Am 27. August berichtete die Chemnitzer "Freie Presse" unter dem Titel "Die Oberschulreform im Freistaat wackelt gewaltig" über die letztlich fehlenden materiellen Grundlagen für das Oberschul-Projekt von CDU und FDP. Der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, Thomas Colditz, wurde darin zitiert mit den Worten: "Hände weg von der Oberschule." Am gleichen Tag warf sich auch noch Torsten Herbst, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, in die Bresche.

“Die neue sächsische Oberschule wird zum Schuljahr 2013/14 starten”, verkündete er. “Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Die Koalitionspartner schaffen dafür bis zur Verabschiedung des Doppelhaushalts 2013/2014 alle inhaltlichen und finanziellen Voraussetzungen. In Gesprächen dazu zwischen den Koalitionsfraktionen und dem Kultusministerium sind wir auf einem guten Weg.

Bereits jetzt sind mit der generellen zweiten Bildungsempfehlung in Klassenstufe 6 und der Rücknahme der aufgeweichten Übergangskriterien ans Gymnasium erste Elemente des Oberschulkonzepts umgesetzt. Die qualitative Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule ist damit unumkehrbar.

Unser gemeinsames Ziel ist klar: Mit Leistungsgruppen und zweiter Fremdsprache ab Klasse 6 werden die bisherigen Mittelschulen zu Oberschulen qualitativ deutlich aufgewertet, die Durchlässigkeit zum allgemeinbildenden Gymnasium wird weiter erhöht und die Anschlussfähigkeit zum beruflichen Gymnasium wird verbessert.”

Oha, sagte sich der informierte Sachse. Da wird ja mächtig gearbeitet. Nur der ewige Ostdeutsche in ihm zweifelt an den Parolen. Das kennt er irgendwie aus Zeiten, als der Sozialismus allerorten mit triumphierenden Transparenten schon die Weltrevolution gewonnen hatte.

Dr. Eva-Maria Stange, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sieht noch nicht mal den Grundstein gelegt für das Lieblings-Bildungsprojekt von Schwarz-Gelb.

“Das neue Schuljahr startet mit weniger Lehrkräften, als das alte endete. Unterrichtsausfall in allen Schularten ist vorprogrammiert oder soll mit schulfremden Personal kaschiert werden. Statt sich dafür einzusetzen, dass endlich Schüler an Mittelschulen und Gymnasien die Fremdsprache erlernen können, die sie lernen wollen, verlangt die FDP die Umsetzung einer ideologischen Werbeblase namens ‘Oberschule’. Was das konkret sein soll, konnte bis heute kein FDP-Stratege inhaltlich beantworten”, stellt die SPD-Abgeordnete fest.

Das Erste, was fehlt, ist die zweite Fremdsprache in der Mittelschule ab Klasse 6, da sonst die Schüler keine faire Chance haben, auf das Gymnasium zu wechseln, wenn es die so genannte zweite Bildungsempfehlung gibt.

Stange: “Seitdem unter Steffen Flath (CDU) Kultusminister a.D. in der 6. Klasse der Gymnasien ohne Not die 2. Fremdsprache eingeführt wurde, fordert die SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, die Mittelschulen so auszustatten, dass keinem Schüler ein Wechsel versperrt bleibt. Laut Schulgesetz sollen die Klassen 5 und 6 eine orientierende Funktion haben. Die haben sie längst verloren. Dazu bedarf es keines neuen Labels ‘Oberschule’. Dazu werden ausreichend ausgebildete Lehrkräfte benötigt, die es schon jetzt nicht gibt.”
Erst 2012 hat die Sächsische Staatsregierung überhaupt beschlossen, die Lehrerausbildung endlich hochzufahren. Die derzeitig fertig ausgebildeten Lehrer können nicht einmal die Lücken füllen, die die Lehrer reißen, die in Ruhestand gehen.

“Wo will die Kultusministerin plötzlich 56 Fremdsprachenlehrer herzaubern, die sie bis jetzt nicht hatte? Wieso ist es möglich, mehr Lehrerstellen für ein rein ideologisch geprägtes FDP-Werbeprojekt zu mobilisieren, als für die Integration von Kindern mit Behinderung, für die erneut nicht eine zusätzliche Stelle im Haushalt steht?”, fragt Stange. “Mit der Einführung einer verschärften Bildungsempfehlung durch die schwarz-gelbe Regierung wurde Kindern der Übergang nach Klasse 4 an das Gymnasium erschwert. Wer glaubt, dass dann nach Klasse 6 der große Übergang stattfindet, wurde massiv enttäuscht. Nichts ist bis heute getan worden, um die Durchlässigkeit zwischen Mittelschule und Gymnasium zu erhöhen.”

Im April hatte Stange die neue Kultusministerin Brunhild Kurth gefragt, wie es um die Vorbereitung der Einführung der Oberschule steht. Die hatte auch im Mai geantwortet. Aber wirklich fassbar wird das, was Schwarz-Gelb da wirklich auf die Beine stellen will, durch die Antworten nicht. Und ein anderes Zukunftsprojekt hatte die 2009 neu gewählte Regierung ja gleich abgeschafft.

“Die erfolgreiche Gemeinschaftsschule, die durch die SPD mit breiter Unterstützung der Eltern und Lehrer vor Ort auf den Weg gebracht wurde, wurde mit dem Regierungswechsel 2009 abgewürgt. Stattdessen wird reine Symbolpolitik betrieben, nach dem Motto ‘Verpassen wir dem kranken Kind doch einen neuen Namen, dann wird es schon gesund!'”, kritisiert Stange. “Ich bin enttäuscht, Frau Kurth, wenn sie als erfahrene Fachfrau dieses Spielchen mit betreiben. Ihr Vorgänger war da standhafter!”

Für die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Cornelia Falken, ist das Ganze ein ausgewachsener Koalitionskrach. “Es handelt sich bei dem Vorhaben der FDP schließlich um einen Etikettenschwindel. Denn mit der Oberschule sind keine qualitativen Verbesserungen gegenüber der bisherigen Mittelschule verbunden. Dafür wäre eine entsprechende finanzielle und personelle Ausstattung erforderlich, die aber die Koalition nicht aufbringen kann bzw. will”, sagt sie. “55 Stellen, wie von der Kultusministerin in Aussicht gestellt, reichen bei weitem nicht aus und sind angesichts der angespannten personellen Situation an den Schulen und Klassenstärken von 28 Schülerinnen und Schülern schon in der Grundschule unverantwortlich.

Wie angespannt die Situation ist, zeigt sich z.B. daran, dass die Kultusministerin so eben mal die Integrationsverordnung außer Kraft setzt, weil ihr die Lehrkräfte für die inklusive Schule fehlen. Dabei haben Eltern laut UN-Konvention ein Recht auf inklusiven Unterricht für ihre behinderten Kinder. Es gibt wahrlich wichtigere Vorhaben als die Oberschulversion der FDP: Die inklusive Schule zum Beispiel.”

Der Beitrag in der “Freien Presse”: www.freiepresse.de

Die Kleine Anfrage “Einführung Oberschulen in Sachsen zum Schuljahr 2012/2013” als PDF zum download.

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