Wer reich ist, hat in Deutschland ganz andere Möglichkeiten, die Justiz in seinem Sinn zu gebrauchen. Oder zu missbrauchen. Denn Klagen kostet Geld. Und selbst mit unberechtigten Klagen kann man schwächere Gegner einschüchtern und finanziell ausbluten. Ein Instrument, das Konzerne genauso gern nutzen wie Privatpersonen, wenn sie kritische Berichterstattung verhindern wollen. Ein Fall wurde jetzt an der Uni Leipzig etwas eingehender untersucht.

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Fallbeispiel der Hohenzollern untersucht, wie Presseberichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollte. Dabei haben die Kommunikationswissenschaftler die Wirkung von Einschüchterungsversuchen durch strategische Klagen gegen kritische Berichterstattung, sogenannte SLAPP-Klagen, aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Die Ergebnisse wurden in der führenden Fachzeitschrift „Publizistik“ veröffentlicht.

SLAPP ist die Abkürzung für „Strategic Lawsuits Against Public Participation“, also strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Dabei handelt es sich um rechtsmissbräuchliche Klagen, die nur zu dem Zweck erhoben werden, kritische Berichterstattung, Forschung oder Aktivismus zu verhindern. Betroffen sind vor allem Menschen, die sich im Journalismus, Umwelt- und Menschenrechtsaktivismus oder in Kunst und Wissenschaft für die Zivilgesellschaft engagieren.

Ihre öffentlich vorgebrachte Kritik soll durch kostenintensive und zermürbende Rechtsverteidigungen unterbunden werden. Die Abmahnungen oder Klagen werden üblicherweise von einflussreichen Einzelpersonen, Lobbygruppen, Unternehmen und staatlichen Organen angestrengt.

In letzter Zeit haben SLAPP-Klagen zugenommen. 2022 wurden in Europa rund 160 missbräuchliche Klagen eingereicht, der höchste je gemessene Jahreswert. Die Dunkelziffer ist vermutlich höher, sagt Dr. Uwe Krüger vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig.

„Seit mehr als zehn Jahren nimmt die Verrechtlichung des Journalismus zu. So ist es etwa für Politmagazine im Fernsehen immer alltäglicher geworden, dass sie schon während ihrer Recherchen presserechtliche Warnschreiben von einschlägig bekannten Anwaltskanzleien erhalten. Das ist zu einem Geschäftsmodell geworden und kein ausschließlich deutsches Phänomen.“

Strategisches Vorgehen, um Öffentlichkeit zu verhindern

Im Zuge ihres Reputations- und Krisenmanagements sind die Hohenzollern in den vergangenen Jahren mit über 120 Klagen beziehungsweise Abmahnungen massiv juristisch gegen öffentliche Äußerungen zur politischen Rolle der Familie beim Aufstieg des Nationalsozialismus vorgegangen. Adressaten waren Historiker/-innen, Redaktionen und andere Beteiligte in der öffentlichen Berichterstattung.

Auch aus diesem Grund haben sich für die Leipziger Studie, die im Rahmen der Masterarbeiten von Connor Endt und Max Beuthner entstand, lediglich zehn Betroffene zu Interviews bereit erklärt. Sie sagten übereinstimmend, dass die rechtlichen Schritte der Hohenzollern-Familie sie zumindest zeitweise erheblich verunsichert und in ihrer Arbeit eingeschränkt hätten, berichtet der ehemalige Journalismus-Student Endt.

„Zum einen durch die existenzbedrohende Kulisse, die mit dem finanziellen Risiko einherging, zum anderen durch die Bindung von Zeit und Kraft wegen der rechtlichen Auseinandersetzungen. Bei den befragten Journalisten führte das Vorgehen hauptsächlich zu einem defensiveren Sprachgebrauch, mitunter vermieden sie das Thema Hohenzollern ganz. Bei den Wissenschaftlern hatte es den Effekt, dass sie sich untereinander vernetzten, solidarisierten und weiter forschten, sich als Vorsichtsmaßnahme aber seltener in den klassischen Medien äußerten. Auch uns gegenüber wogen sie ihre Worte sorgfältig ab.“

Die meisten der Befragten sahen das Vorgehen der Hohenzollern als ungerechtfertigt an, vor allem weil es bei den beanstandeten Aussagen nicht um den Kern der jeweiligen Sache gegangen sei, sondern nur um Nebensächlichkeiten. Indizien, dass es sich bei dem Vorgehen um rechtsmissbräuchliche SLAPP gehandelt hat.

„Auch die behindernde Wirkung auf zweiter Ebene ist nicht unerheblich. So ein Vorgehen kann die Redebereitschaft der Betroffenen sowie die Thematisierung der Fälle durch Beobachter in Forschung und Medienjournalismus beeinträchtigen“, ergänzt Dr. Uwe Krüger. Auch wenn es der Hohenzollern-Familie im konkreten Fall nicht gelungen sei, die Berichterstattung und Forschung völlig zu unterbinden, so zeigten die Ergebnisse die Beeinflussung von Akteur/-innen im Detail.

Die Kommunikationswissenschaft spricht von Agenda Cutting (Unterbindung einer Debatte), wenn Medien ihrer Aufgabe, relevante Themen in angemessener Art und Weise für die Öffentlichkeit aufzuarbeiten und publik zu machen, nicht oder nur eingeschränkt nachkommen.

Stand der Diskussion und Gesetzgebung

Seit geraumer Zeit wächst das Bewusstsein rund um SLAPP. In der Europäischen Union ist gerade ein Trilog-Verfahren zwischen Kommission, Parlament und Ministerrat abgeschlossen. In den kommenden Monaten wird eine Anti-SLAPP-Richtlinie über Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten werden auch aufgefordert, nationale Gesetze für innerstaatliche Fälle zu erlassen. In Deutschland gibt es noch keinen nationalen Gesetzentwurf.

„Im Licht unserer Forschungsergebnisse erscheint es richtig und wichtig“, so Uwe Krüger, „dass der Gesetzgeber sich jetzt darum kümmert, einen Schutz für Kritiker, Kontrolleure und Aufklärer in der demokratischen Gesellschaft einzuziehen.“

74 Organisationen der europäischen Zivilgesellschaft, darunter „Reporter ohne Grenzen“ und das PATFox-Projekt, hatten die europäischen Institutionen dringend dazu aufgerufen, eine Anti-SLAPP-Richtlinie auszuhandeln, um wirksamen Schutz für Menschenrechtsaktivist/-innen und investigative Journalist/-innen zu gewährleisten. EU-weit ist das Thema als Bedrohung für die Demokratie erkannt worden und es findet grenzüberschreitende und fachübergreifende Zusammenarbeit statt, unter anderem zu möglichen Verteidigungsstrategien.

Ein Ziel ist, Gerichte, aber auch schon Jurastudierende frühzeitig zu sensibilisieren.
In der Wissenschaft ist Agenda-Cutting durch SLAPPs ein relativ neues Thema, mit bislang wenig Forschung und Begriffsarbeit. Deshalb sei die aktuelle Veröffentlichung aus Leipzig ein wichtiger Baustein, um diese voranzubringen, so das Forschungsteam.

Originaltitel der Publikation in „Publizistik“: „Agenda-Cutting durch SLAPPs? Die Klagen der Hohenzollern und ihre Wirkung auf die Presse- und Wissenschaftsfreiheit aus Sicht der betroffenen Journalisten und Forscher“

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