater ein Denisovaner gewesen ist.

Wobei Frau vielleicht etwas übertrieben ist: Mit geschätzten (mindestens) 13 Jahren war das Mädchen, dessen Knochensubstanz den Forschern zur Untersuchung diente, doch noch recht jung, als es starb.

Zusammen mit den Neandertalern sind die Denisova-Menschen die nächsten ausgestorbenen Verwandten heute lebender Menschen.

„Aus früheren Studien wussten wir bereits, dass Neandertaler und Denisovaner gelegentlich Nachwuchs miteinander gezeugt haben”, sagt Viviane Slon, Forscherin am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und eine von drei Erstautoren der Studie. „Doch ich hätte nie gedacht, dass wir so viel Glück haben könnten, auf einen direkten Nachkommen der beiden Gruppen zu stoßen.”

Von diesem Individuum liegt den Forschern nur ein einziges kleines Knochenfragment vor.

„Das Fragment ist Teil eines langen Knochens. Wir schätzen, dass die Frau, der der Knochen gehörte, zum Todeszeitpunkt mindestens 13 Jahre alt gewesen ist”, sagt Bence Viola von der University of Toronto in Kanada. Das Knochenfragment wurde 2012 in der Denisova-Höhle in Russland von russischen Archäologen entdeckt. Es wurde für genetische Analysen nach Leipzig gebracht, nachdem es aufgrund seiner Proteinzusammensetzung als Homininenknochen identifiziert worden war.

Dieses Knochenfragment (”Denisova 11”) wurde 2012 in der Denisova-Höhle in Russland von russischen Archäologen entdeckt und gehörte der Tochter einer Neandertaler-Mutter und eines Denisovaner-Vaters. Foto: T. Higham, University of Oxford
Dieses Knochenfragment (”Denisova 11”) wurde 2012 in der Denisova-Höhle in Russland von russischen Archäologen entdeckt und gehörte der Tochter einer Neandertaler-Mutter und eines Denisovaner-Vaters. Foto: T. Higham, University of Oxford

„Dank der in diesem Genom enthaltenen DNA-Sequenzen können wir nun Details über zwei verschiedene Populationen erfahren – die Neandertaler mütterlicherseits und die Denisovaner väterlicherseits“, erklärt Fabrizio Mafessoni vom Leipziger Max-Planck-Institut, der die Studie mitverfasst hat. Die Forscher haben festgestellt, dass die Mutter genetisch näher mit Neandertalern verwandt war, die in Westeuropa lebten, als mit einem Neandertaler, der zu einem früheren Zeitpunkt in der Denisova-Höhle gelebt hatte. Dies zeige, dass die Neandertaler Zehntausende von Jahren vor ihrem Verschwinden zwischen West- und Ost-Eurasien migrierten.

Was aber auch bedeutet, dass sie ebenso wanderfreudig waren wie die modernen Menschen, auch wenn ihre Routen eher in den kühleren Regionen zwischen Westeuropa und Zentralasien lagen, wo sie dann den Denisova-Menschen begegneten. Und zwar des Öfteren. Denn beide Eltern des Mädchens vererbten Neandertaler-Spuren in ihrem Genom.

Analysen des Genoms des Mädchens ergaben nämlich auch, dass der Vater der Frau wenigstens einen Neandertaler in seinem Stammbaum hatte. „Anhand dieses einzigen Genoms können wir gleich mehrere Interaktionen zwischen Neandertalern und Denisovanern dokumentieren“, sagt Max-Planck-Forscher Benjamin Vernot, der dritte Ko-Autor der Studie.

„Es ist schon beeindruckend, dass sich unter den wenigen Genomen früher Menschen, die wir bis jetzt sequenziert haben, dieses Neandertaler-Denisovaner-Kind befindet“, ergänzt Svante Pääbo, Direktor der Abteilung für Evolutionäre Genetik am Max-Planck-Institut in Leipzig und Hauptautor der Studie. „Neandertaler und Denisovaner hatten vielleicht nicht viele Gelegenheiten einander zu treffen. Aber wenn sie aufeinandergetroffen sind, müssen sie relativ häufig Kinder miteinander gezeugt haben – viel öfter als wir bisher dachten.“

Leipzigs berühmter Paläogenetiker Svante Pääbo wird mit dem Körber-Preis ausgezeichnet

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