"Mädchen-Zukunftstag" sagt auch in Leipzig kaum jemand. "Girls' Day" heißt das, was auch am 26. April 2012 wieder Hunderte Schülerinnen der 5. bis 7. Klassen in die Unternehmen lockt, zieht, treibt, die ein Programm für diesen Tag anbieten. Auf den ersten Blick ein hübsches Mauerblümchen. Auf den zweiten eine Idee, die beharrlich ihre Wirkung entfaltet.

In Leipzig arbeitet der regionale Arbeitskreis zum Girls’ Day seit elf Jahren, hat anfangs mit beharrlicher Überzeugungsarbeit Unternehmen und Institutionen eingesammelt, die mit der Idee was anfangen konnten: Mädchen eine Zukunft in technischen Berufen schmackhaft zu machen. Der Hintergrund war ein simpler: Mädchen entscheiden sich auch im 21. Jahrhundert am liebsten noch für zehn Mädchenberufe, die sie attraktiv finden. Dumm nur, dass gerade diese Berufe selten eine Karriere versprechen, meistens niedrig entlohnt sind und im Fall einer Familiengründung kein ideales Umfeld abgeben.

Die Touristikbranche gehört dazu, das Hotel- und Gaststättenwesen mit seinen wirklich familienunfreundlichen Arbeitszeiten, der Verkäuferin-Job, die Büro-Fachkraft. “Richtig schwierig wird es, wenn der Zeitpunkt kommt, an dem die Mädchen über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf anfangen nachzudenken”, sagt Cornelia Langner, Beauftragte für Chancengleichheit bei der Agentur für Arbeit Leipzig. Das Problem der jungen Bewerberinnen ist oft die Schwierigkeit, weiter in die Zukunft zu denken. Noch vor wenigen Jahren waren sie allesamt froh, wenn sie überhaupt einen Ausbildungsplatz bekamen. Jahrelang konnte die Leipziger Wirtschaft nicht genug Lehrstellen zur Verfügung stellen.

Das hat sich mit der Ankunft der geburtenschwachen Jahrgänge aus den 1990er Jahren im Ausbildungsalter gedreht. Sinkende Zahlen von Schulabsolventinnen stehen mehr Ausbildungs- und Studienplätzen gegenüber. Standen 2009/2010 noch 3.879 Schüler und Schülerinnen 3.860 Ausbildungsplätzen gegenüber, waren es laut Arbeitsagentur im Schuljahr 2010/11 nur noch 3.642 Absolventen für 3.782 Ausbildungsplätze in Leipzig. Das sind 6,1 Prozent weniger Absolventen als im Jahr zuvor.

Das wird sich zwar in den nächsten Jahren wieder etwas berappeln. Aber die hohen Schulabgängerzahlen, wie sie noch Mitte des vergangenen Jahrzehnts erreicht wurden, wird es nicht mehr geben. Nicht mehr die Unternehmen allein suchen sich ihre Bewerber aus, sondern die Bewerber verstärkt ihr Unternehmen. Und da kommen – so Cornelia Langner – immer öfter weitere Kriterien bei der Berufsentscheidung hinzu. Ist die angebotene Arbeitszeit flexibel genug für Familien, kann das Unternehmen Kita-Plätze vermitteln, ist das Thema Familiengründung in den Unternehmen überhaupt präsent?”Viele unserer Unternehmen sind da schon sehr weit”, sagt Dr. Andrea Wolter, Pressesprecherin der Handwerkskammer zu Leipzig. Flexible Arbeitszeiten seien gerade in Handwerken wie Bäckerei oder im Fachhandel längst Thema.

Trotzdem – so Langner – dominieren auch 2012 die “zehn Berufe” bei der Berufswahl. Bei den Mädchen genauso wie bei den Jungen. Nur dass die zehn Jungen-Berufe fast alle in technischen Branchen zu finden sind und damit auch durchschnittlich besser bezahlt werden.

Dass Mädchen keine Begeisterung für Technisches hätten, ist nicht wirklich der Grund für diese Tradition. “Da haben wir schon ganz andere Erfahrungen gemacht”, erzählt Hans-Peter Schmidt, Hauptabteilungsleiter im Bildungs- und Technologiezentrum der Handwerkskammer zu Leipzig. Seit Jahren hat das BTZ die Kooperationen mit Leipziger Schulen ausgebaut. Mit über 30 Schulen gibt es schon Kooperationsverträge. Die Klassen kommen – mit Lehrer – zu zehntägigen Praktika in das modern ausgestattete BTZ in Borsdorf und an den zehn Tagen machen die Schüler praktische Erfahrungen in vier verschiedenen Berufsfeldern. “Wir haben praktisch jeden Tag Girls’ Day”, sagt Schmidt. Denn auch die Mädchen tischlern hier oder dürfen am Auto basteln.

Und Jungen machen manch seltsame Entdeckung. Etwa wie wichtig mathematische Formeln im Zimmererhandwerk sind. Ein Aha-Effekt auch für Lehrer. “Lehrer haben ja keine Berufspraxis”, erzählt Roman Schulz, Sprecher der Regionalstelle Leipzig der Sächsischen Bildungsagentur. “Sie studieren, kommen in die Schulen und sollen den Schülern dann Wissen für die Praxis vermitteln.” Deswegen würden viele Lehrer mittlerweile in ihren Ferien selbst Praktika in Leipziger Unternehmen einschieben. Und vom Besuch im BTZ der Handwerkskammer profitieren sie auch.Genauso wie die Mädchen, könnte man sagen. Gerade im Bereich der Handwerkskammer hat man mit der geweckten Neugier der jungen Frauen auf eine technische Lehrausbildung gute Erfahrungen gemacht. “Das bleibt ja meistens nicht bei der Lehre”, sagt Schmidt. “Viele hängen später die Meisterprüfung dran, gründen sogar selbst ein Unternehmen.”

“Ein Ergebnis so eines Girls’ Days kann natürlich auch sein, dass man hinterher sagt: Der Beruf ist nun wirklich nichts für mich”, meint Roman Schulz. “Aber deswegen animieren wir auch dazu, den Tag nicht nur in einer Klassenstufe anzubieten, sondern ab der 5. Klasse in mehreren Jahren hintereinander teilzunehmen. Berufsorientierung ist ein längerfristiger Prozess. Und die Wahl wird ja viel nachhaltiger, wenn die jungen Leute möglichst viel wissen über das, was in Leipzig möglich ist.”

Womit man bei einem Problem wäre, das Cornelia Langner am Herzen liegt: Die Berufswünsche der jungen Leute – oft von diversen Medieneindrücken geprägt – entsprechen oft nicht der regionalen Wirtschaftsstruktur. Die werde nunmal durch Logistik- und Verkehrsunternehmen geprägt, Dienstleister, Energie- und Umweltunternehmen, Auto- und Maschinenbau, aber auch durch Gesundheitsbranche, Biotechnologie und auch Medien.

Letztere brauchen sich am Girls’ Day nie über Nachfrage bei den neugierigen Mädchen zu beklagen. Die Plätze sind praktisch alle schon weg. “Aber für einige sehr interessante Angebote gibt es noch frei Plätze”, sagt Genka Lapön, die als Gleichstellungsbeauftragte von Seiten der Stadt den Girls’ Day betreut. Und dazu gehören zahlreiche Angebote in den wissenschaftlichen Einrichtungen der Stadt, in den Hochschulen – explizit benannt die HTWK, im Logistik-Bereich und selbst im Gebäudemanagement, das in diesem Jahr vom Studentenwerk Leipzig thematisch besetzt ist.

Dass der Boys’ Day – auf Wunsch einer einzelnen Bundesministerin – auf den selben Tag gelegt wurde, finden die meisten Akteure des Leipziger Regionalen Arbeitskreises eher kontraproduktiv. Auch wenn das Anliegen genauso wichtig ist: Jungen für Berufe zu sensibilisieren, die sonst eher von Mädchen bevorzugt werden. “Und wir können Jungen als Lehrer im Grundschulbereich genauso gut gebrauchen wie im sozialpädagogischen Bereich”, sagt Roman Schulz. Und benennt auch das Kuriose am Boys’ Day. Denn dass er nun quasi dem Girls’ Day nachgeschoben wurde, zeige wohl auch, wie erfolgreich der Girls’ Day tatsächlich sei.

Momentan werden für den Girls’ Day von Leipziger Unternehmen und Bildungseinrichtungen in 74 Veranstaltungen 1.180 Plätze für Mädchen angeboten. Die Angebote findet man auf www.girls-day.de in der “Aktionslandkarte”. Da scheint es bei BMW noch genauso ein paar freie Plätze zu geben wie beim HTWK-Angebot “Twenty – Junge Architektinnen in Leipzig” oder bei der Bereitschaftspolizei. Hoppla, aber klar: Dem Freistaat fehlen künftig jede Menge Polizisten. Und von fitten Polizistinnen lässt man sich ja auch gern beschützen. Warum nicht?

www.girls-day.de

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