"Hurra, wir sind fertig!" Ein Satz, der nicht jedem sächsischen Studienreferendar in diesen Tagen über die Lippen kommt. Von den 150 Leipziger Absolventen für das Gymnasium haben nur neun (!) eine Anstellung an einem staatlichen Gymnasium in Sachsen bekommen. Kein Wunder, dass der Frust tief saß. Zur "Feierlichen Zeugnisübergabe" am Mittwoch, 10. Juli, machten die Junglehrer ihrem Ärger Luft und gewährten Einblick in die Ausbildungsrealität. Sie fühlen sich vom Land Sachsen getäuscht. Die Medien mussten sie wieder ausladen.

“Man muss auch für das gerade stehen, was man verbockt hat!” Eine Aufforderung, die wahrscheinlich jedes wohlerzogene Kind von seinen Eltern mit auf den Lebensweg bekommen hat. Das ist für Kinder nicht immer einfach, aber es ist ehrlich. Eine Eigenschaft, die dem sächsischen Kultusministerium nicht nur laut Meinung einiger Referendare in den vergangenen Jahren abhanden gekommen ist. Entscheidungsträger in der Leipzig Bildungslandschaft berichteten L-IZ.de kürzlich von Zahlen, die bezeugen, dass gerade beim Umgang mit dem Lehrermangel Fehler gemacht wurden, Statistiken über Unterrichtsausfall keinesfalls günstig sind. Nichts dergleichen darf aber an die Öffentlichkeit gelangen. Hier soll die schnieke Fassade aufrecht erhalten werden, dass in der sächsischen Bildung alles prächtig ist.

Dass daran mittlerweile niemand mehr glaubt, der sich mit der Materie beschäftigt und nicht im Kultusministerium arbeitet, wird dabei ignoriert. Deshalb versuchten Absolventen des zweijährigen Referendariats bei der “Feierlichen Zeugnisübergabe” am Mittwoch, die Öffentlichkeit über die tatsächlichen Zustände zumindest am Leipziger Lehrerseminar in Kenntnis zu setzen. Die Rede der Absolventen Christian Geitner, Hannes Toense und Annegret Prüfert hatte es in sich, denn ihre Mängelliste ist lang – sehr lang.

Zuallererst stellen die Referendare den Sinn des parallel existierenden einjährigen Referendariats in Frage, das Absolventen des Bachelor-/Mastersystems durchlaufen. “In nur einem Jahr vergleichbare Erfahrungen zu machen, sich ähnlich umfangreich auszuprobieren oder von einer äquivalenten theoretischen Ausbildung zu profitieren, ist offenkundig unmöglich. Ein Qualitätsverlust der Lehrerausbildung erscheint vorprogrammiert.”

Im Gegensatz zu den Zweijährigen, die mit zwei Stunden pro Woche einsteigen, müssen die Einjährigen direkt vier bis sechs Stunden halten und steigern sich innerhalb von zwei Monaten auf acht bis zehn. Eine Zahl, die die Zweijährigen erst im Frühjahr eines (Schul-)Jahres erreichen. Diese Verfahrensweise birgt Gefahren. Referendare, die sich eigentlich ausprobieren sollen, in Lehrerpersönlichkeit und im Umgang mit Schülern nicht gefestigt sind, können schnell überfordert sein. So wie offensichtlich viele andere Kollegen an den Schulen und auch die Vortragenden berichten.”Nicht feierlich ist, dass wir Referendarinnen und Referendare erleben mussten, wie gestandene Lehrerinnen und Lehrer oder sogar junge Mitstreiter aus unserem Ausbildungsjahrgang den Belastungen des Alltags nicht mehr standhalten können und sich krank melden müssen – Diagnose Burn-Out. Es handelt sich hierbei sicher nicht um ein Phänomen der letzten zwei Jahre. Aber anstatt effektivere Unterstützungsangebote zu machen, werden die Klassen größer, die Aufgaben zahlreicher und Vorschläge für ein akzeptables Altersteilzeitmodell unwahrscheinlicher.”

So lernten am Kant-Gymnasium im Leipziger Süden in zwei 5. Klassen 31 Schüler und in einer 29.

Ob nun 28, wie es das sächsische Schulgesetz unter Paragraph 4a vorsieht, oder 31 Schüler im Klassenzimmer sitzen, macht dabei durchaus etwas aus, erst recht, da schon 28 Schüler viel Arbeit bedeuten. Immerhin ist es eine Aufgabe von Lehrern, die nicht zuletzt von den Eltern eingefordert wird, genauestens über den Leistungsstand, Stärken und Schwächen ihrer Schützlinge Bescheid zu wissen. Man denke zudem an die Korrektur von 31 Deutsch-Aufsätzen, an Hausaufgaben, Klassenarbeiten, Schulausflüge etc. und an das durchschnittliche Alter der sächsischen Pädagogen, was um die 50 Jahre liegt.

Auch über die Ein- und spätere Ausladung zusätzlicher, offensichtlich manch unliebsamer Gäste verlieren die Redner ein paar Worte. “Nicht feierlich ist, dass in einer Gesellschaft wie der unseren mündige Bürgerinnen und Bürger davor geschützt werden sollen, selbstbestimmt und öffentlich ihre Meinung zu vertreten. Klingt ungeheuerlich, ist aber wahr. Nichts Anderes passierte, als die Sächsische Bildungsagentur, Regionalstelle Leipzig, dem Vertreter der Gruppensprecherinnen und Gruppensprecher am 27.05. mitteilte, dass sie für die heutige Veranstaltung keine Öffentlichkeit zulassen würde – zurecht blicken Sie und blickt ihr verwundert um euch – Verwandte, Freunde, Bekannte sind offensichtlich keine Öffentlichkeit. Wohl aber die von uns zunächst eingeladenen und später gezwungenermaßen wieder ausgeladenen Vertreter der Parteien, Gewerkschaften und Medien. Die Logik dieser Entscheidung bleibt wohl ein Betriebsgeheimnis. Ein Hoch auf das Hausrecht des Veranstalters.”

Die eigenen Fehler will man beim SMK offensichtlich nicht so gern verbreitet wissen. Über die Gründe für die Ausladung schweigt sich die Sächsische Bildungsagentur Leipzig (SBAL) gegenüber L-IZ.de aus. Eine entsprechende Anfrage blieb bisher unbeantwortet. Klar ist aber auch, dass man durch eine Ausladung im 21. Jahrhundert nicht verhindern kann, dass die Rede nach außen dringt.Und hier nimmt die neunseitige Rede der Referendare erst richtig Fahrt auf, wird die sächsische Bildungspolitik an die Wand genagelt. “Nicht feierlich ist, dass in einem der wohlhabendsten Länder der Welt, konkret im Bundesland mit dem angeblich besten Bildungsmonitor, die Bildungspolitik so am Bedarf vorbeiplant, dass es als das Normalste der Welt dargestellt wird, wenn ausgebildete Gymnasiallehrer Einstellungsangebote für die Grundschule bekommen sollen. Und dabei reden wir nicht von einigen, wenigen Abordnungen für einen Englisch- oder Sportlehrer, sondern von einer Vollzeitanstellung an einer Grundschule – natürlich mit Grundschullehrergehalt, natürlich ohne die entsprechenden Fächer studiert zu haben, natürlich ohne die passende pädagogische Ausbildung und natürlich ohne Zusicherung, ans Gymnasium zurückkehren zu können. Stellen wir doch gleich die Grundschullehrerausbildung komplett ein, wenn sie gar nicht erforderlich ist, Frau Kurth – natürlich können Sie dabei auch eine Menge Geld sparen, Herr Unland.”

Tatsächlich sind L-IZ.de mehrere Fälle bekannt, in denen Absolventen für das Gymnasium an die Grundschule umgelenkt werden sollten. Man stelle sich nur die Auswirkungen vor, die die Einstellung eines Gymnasiallehrers für Deutsch an einer Grundschule hätte. Studenten für das Lehramt Deutsch an Gymnasien lernen nicht, wie sie Kindern Lesen und Schreiben beibringen können. Genau das wäre aber nun eine ihrer Aufgaben.

Weitere Kostproben der ungefilterten Kritik:

“Nicht feierlich ist, dass sich die sächsischen Regierungsverantwortlichen für eine finanziell nachhaltige Haushaltskalkulation loben, während sie hunderte in Sachsen Ausgebildete – Lehramtsstudenten und Referendare – als akademische Fachkräfte und Exportschlager in andere Bundesländer verabschieden. Und dies über Jahre hinweg. Auch ohne Hochschulstudium Mathematik wird schnell deutlich: Sachsen verbrennt Geld – oder anders ausgedrückt: Sachsen ist doch ein Geberland im Länderfinanzausgleich.”

Oder: “Nicht feierlich ist, dass das sächsische Kultusministerium die Sicherung des Lehrerbedarfs als Schwerpunkt betrachtet, die tatsächliche Ausfallquote von Unterricht jedoch schwindelerregende Höhen erreicht. Vor allem ist die alltägliche Schönfärberei unerträglich, dass Fachunterricht trotz der Abwesenheit der Fachlehrer als gehalten gilt, wenn nur ein Arbeitsauftrag erteilt wurde, ein fachfremder Lehrer macht dann keinen Unterschied. Das scheint paradox – die Umsetzung politischer Programme ist doch auch nicht in Abwesenheit zu gewährleisten.”

Wie es sich für eine ordentliche Rede gehört, steigerten sich die Kritikpunkte in ihrer Wichtigkeit. Den Hauptkritikgrund bringen die Absolventen am Ende hervor:

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Die L-IZ hat zwar eine schöne Suchfunktion …

“Nicht feierlich ist, dass allein in der Regionalstelle Leipzig im Jahr 2011 über 150 Referendarinnen und Referendare eingestellt wurden, 150 heute ihre Zeugnisse bekommen haben, aber im aktuellen Einstellungszeitraum nur 8 bzw. 9 neue Gymnasiallehrer eine Stelle erhalten werden. Entweder hat sich hier jemand eklatant verrechnet, oder aber diese Ausbildungspraxis hat System. Besonders bei einigen Fächerkombinationen drängt sich der Verdacht auf, dass durch die zahlreichen Auszubildenden und ihre Lehraufträge der tatsächliche Neulehrerbedarf kompensiert werden sollte – und konnte. Eine neue Verordnung unterstreicht diese Entwicklung. Ab dem kommenden Jahr müssen Referendarinnen und Referendare mit selbstständigem Lehrauftrag zwölf Stunden unterrichten. Und wieder konnten ein paar richtige Lehrerstellen eingespart werden.”

Ein paar sind bei Schulen in freier Trägerschaft wie der Maria-Montessori-Schule untergekommen. Aber der Großteil steuert demnächst tatsächlich das Arbeitsamt an. Die Absolventen fühlen sich getäuscht, ihre Vertreter beendeten ihre Rede mit Zitaten von Georg Milbradt und Stanislaw Tillich, die beide einst die Wichtigkeit von Lehrern in Sachsen hervorhoben.

Bleiben dreieinhalb Fragen:

Erstens: Welche Bundesländer freuen sich jetzt über die ausgebildeten Junglehrer, die für ihre Ausbilder an der SBAL voll des Lobes waren?

Zweitens: Wann beginnt Sachsen mit dem Generationenwechsel im Lehrerzimmer und vor allem – mit wem?

Drittens: Wie schätzt das SMK selbst ob dieser Einstellungspraxis den aktuellen Lehrerbedarf ein?

Die Rede zur feierlichen Zeugnisübergabe als PDF zum Download.

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