Die sächsische Regierung hat ja ein schönes Marketing-Rezept gefunden: Immer dann, wenn ganz normale Dinge passieren, stellt sie sich breitbrüstig hin und ruft: Schaut nur! Das haben wir finanziert! - Dass es möglicherweise zu wenig ist und die absehbaren Löcher nicht stopft, wird einfach ausgeblendet. Das betrifft nicht nur die Lehrerausbildung. Auch bei Erzieherinnen droht jetzt ein Personalmangel, der mit 1.700 Absolventinnen nicht zu kaschieren ist.

Am Montag, 16. Juli, hatte das Kultusministerium vermeldet: “Von der Praxis händeringend erwartet – mehr als 1.700 Erzieher erhalten Abschlusszeugnis”. Die Kultusministerin Brunhilde Kurth erklärte bei der Gelegenheit: “In diesem Jahr werden so viel Erzieherinnen und Erzieher wie noch nie mit ihrer Ausbildung in Sachsen fertig. Als Fachkräfte werden sie vor allem in den Kitas dringend benötigt.”

Und die Mitteilung aus ihrem Ministerium suggerierte einen gewaltigen Aufschwung: “Während vor zehn Jahren nur an neun Fachschulen Erzieher ausgebildet wurden, waren es in diesem Schuljahr 56 Fachschulen, also rund sechsmal so viel. Die Zahl der Fachschüler insgesamt in allen drei Ausbildungsjahren stieg von rund 540 (2001/02) auf 6.948 (2011/12), das heißt fast das Dreizehnfache. Die Zahl der Absolventen in der Fachrichtung Sozialpädagogik hat sich dadurch in den letzten 10 Jahren ebenfalls fast verzehnfacht …”

Als wenn das vergleichbar wäre. In den 1990er Jahren galt nicht nur in praktisch sämtlichen Kinderbetreuungseinrichtungen ein Einstellungsstopp, viele wurden sogar geschlossen, weil die Geburtenrate ab 1991 in den Keller rauschte. Erst seit 2001 steigen die Geburtenraten wieder. Entlassen worden waren in den 1990er Jahren aber vor allem die jungen Erzieherinnen. Was dazu führte, dass heute auch in vielen Betreuungseinrichtungen das Personal überaltert ist. Es gehen also in den nächsten Jahren deutlich mehr Erzieherinnen in den Ruhestand, als derzeit ausgebildet werden.

Annekatrin Klepsch, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, hält den Jubel der Kultusministerin folgerichtig für geradezu blauäugig.”Wenn Kultusministerin Kurth sich über mehr als 1.500 Absolventen der Erzieherausbildung freut und den Lehrkräften der kommunalen und privaten Schulen dankt, dann handelt es sich um ein Trostpflaster des Kultusministeriums (SMK) in Verkennung der vorhandenen Probleme. Aufgrund der demographischen Entwicklung und des Erzieherbedarfs bundesweit steuert Sachsen ähnlich wie bei den Lehrern auf einen Pädagogenmangel hin”, stellt sie fest. “Allein in Sachsen werden in den nächsten 15 Jahren mehr als 14.800 Erzieherinnen über 45 Jahren in Rente gehen. Darüber hinaus werden durch den Krippenausbau und Rechtsanspruch allein bis 2015 bundesweit fast 25.000 Erzieherinnen und Erzieher benötigt. Das SMK hat keine Übersicht, wie viele der in Sachsen ausgebildeten Fachkräfte aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen in andere Bundesländer abwandern.”

Statt die Erzieherausbildung an den staatlichen Berufsschulzentren (BSZ) gezielt auszubauen und damit insbesondere die BSZ im ländlichen Raum zu stärken und junge Menschen dort zu halten, akzeptiere das Kultusministerium einen ungesteuerten Wildwuchs privater Bildungsträger mit zum Teil zweifelhafter Ausbildungsqualität und finanziellen Knebelverträgen für die Jugendlichen.

“Dieser Wildwuchs geht zudem auf Kosten der Lehrkräfte an den staatlichen Schulen, die zu ihrer eigentlichen Arbeit die Schulfremdenprüfungen abnehmen müssen”, kritisiert Klepsch. “Die Staatsregierung ist aufgefordert, dringend umzusteuern und den staatlichen Berufsfachschulen mehr Lehrkräfte für die Erzieherausbildung zuzuweisen, um das in Sachsen erreichte Fachkräfteniveau zu halten. Darüber hinaus muss die Kita-Landespauschale auf mindestens 2.400 Euro im nächsten Haushalt erhöht und der Betreuungsschlüssel gesenkt werden, damit junge Fachkräfte in Sachsen bleiben. Darüber hinaus sollten berufsbegleitend ausgebildete Erzieher erst ab dem 3. Ausbildungsjahr im Personalschlüssel mitgerechnet werden.”

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